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„The Harmonica Orchestra of Life“: Yu-Chi Chen, Tanit Cobas, Alessio Monforte, Pablo Navarro Muñoz, Hilla Regev Yagorov und Eleonora Robson vereinen sich zur zentralen Choreographie des „Kometen“-Abends am MiR.

Verblüffende Vielfalt am MiR

„Kometen“ begeistern die Ballettfreunde

Kometen überstrahlen nicht nur andere Sterne im Weltall. Ihr Schweif aus Eis- und Staubteilchen, die im Sonnenwind wirbeln, ziehen nicht nur Astronomen magisch an, sondern haben bei den Menschen zu allen Zeiten Hoffnungen oder Befürchtungen ausgelöst. Im allgemeinen Sprachgebrauch stehen sie für einen rasanten, sprichwörtlich: kometenhaften Aufstieg. Diese besonderen Himmelskörper stehen Pate für einen Abend am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier, der eine neue Choreographie der renommierten Israelin Or Marin mit fünf Stücken junger Mitglieder der MiR Dance Company vereint. Als bindendes Glied innerhalb einer kleinen Rahmengeschichte fungiert Joonatan Zaban, der im Astronauten-Look auf Segway-Rädern unterwegs ist.

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Zum Auftakt vier Stücke von Angehörigen der Compagnie Giuseppe Spotas. Gut 17 Jahre nach Bernd Schindowski geht es Pablo Navarro Muñoz im gleichnamigen Stück „Insomnia“ nicht um Leben und Sterben sowie den Schlaf als Abbild des Todes, sondern um schlaflose Nächte, weshalb sich Dex van ter Meij und Pablo Navarro Muñoz, warum auch immer mit hijabähnlicher Badekappe bedeckt, in Schlafanzügen bewegen, sich recken und strecken, bevor sie ihre Müdigkeit abschütteln und sich zum intimen Pas de deux vereinen zur Musik von Fernando Carega.

Universeller Lebenszyklus

„Schmetterling 3000“: Dex van ter Meij tane tanzt mit seiner Compagniekollegin Eleonora Robson in seiner eigenen Choreographie.

In „Two Voices & a Choice“ von Urvil Shah geht es um den universellen Zyklus des Lebens, den die hinduistische Mythologie in vier Zeitalter unterteilt. Danach leben wir jetzt in der letzten Ära, „Kali-Yuga“, in der in jedem Menschen ein Gott und ein Monster wohnen. „Ich bin verwirrt, wirklich verwirrt und auch müde“: Die zwei ständig miteinander ringenden Stimmen tanzen Marie-Louise Hertog (u.a. auf einem Tisch, der auch als Resonanzkörper dient) und Hilla Regev Yagorov (die sich aus einem Plastik-Kokon schält), bis sie sich am Ende schlangenartig verknoten. Zu indischer Musik, komponiert von Adriel George, interpretiert vom in den Niederlanden lebenden Tabla-Spieler Tarang Poddar.

Dex van ter Meij hat sechs Jahre im dichtbesiedelten Vancouver an der Westküste Kanadas gelebt. Das unmittelbare Nebeneinander von Arm und Reich hat ihn zu seiner kafkaesken Großstadtballade „Schmetterling 3000“, die er auch zusammen mit Eleonora Robson tanzt, inspiriert. Der Utopie eines harmonischen Miteinanders unterschiedlichster Kulturen ist elektronische Musik des Franzosen David Letellier und ein Indie-Pop-Mix der US-Amerikanerin Caroline Polachek unterlegt, während Dex van ter Meijs Pelzkostüme am 2003 produzierten Sprechgesang „Fremd“ des Chemnitzers Olaf Bender orientieren.

Geheime Gedanken der Tänzer

„Ich bin es leid, Freude am Schmerz zu empfinden. Ich bin es leid, dass mein Rücken schmerzt. Ich bin es leid, jeden Tag Pillen nehmen zu müssen, um meinen Körper zu betäuben“: Tanit Cobas konfrontiert uns in seiner Enthüllungs-Choreographie „The Exposure“, die er zusammen mit Pablo Navarro Muñoz tanzt, mit den geheimen Gedanken, Sorgen und Nöte eines Berufsstandes, der stets jung, athletisch und mit einem Lächeln auf den Lippen vor das Publikum zu treten hat. Er ist es müde, als „ein saftiges Stück Fleisch“ an der Rampe zu posieren und sich selbst zu verstecken.

