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Markus Hartmann (Alexander Ritter) drängt Stephan Ernst (Helge Salnikau) zum Mord an Walter Lübcke.

Der Mord an Walter Lübcke am WLT

Man muss für Werte eintreten

Am 14. Oktober 2015 spricht der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke auf einer Bürgerversammlung in Lohfelden, um über ein Flüchtlingsheim, das in Kürze eröffnet werden soll, zu informieren. Er appelliert mit klaren Worten, die nicht nur seine tiefe Überzeugung ausdrücken, sondern auch auf das gesellschaftliche Grundverständnis von Rechtsstaat und Demokratie verweisen, für die Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Während ein großer Teil des Publikums aufmerksam zuhört, stört eine Gruppe Rechtsextremer vom Kasseler Pegida-Ableger die Veranstaltung und provoziert Lübcke u.a. mit „Scheiß Staat!“-Zwischenrufen.

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„Ich würde sagen, es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten. Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist“: Seine arg auf den letzten Satz verkürzte Antwort sorgt noch in der Nacht in rechten Foren für eine Spirale des Hasses. Vier Jahre später ist Walter Lübcke tot. Erschossen auf der Terrasse seines Hauses. Der Täter, Stephan Ernst, ist bei der Veranstaltung in Lohfelden zugegen gewesen, ein den Behörden bereits seit den 1990er Jahren bekannter Rechtsextremer. Der sich in den Jahren von 2015 bis 2019 radikalisiert hat, auch unter dem Einfluss von Markus Hartmann, dem allerdings keine unmittelbare Beteiligung am Mord nachgewiesen worden ist.

Irmgard Braun-Lübcke (Ulrike Volkers) freut sich auf den bevorstehenden Ruhestand ihres Gatten Walter Lübcke (Neven Nöthig).

Als prominentes Beispiel für eine sich verändernde Gesellschaft und die zunehmende Gewalt- und Mordbereitschaft in der rechtsradikalen Szene hat Christian Scholze, Chefdramaturg am Westfälische Landestheater, mit „Man muss für Werte eintreten. Der Mord an Walter Lübcke“ ein neunzigminütiges Dokudrama verfasst, das in seiner eigenen Inszenierung am 30. August 2023 im WLT-Studio Castrop-Rauxel uraufgeführt worden ist. Zuvor haben mit dem Wuppertaler SPD-Bundestagsabgeordneten Helge Lindh und seinem Fuldaer CDU-Kollegen Michael Brand, einem engen Freund Walter Lübckes, zwei Politiker über persönliche Anfeindungen aus der offenbar wachsenden rechtsradikalen Szene in Deutschland berichtet.

„Ich organisiere nur, ich bin nicht der Entscheider“: Im Einheitsbühnenbild Anja Müllers, ein über die Terrasse des Lübckeschen Wohnhauses gespanntes Tarnnetz assoziiert den offen ausgebrochenen Krieg radikaler Strömungen gegen unsere Demokratie, verdrängt der eher betuliche Repräsentant des Landes (Neven Nöthig, in Herne bekannt durch die fulminante „Tschick“-Produktion des Theaters Kohlenpott) die Sorgen seiner Gattin Irmgard Braun-Lübcke (die Kölner Schauspielerin Ulrike Volkers). Er kann sich nicht vorstellen, dass die Schreihälse tatsächlich zur Tat schreiten: „Wir sind in Kassel. Und ich bin viel zu unwichtig.“

Parallel bearbeitet der so zynische wie wortgewandte Agitator Markus Hartmann (Rottstr5-Theaterleiter Alexander Ritter) den eher zurückhaltenden, auf die Verantwortung für seine Familie pochenden Pegida-Anhänger Stephan Ernst (der Bochumer Rottstr5- und Prinz-Regent-Schauspieler Helge Salnikau), mit dem Mord an Walter Lübcke ein Zeichen zu setzen flankierend zum jüngsten Wahlerfolg der „Alternative für Deutschland“. Aufgepeitscht durch islamistische Attentate in Frankreich und Belgien sowie den Kontrollverlust des Staates in der Kölner Silvesternacht übergibt Hartmann dem späteren Täter eine Pistole…

„Man muss für Werte eintreten. Der Mord an Walter Lübcke“ stellt mit schnellen filmischen Schnitten das Privatleben des überzeugten Christen und konservativen Politikers kurz vor seiner Pensionierung den Gewaltphantasien der Rechten gegenüber. Gerade noch hat Helge Salnikow die Titelrolle in Heinrich von Kleists einst „vaterländisch“ genanntem Schauspiel

„Prinz Friedrich von Homburg“ übernommen in einer Theater-auf-dem-Theater-Szene aus dem Privatleben der Lübckes, da greift er als Stephan Ernst zur Pistole: Christian Scholzes Inszenierung punktet durch Parallel-Montagen bis hin zu direkten Korrespondenzen zwischen den zumeist kurzen szenischen Schnipseln. Und nicht zuletzt mit der Besetzung rein durch Gäste, wobei der souveräne Neven Nöthig am WLT schon fast als „fester Freier“ bezeichnet werden kann.

Eine weitere Aufführung findet am 3. November 2023 um 20 Uhr in der Stadthalle Castrop-Rauxel statt, Karten unter westfaelisches-landestheater.de oder Tel 02305 – 97 80 20.

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  • Freitag, 3. November 2023, um 20 Uhr
Donnerstag, 31. August 2023 | Autor: Pitt Herrmann