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Alexis (Félix Lefebvre) und David (Benjamin Voisin) genießen ihre Zweisamkeit an der malerischen Küste der Normandie.

Charmantes Coming-of-Age-Drama

Sommer 85

Der Teenager Alexis „Alex“ Robin (auch als Ich-Erzähler: Félix Lefebvre) wird von der Polizei abgeführt. Im Rückblick erzählt der 16-Jährige vom heißen Sommer 1985 in der Normandie, in dem er die Ferien gemeinsam mit seinen Eltern (Isabelle Nanty und Laurent Fernandez) in einem kleinen Ort an der Küste verbracht hat. Als ihn eines Tages ein überraschend aufziehendes Unwetter in seiner kleinen Segeljolle zum Kentern bringt, wird er wie durch ein Wunder von dem um zwei Jahre älteren David Gorman (Benjamin Voisin) gerettet. Dieser nimmt den völlig Durchnässten mit nach Hause, wo er von Davids Mutter (Valeria Bruni-Tedeschi) wie ein eigenes Kind liebevoll versorgt wird.

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Madame Gorman sieht es nicht ungern, wie sich die beiden Jungen anfreunden, hat sie doch schon seit längerem Davids Einsamkeit bemerkt. Er übernimmt immer mehr Pflichten in ihrem Laden „La Marine“, scheint aber auch unter Gleichaltrigen isoliert zu sein. Alex steigt als Ferienjobber in das Geschäft für Fischerei- und Angler-Ausrüstung, in dem auch Urlauber manches Nützliches vorfinden, ein und verbringt immer mehr Zeit mit David, der sich mit Boots- und Motorradfahrten revanchiert. Beide verbindet eine innerliche Verbindung zum Tod, bei David hervorgerufen durch den frühen, von ihm nie verwundenen Tod seines Vaters. Er lässt Alex schwören, dass derjenige von beiden, welcher den anderen überlebt, auf dessen Grab tanzen muss.

Auf einem Rummelplatz kommt es zu einer Schlägerei, nachdem David als Homosexueller beschimpft worden ist. Alex ist am Strand vom 21-jährigen englischen Au-Pair-Mädchen Kate (Philippine Velge) angesprochen und gebeten worden, ihr bei der Auffrischung ihrer Französisch-Kenntnisse zu helfen. Als sie David kennenlernt, ist der um einiges Jüngere Alex bald abgemeldet. Was ihn rasend eifersüchtig macht nach der schönsten Nacht seines Lebens - mit dem 18-Jährigen, dessen Mutter ihn drängt, die Schule zu schmeißen und ganz ins Geschäft einzusteigen.

Das britische Au-pair Kate (Philippine Velge) wird zu einer wichtigen Vertrauten von Alexis (Félix Lefebvre).

Nach einer sehr emotionalen Auseinandersetzung mit Alex baut David einen Motorradunfall mit tödlichem Ausgang – und Alex fühlt sich schuldig. Zudem sieht er sich harten Beschuldigungen von Madame Gorman ausgesetzt: „Du hast ihn umgebracht!“ Wenn es aber ein normaler Verkehrsunfall war, warum schaltet die Behörde das Jugendamt (Aurore Broutin als Sozialarbeiter) ein und befragt seinen Französischlehrer Lefèvre (Melvil Poupaud)? Kate ermöglicht Alex, noch einmal seinen toten Freund in der Leichenhalle zu sehen, bevor er seinen Schwur in die Tat umsetzt und auf Davids Grab tanzt zu den Walkman-Klängen „I am Sailing“ von Rod Stewart. Dabei wird er entdeckt und verhaftet. Alex werden Sozialstunden am Strand aufgebrummt. Dort lernt er einen neuen Freund kennen…

„Das einzig Wichtige ist, dass wir alle irgendwie aus unserer Geschichte kommen!“ sind Alex‘ letzte Worte im Film. Es ist auch der letzte Satz der literarischen Vorlage des Regisseurs François Ozon, des 1982 erschienenen Romans „Dance On My Grave“ („Tanz auf meinem Grab“) von Aidan Chambers. Dessen in einem südenglischen Badeort angesiedelte romantische Geschichte einer großen und besonderen Sommerliebe las Ozon als 17-Jähriger in der französischen Ausgabe „La danse du coucou“ („Der Kuckuckstanz“) und war so von ihr begeistert, dass er sie mit 18 Jahren in seinem ersten Drehbuch adaptierte. Es sollte jedoch 35 Jahre dauern, bis der Film entstand. Passend zu den 1980er-Jahren wurde, wie bei Ozons „Frantz“, auf klassischem Super 16-Film gedreht: „Ich mag diese grobe Körnigkeit, die so spezifisch für diese Art von Filmmaterial ist“, so der Regisseur: „Bei Großaufnahmen der Haut erzielt man sehr schöne, sinnliche Ergebnisse. Die Farben sind subtil, wie man es digital nie erreichen kann.“ Auch der Soundtrack ist ein Trip in diese Zeit.

Le Tréport ist das filmische Äquivalent zu Southend-on-Sea in der Romanvorlage. Ozon hielt es für wichtig, die Geschichte in der sozialen Wirklichkeit dieser Arbeiterstadt in der Haute-Normandie anzusiedeln und damit in einem Ort, der seinen Charakter weitgehend bewahrt hat. Die Homosexualität spielt weder in der Vorlage noch im Film eine entscheidende Rolle: „Alex und David lieben sich, dass beide junge Männer sind, ist nebensächlich. Genau das ist der Grund, warum ich davon träumte, diesen Film sehen zu können, schon als ich ein Teenager war. Ich drehte die Romanze zwischen den Jungen deswegen auf sehr klassische Weise, ohne Ironie, um daraus eine universelle Liebesgeschichte zu machen.“

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Ozons wundervoll lockerer, geradezu unspektakulär-leichter und damit typisch französischer Film lässt Raum für Geheimnisse und öffnet mit bewusst falschen Fährten dem Publikum die Möglichkeit, sich zwischendurch selbst die Geschichte weiterzuspinnen. Nach einhundert Minuten hat Alex erkannt, dass man seine Geschichte, sein Leben annehmen muss, um es überwinden und damit bereit für einen Neuanfang sein zu können. Ursprünglich für die „Sélection Officielle“, den Wettbewerb des Internationalen Filmfestival Cannes 2020 geplant, ist „Été 85“ am 2. Juli 2020 in Lyon uraufgeführt worden und danach auf zahlreichen Festivals (u.a. Venedig) gezeigt worden. Nach der Deutschen Erstaufführung am 2. Juli 2021 beim Filmfest München startet das an Ozons frühere Filme wie „Swimming Pool“ und „Unter dem Sand“ erinnernde charmante Coming-of-Age- Drama „Sommer 85“ am 8. Juli 2021 bundesweit in unseren Kinos, in unserer Region zu sehen im Casablanca Bochum und im Essener Eulenspiegel.

| Quelle: Pitt Herrmann