Der höchst abwechslungsreiche, in seiner Vielfalt spannende und immer wieder verblüffende Abend, der am 20. Januar 2024 im Kleinen Haus am Kennedyplatz umjubelte Premiere feierte, erreicht seine beiden Höhepunkte nach der Pause. Camilla Bizzi und Chiara Rontini agieren geradezu artistisch mitten im Parkett des Kleinen Hauses in Alessio Monfortes zunächst stummem Stück „In This Mesh“. Thema ist das Gittergewebe, das Netzwerk, das die Welt zusammenhält: „Wenn das Geflecht, dessen Generatoren wir sind, jemals gelöst würde, würde das Universum etwas Wärme verlieren, und es wäre ein kälterer Ort.“ In weichen, harmonischen und immer rasanter werdenden Bewegungen zur Musik des griechischstämmigen Briten Alexis Kozobolis („Weightless“) und des US-Amerikaners Christopher Willits fliegen die Körper beider Tänzerinnen virtuos aufeinander zu, fließen nahezu ineinander.

Das Atmen der Tänzer

„The Exposure“: Tanit Cobas tanzt mit ihrem Ensemblekollegen Pablo Navarro Muñoz in ihrer eigenen Choreographie.

Bei der „Rotterdam International Duet Choreography Competition“, dem weltweit größten Wettbewerb für Choreografien von Tanz-Duetten, gewann Or Marin 2023 den Partner Award der MiR Dance Company. Mit sechs Gelsenkirchener Tänzern, Yu-Chi Chen, Tanit Cobas, Alessio Monforte, Pablo Navarro Muñoz, Hilla Regev Yagorov und Eleonora Robson, hat die renommierte israelische Choreographin nun „The Harmonica Orchestra of Life“ kreiert. Die Weiterentwicklung ihres Duetts „Breath with Me a Moment“ rückt das Atmen der Tänzer in den Mittelpunkt, musikalisiert und dadurch nicht nur akustisch höchst effektvoll verstärkt durch den zumeist paarweisen Einsatz dreier Mundharmonikas.

Drei Paare in ständig neuer Zusammenstellung erzeugen durch ihr gemeinsames Atmen einen besonderen Klang der Intimität, wobei für Or Marin das Instrument „als Soundtrack für die Körper, die sich auf menschliche, abstrakte oder sinnliche Weise aufeinander einlassen“ auslösendes Moment der Bewegung ist. Die israelische Choreographin hat die ursprüngliche Frage nach der Intimität zwischen zwei Menschen zusammen mit der MiR-Compagnie zu Fragen nach der sozialen und emotionalen Verantwortung des Menschen für die Gesellschaft erweitert. Eine rasante Aufeinanderfolge von Soli, Pas de deux, Pas de trois münden in schier atemlose Gruppenchoreographien und eine Chorus Line zum 1988er Liebeshit „Eternal Flame“ der Gruppe „The Bangels“. Bloß nicht verpassen!

Weitere Vorstellungen im Kleinen Haus des MiR

  • Sonntag, 28. Januar 2024, 18 Uhr
  • Donnerstag, 15. Februar 2024, 19:30 Uhr
  • Freitag, 16. Februar 2024, 19:30 Uhr
  • Freitag, 23. Februar 2024, 19:30 Uhr

Zum besseren Verständnis sollten sich Theaterbesucher vorab im Netz das Programmheft herunterladen. Karten ab 15 Euro an der Theaterkasse im Musiktheater (Montag und Samstag von 10 bis 14 Uhr, Dienstag bis Freitag jeweils von 10 bis 18:30 Uhr), im Netz unter musiktheater-im-revier.de oder unter Tel 0209 – 40 97 200.

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  • Sonntag, 28. Januar 2024, um 18 Uhr
  • Donnerstag, 15. Februar 2024, um 19:30 Uhr
  • Freitag, 16. Februar 2024, um 19:30 Uhr
  • Freitag, 23. Februar 2024, um 19:30 Uhr
Montag, 22. Januar 2024 | Autor: Pitt Herrmann