
Innenansicht einer verschworenen Gemeinschaft
Parallelwelt 'Gotteskinder'
Vor allem junge Leute tanzen begeistert auf einer Party, erst auf den zweiten Blick wird klar, dass Pop-Sound und suggestive Lightshow einen Prediger begleiten, der im Publikum ein Erweckungs-Erlebnis hervorrufen will. Auf der Bühne mit David (scheinheiliger Fanatiker: Mark Waschke) ein ehemaliger Architekt, der sich, beeinflusst durch seine Gattin Esther (die sonst so sanfte Bettina Zimmermann), inzwischen ganz in den Dienst der evangelikalen „Church of Belief“ („Kirche der Überzeugung“) gestellt hat.
Klar, dass auch der Sohn „Timo“ Timotheus (Serafin Giles Mishiev) und seine drei Schwestern Hannah (Flora Li Thiemann), Noemi (Linja Elise Taube) sowie Küken Ruth (Emma Luisa Kriemer de Santos) ganz im behauptet göttlichen Sinn erzogen werden: die Bibel hat mit ihrer Schöpfungsgeschichte recht und nicht irgendein Charles Darwin, die Familie besteht aus Mann, Frau und Kindern, wobei die Frau dem Mann zu gehorchen und nur Interesse für die drei „K“ (Kinder, Küche, Kirche) zu zeigen hat, Abtreibung und Homosexualität sind Teufelswerk.
Reinheit von Körper, Seele und Geist
Es geht um die Reinheit von Körper, Geist und Seele, weshalb für Hannah klar ist, später nur einen Mann aus der Gemeinde zu heiraten und im Kollektiv mit gleichaltrigen jungen Frauen schwört, bis zur Hochzeitsnacht jungfräulich zu bleiben. Als Susanne (Karoline Eichhorn) und ihr bald 18-jähriger Sohn Max (Michelangelo Fortuzzi), die es aus der Metropole Frankfurt/Main die die ungenannte Provinz verschlagen hat, in die unmittelbare Nachbarschaft ziehen, sieht David in der alleinerziehenden Mutter sogleich ein Bekehrungsopfer und setzt zusätzlich Hannah auf ihren neuen Schulkameraden Max an.
Mit Folgen: wird die kleine Ruth noch ausgeschimpft, weil sie sich im Kindergarten mit einem anderen Mädchen „verheiratet“ hat, muss Hannah neben Hausarrest auch körperliche Gewalt ihres Vaters fürchten, wenn dieser herausbekommt, dass Max sie zu ihrem ersten Kinobesuch überhaupt überredet hat und kein Verständnis für ihre Zugeknöpftheit zeigt. Die sich bald lockert, nachdem Hannahs beste Freundin Melissa (Luna Baptiste) mit Adrian (Yuri Yolsch) „geht“ und ihr Keuschheitsgelübde nunmehr schnuppe ist.
Kollektive Dämonen-Austreibung
Das ist freilich gar nichts im Vergleich zu den inneren Qualen, die Timo erleidet in seiner festen Überzeugung, dass Homosexualität gegen Gottes Wille verstößt: Weil er tiefere Gefühle für seinen Fußball-Kumpel Jonas (Lennox Halm) empfindet, will er sich von seinen „unreinen“ Gedanken in einem sogenannten „Seelsorge-Seminar“ der Freikirche befreien.

Timo begibt sich freiwillig in die Hände des von „sexueller Missbildung“ sprechenden Therapeuten Dr. Peter Schäfer (Martin Lindow) und des Pastors Sebastian (Thimo Meitner) – und ahnt nicht, dass auch Jonas an den kollektiven Dämonen-Austreibungen teilnimmt. Was zwangsläufig in eine Katastrophe mündet…
Onanie ist Sünde und Sexualität allein zur Nachwuchszeugung in der Ehe erlaubt: „Gotteskinder“ ist ein packendes Coming-of-Age-Drama, das eindringlich die Auswirkungen von religiösem Fundamentalismus auf die Identität junger Menschen zeigt und tief in die inneren Konflikte einer streng gläubigen Gemeinschaft eintaucht. Durch den mehrfachen Perspektivwechsel von Innen (Hannah und Timo) zu Außen (Max) fängt der Film die innere Zerrissenheit der Jugendlichen zwischen den strengen religiösen Regeln, den Erwartungen der Familie und den eigenen Gefühlen authentisch ein.
Zahlreiche Festival-Preise
Frauke Lodders (Drehbuch und Regie) wurde 1984 in Kassel geboren. Sie schloss im November 2012 ihr Studium Visuelle Kommunikation mit Schwerpunkt Film und Fernsehen an der Kunsthochschule Kassel mit einem Master of Fine Arts mit Auszeichnung ab und arbeitet seither frei. Für ihr Drehbuch zu „Gotteskinder“ erhielt sie 2019 den Hessischen Filmpreis in der Kategorie Bestes Drehbuch.
Nach der Uraufführung am Samstag (25.1.2024) in Saarbrücken gabs beim Max Ophüls-Wettbewerb den Preis der Jugend-Jury, im gleichen Jahr folgten bei zahlreichen Festival-Starts weitere Preise u.a. in Warschau, Chemnitz, Emden-Norderney, beim bayerischen Fünf-Seen-Festival, bei den Ravensburger Filmtagen Oberschwaben sowie in Wiesbaden und Göttingen. Zum Kinostart am Donnerstag, 30. Januar 2025 läuft das 117-minütige Fanatismus-Drama „Gotteskinder“ hierzulande leider nur in der Galerie Cinema Essen.
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- Donnerstag, 30. Januar 2025