Letzter Film von Regisseur Wolfgang Becker
Kino-Tipp: 'Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße'
„Opa-Zeit“ am Vormittag? Nicht für Micha Hartung (Charly Hübner), der in seiner Videothek „The Last Tycoon“ im Prenzlauer Berg nach durchzechten Nächten gerne bis in die Puppen schläft. Doch diesmal steht mit Alexander Landmann (Leon Ullrich) ein Redakteur des „Fakt“-Magazins vor der geschlossenen Tür, der so schnell nicht aufgibt.
Ist er bei Recherchen für eine Sonderausgabe zum dreißigsten Jahrestag des Mauerfalls doch in den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit auf den seinerzeitigen stellvertretenden Stellwerkmeister am Bahnhof Friedrichstraße gestoßen und wittert die einmalige Chance einer großen Story, die ihn bei seinem Chef (Arnd Klawitter) wieder ins Gespräch bringt.
Akte 'Totes Gleis'
Micha, dessen Geschäfte durch die Streaming-Portale immer schlechter laufen, versteht sich darauf, den Preis für die Geschichte von 400 auf 2.000 Euro in bar hochzuschrauben, wohl wissend, dass der Stasi-Oberleutnant Fritz Teubner (Peter Kurth) die Akte „Totes Gleis“ seinerzeit manipuliert hat.
Bald zum „ostdeutschen Oscar Schindler“ hochstilisiert gewinnt Micha selbst in den Augen seiner Tochter „Lenchen“ Natalie (Leonie Benesch) an Reputation: Er soll am frühen Morgen des 23. Juni 1984 bewusst eine Weiche falsch gestellt haben, sodass 127 Fahrgäste aus dem Ostteil der Stadt unverhofft in West-Berlin landeten.
Reißerische Titelstory
An der reißerisch aufgemachten Titelstory Landmanns stimmt eigentlich nur, dass Micha Hartung nach zweitägiger Haft im gefürchteten Stasi-Knast Hohenschönhausen vor fast 35 Jahren unterschreiben musste, niemals ein Wort über die wahren Ereignisse zu verlieren. Weil in unserer medialen Zeit nur die „Emotionalität der Fakten“ zählen, muss Micha tunlichst verschweigen, niemals gefoltert worden zu sein und im Grunde auch gar nicht unter dem DDR-Regime gelitten zu haben.
So wird Micha bis hin zum Bundespräsidenten (Bernhard Schütz) herumgereicht und landet schließlich bei Mona Schönbaum (Annabelle Mandeng) in ihrer populären Live-Talkshow „Mona am Abend“ an der Seite solcher prominenter Ossis wie Eiskunstlauf-Star Kati Witt. Im Publikum verfolgt die Staatsanwältin Paula Kurz (Christiane Paul) die immer ausschweifenderen Erzählungen Michas mit wachsender Spannung: Saß sie doch als kleines Mädchen in besagter S-Bahn, was ihr bisheriges Leben damals völlig auf den Kopf gestellt hat.
Intellektuelle Traumfrau
Sie gibt sich nach der Sendung gegenüber ihrem „Retter“ zu erkennen – und Micha ist sicher, seiner Traumfrau gegenüberzustehen. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass sich diese erfolgreiche, kluge und witzige Intellektuelle für einen einfachen Mann wie ihn interessieren könnte – und fühlt sich wie im siebten Himmel. Weshalb er glatt die schmachtenden Blicke seiner Nachbarin Beate (Eva Löbau) übersieht. Nun soll seine Geschichte sogar als TV-Serie mit Alex Allonge (Daniel Brühl) in der Hauptrolle verfilmt werden.
Die Wende kommt mit dem Angebot, im Deutschen Bundestag die Rede am Mauerfall-Gedenktag zu halten. Dafür war eigentlich der Bürgerrechtler Harald Wischnewsky (Thorsten Merten) vorgesehen, der sich nun seiner enttäuschten Gattin Sybille (Heike Hanold-Lynch) erklären soll, wofür es keine Erklärung gibt. Doch die Rettung naht in Person von Holger Röslein (Dirk Martens) vom „Dokumentationszentrum Unrechtstaat DDR“…
Herzerwärmende Komödie
„Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“, im Oktober und November 2024 in Leipzig, Berlin und Umgebung gedreht, wobei der Reichstag und das Schloss Bellevue, der Sitz des Bundespräsidenten, tabu waren, ist eine herzerwärmende Komödie über Geschichte als Mythos, die Tücken deutscher Erinnerungskultur und das Leben als Spiel des Erinnerns, Vergessens und Erfindens.
Das 112-minütige, höchst unterhaltsame Lehrstück über die Hierarchie der Geschichtsschreibung ist die Adaption des im März 2022 erschienenen gleichnamigen Romans von Maxim Leo – und zugleich der letzte Film von Wolfgang Becker, der mit „Good bye, Lenin!“ Kinogeschichte geschrieben hat und kurz nach Sichtung der ersten Rohschnittfassung verstorben ist.
Virtuoses Spiel mit den Zeitebenen
Weshalb Beckers künstlerische Wegbegleiter, Regisseur Achim von Borries und Produzent Stefan Arndt, den Film, der virtuos mit den Zeitebenen spielt, in Wolfgang Beckers Sinne zu Ende gebracht haben. Mit einem außerordentlichen Cast, der noch einmal langjährige Ensemblemitglieder von Wolfgang Becker vor der Kamera Bernd Fischers versammelt. Genau ein Jahr nach dem Tod des 1954 im westfälischen Hemer geborenen Filmemachers („Das Leben ist eine Baustelle“, „Ich und Kaminski“) kommt „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ am Donnerstag, 11. Dezember 2025 in die Kinos. Bei uns zu sehen im Casablanca und Union Bochum, im Eulenspiegel Essen, in der Lichtburg Oberhausen sowie im Cinema Düsseldorf.
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- Donnerstag, 11. Dezember 2025