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Die streitbare US-Psychologin Elizabeth Loftus hat in großen, weltweit Aufsehen erregenden Prozessen die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen untersucht.

Elizabeth Loftus und die Macht der Erinnerung

Neu im Kino: Memory Wars

Verschwommene Farbaufnahmen, Tagebuchaufzeichnungen aus den 1950er Jahren. An der eigenen Person hat Elizabeth Loftus erforschen können, wie etwa Fotos aus ihrer Kindheit oder Aufnahmen einer Feuersbrunst während der Highschool-Zeit ihre Erinnerungen beeinflussen. Die US-Amerikanerin, 1944 in Los Angeles geboren, erforscht seit den 1970er Jahren die Grenzen und Fallstricke der menschlichen Erinnerung und zählt zu den einflussreichsten Psychologinnen weltweit.

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Was wesentlich mit ihrer wissenschaftlich exakten Beschreibung des „Missinformation Effect“ zusammenhängt. Im Deutschen Fehl- oder Falschinformationseffekt genannt bezeichnet die Sozial- und Rechtspsychologie mit ihm Verzerrungen bei Erinnerungen an bestimmte Ereignisse, die durch Informationen im Nachhinein entstehen. Danach sind menschliche Erinnerungen individuelle Konstruktionen, die durch Einflüsse von außen verändert werden können. Etwa Zeugenaussagen in Gerichtsverfahren durch Vorverurteilungen Angeklagter in den Medien.

Medial inszenierte Prozesse

Ihre Arbeit führt Elizabeth Loftus, die zunächst in Stanford mathematische Psychologie studierte und dabei erste Studien zur semantischen Erinnerung durchführte, in die brisantesten Gerichtsverfahren unserer Zeit, darunter Guantanamo-Prozesse, die Fälle Michael Jackson und Harvey Weinstein sowie viele weitere, in denen es um Mord, sexuellen Missbrauch und systematische Gewalt geht. In diesen medial inszenierten Prozessen hinterfragt Elizabeth Loftus, zumeist im Auftrag der Verteidigung, den Wahrheitsgehalt von Zeugenaussagen und regt damit eine grundsätzliche Debatte um die Beweiskraft von Erinnerungen an.

Nach dem Weinstein-Prozess in New York sah sich Elizabeth Loftus beruflichen und privaten Anfeindungen ausgesetzt, die bis in die eigene Familie reichten. Weshalb sich die Psychologin weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat.

Naturgemäß hat Elizabeth Loftus, die in Wahrnehmungs-Experimenten mit gestellten Unfällen die Widersprüchlichkeit von Augenzeugen, bisweilen nur durch die Wortwahl beeinflusst, nachweisen konnte, mit ihren Stellungnahmen zur Glaubwürdigkeit der Zeugen speziell in den beiden bereits genannten Prozessen, aber etwa auch in den Verfahren gegen Ghislane Maxwell, Ted Bundy, Kevin Spacey und O. J. Simpson Shitstorms in den Sozialen Medien hervorgerufen. Gerade als Frau und Wissenschaftlerin ist sie zur Zielscheibe der MeToo-Aktivistinnen geworden, die der „Söldnerin“ Verrat am eigenen Geschlecht aus rein kommerziellen Gründen vorwerfen. Höhepunkt der Kampagne war der New Yorker Prozess gegen Harvey Weinstein mit der Folge, dass die Psychologin für ein Nachfolgeverfahren in Kalifornien nicht mehr zur Verfügung stand.

Basierend auf ihrer Forschung und Material aus aufsehenerregenden Fällen werfen Caroline Ektander (Konzept) und Hendrik Löbbert (Konzept und Regie) in ihrer 92-minütigen Dokumentation „Memory Wars“, die auf nachgestellte Szenen verzichtet, die Geschichten dafür mit Bildern etwa einer nächtlichen Highway-Fahrt begleitet, einen eindringlichen Blick auf das Spannungsfeld zwischen Wahrheit und Gerechtigkeit – und rücken dabei die Macht der Erinnerung ins Zentrum. Ein Film, der grundlegende Frage stellt, wie „Können wir unserem Gedächtnis trauen?“ oder „Was, wenn das System Dir nicht glaubt?“ – freilich ausschließlich aus der Perspektive Elizabeth Loftus‘.

Der Titel der Dokumentation bezieht sich auf die als „Erinnerungskrieg“ bezeichnete heftig geführte Debatte Mitte der 1990er Jahre zwischen zwei Wissenschafts-Schulen: Eine Gruppe hielt wiedergewonnene Erinnerungen insbesondere an sexuellem Missbrauch generell für wahr und glaubhaft. Eine andere, zu der Elizabeth Loftus gehörte, war der Ansicht, dass Missbrauch auch im Kindesalter nicht verdrängt werden könne. Mit der Folge, dass erst während einer laufenden Therapie aufkommende Erinnerungen extern verifiziert werden müssten.

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Umstrittener Fels in der Brandung

Uraufgeführt am 20. März 2025 beim Dokfilmfestival in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen startet „Memory Wars“ am 11. September 2025 in unseren Kinos in einer englischsprachigen Fassung mit deutschen Untertiteln: Zu sehen im Roxy Dortmund, im Filmstudio Glückauf Essen sowie im Metropol Düsseldorf. In Zeiten wachsender Fake News, KI-unterstützter Polit-Influencer und der Suggestionsmacht angeblich sozialer Medien sollte der Film auch ein deutsches Publikum interessieren, auch wenn das US-Geschworenensystem mit unserem Justizwesen nicht vergleichbar und die Psychologin selbst durchaus angreifbar ist als hochstilisierter Fels der Wissenschaft in der Brandung der Meinungsmacher.

Dienstag, 9. September 2025 | Autor: Pitt Herrmann