halloherne.de lokal, aktuell, online.
Wolf-Michael Bühlmann.

von Wolf-Michael Bühlmann - Vorwort: Helge Kondring

Kommentar zum Abstieg einer ganzen Region

In Herten kennen ihn viele als Hausmeister Skiskibowski im bis 2013 Jahr für Jahr immer ausverkauften Stadtkabarett Jetz ma ehrlich. Doch die Wirklichkeit hat den Kabarettisten Wolf-Michael Bühlmann und seine Mitstreiter von der Hermann-Schäfers-Stiftung schon lange eingeholt. Seit einem Vierteljahrhundert beobachtet der jetzt 73-Jährige den ebenfalls Jahr für Jahr fortschreitenden Niedergang nicht nur Hertens sondern des gesamten Kreises Recklinghausen. Und Bühlmanns Heimatstadt Herne an der südlichen Kreisgrenze, wo er seine Jugend bis zum Abitur verbrachte, geht es wirtschaftlich und strukturell mindestens genauso schlecht.

Der siebenseitige Zukunftsatlas 2013, im Auftrag des Handelsblatts vom angesehenen Berliner Institut Prognos erstellt und eigentlich Pflichtlektüre zum Thema "Deutschlands Regionen im Zukunftswettbewerb" brachte Wolf-Michael Bühlmann zum Handeln.

In der "To-do-Liste der Absteiger" rangierte der Kreis Recklinghausen im unteren Viertel des Rankings mit insgesamt 402 kreisfreien Städten und Kreisen hinter dem Vogtlandkreis und dem Odenwaldkreis auf Platz 339 (2010 noch 324 und 2004 noch 259), und der südliche Nachbar Herne rangiert sogar noch weiter unten auf Platz 366 (2010 noch 348 und 2004 noch auf 290). Bühlmann schrieb erst mal einen Brief an mehr als ein Dutzend Landes- und Bundespolitiker. Und dann schrieb er noch mal zum Thema für unsere Portale Herten, Recklinghausen und Herne:

"Die Kassen sind leer, und NRW hat den höchsten Schuldenstand aller Bundesländer. Erhält die derzeitige Landesregierung jetzt die Quittung für Misswirtschaft? Ja, aber. An der Finanznot sind alle Landesregierungen nach den achtziger Jahren gleichermaßen schuldhaft beteiligt. Warum?

Nach dem Ende von Kohle und Stahl blieb die erforderliche gesamtpolitische und gesamtstaatliche Reaktion für die Wirtschaftsregion Ruhrgebiet aus. Das Ruhrgebiet entwickelte sich ohne ein übergeordnetes Aufbaukonzept des Landes und des Bundes von einer stolzen nationalen Kraftquelle mit sprudelnden Steuereinnahmen für den Landeshaushalt und hohen Förderbeiträgen für andere Bundesländer dank eines schwer kranken Arbeitsmarktes zum stotternden Hilfsmotor. Die Überschuldung des Landes ist die logische Konsequenz, wenn hohe Steuereinnahmen wegbrechen. Jeder Fünftklässler hätte das voraussagen können.

Jetzt steht nicht nur die Landesregierung vor riesigen Problemen sondern auch Hunderttausende von Menschen, deren Heimat unsere Region ist. Die zwanghafte Vollbremsung bei Bergbau und Stahl vernichtete zigtausende von Arbeitsplätzen, die nur zu einem Bruchteil wieder neu heranwuchsen. Ein starkes Stück Deutschland blutet aus, und die Menschen der Region müssen erleben, dass sich ihre soziale Situation weiter zuspitzt, weil seit 30 Jahren 'gewurstelt' wird. Es ist 30 Jahre nach zwölf.

Besonders betroffen ist die ehemals nahezu monopolistisch ausgerichtete Nordregion, der Kreis Recklinghausen. Die Menschen hier erwarten das Aufbaukonzept Emscher-Lippe, denn sie bezahlen fortlaufend mit höchster Arbeitslosigkeit, einer katastrophalen Ausbildungssituation, Altersarmut, ungerechtfertigten Abgaben und Steuern, und sie quittieren das durch Abwanderung. Die Zahl der überschuldeten Personen im Kreis ist mit weit über 60.000 Personen größer als die Einwohnerzahl Hertens. Die Durschnittseinkommen liegen am Ende der NRW-Tabelle.

Die Autoren der Wirtschafts- und Sozialstudie der Berliner Prognos AG schreiben: "Die regionalen Unterschiede in Deutschland sind größer als die zwischen Griechenland und Deutschland." Oder "Die Gleichheit der Lebensverhältnisse in Deutschland ist nur Illusion" und "Das Ruhrgebiet zählt zu den Regionen mit den höchsten Zukunftsrisiken in Deutschland."

Wann wollen Frau Kraft, Herr Gabriel und Frau Merkel mit den Menschen hier reden? Vor allem, was soll getan werden?

Eine 'schwarze Null' für Herrn Schäuble kann keine heilige Kuh sein, wenn eine ganze Region bis zum Hals im Wasser steht und den Ost-Soli mit schmerzhaften Krediten mitfinanzieren muss. Es muss endlich gehandelt werden. Die Region sind wir. Die Menschen hier haben Gesichter und echte Probleme. Wenn die politische Vernunft der großen Volksparteien versagt, Verbände nichts bewirken, die Kommunalpolitik resigniert, müssen die Bürger ihren Protest sichtbar machen: Friedlich, sympatisch, entschlossen, dauerhaft, Monat für Monat zum gleichen Termin an gleicher Stelle."

Montag, 1. Dezember 2014