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Innerhalb von einem Jahr wurde der Impstoff gegen das SARS-CoV-2-Virus entwickelt.

Genbasierte Impfstoffe - mRNA-Impfstoffe

Impflexikon 8 - 3

Weiter geht es mit dem Thema Impstoffe von unserem Doc. In seiner vorletzten Folge geht Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey auf die genbasierten Impfstoffe - mRNA - ein. Innerhalb von weniger als einem Jahr wurden hoch effektive Impfstoffe gegen das SARS-CoV-2-Virus entwickelt. Wenn man dies vor 10 Monaten prognostiziert hätte, wäre man wahrscheinlich belächelt worden. Einen besonderen Entwicklungssprung stellen die mRNA-Impfstoffe dar.

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Im Jahre 1999 promovierte der Biologe Ingmar Hoerr in Tübingen mit dem Thema: „RNA-Vakzine zur Induktion von spezifischen cytotoxischen T-Lymphozyten und Antikörpern“. Das Thema sieht so aus, als hätte er von Anfang die Idee gehabt, aus RNA-Molekülen Impfstoffe zu entwickeln. Aber so war es wohl nicht.

Der Gedanke, einen tierischen Organismus so zu programmieren, dass er selbst ein Antigen produziert, aufgrund dessen er Antikörper gegen Krankheitserreger entwickeln kann, ist schon vor mehr als 30 Jahren aufgekommen. Zunächst war man allgemein darauf fokussiert, den Bauplan für ein entsprechendes Antigen in ein DNA-Molekül einzubauen. Damit experimentierte auch Hoerr. Er verabreichte eine DNA-Vakzine Mäusen. Um zu kontrollieren, wie stark eine Wirkung ist, erfolgt normalerweise ein Vergleich mit einer Negativ-Kontrollsubstanz ohne Wirkung, meist Kochsalz. Hoerr nahm stattdessen RNA, ein Molekül, das natürlich im Körper vorkommt, aber sehr instabil ist. Zu seiner Überraschung löste die RNA eine viel stärkere Immunreaktion als die DNA aus. Es dämmerte ihm, dass er auf eine große Sache gestoßen war. Im Jahre 2000 gründete er mit seinen Professoren Günther Jung und Hans-Georg Rammensee, seinen Studienkollegen Steve Pascolo und Florian von der Mülbe CureVac. Angeblich wollte Boris Palmer, der zur gleichen Zeit in Tübingen studierte, damals übrigens Anteile an CureVac erwerben. Hoerr habe ihm das damals ausgeredet, weil er wohl ahnte, dass es noch Jahrzehnte dauern würde, bis sich das - vielleicht – mal lohnen könnte. Angeblich trägt Palmer ihm das, angesichts der gegenwärtigen Entwicklung des Unternehmens an der Börse verständlich, heute noch nach.

Aber ohne diesen jungen Doktoranden, der fast zufällig während seiner Promotion zum visionären Wissenschaftler wurde, gäbe es wahrscheinlich heute keinen mRNA-Impfstoff, weder von Biontech noch von Moderna. Ich könnte mir denken, dass irgendwann bei der Verleihung des Nobel-Preises auch der Name Ingmar Hoerr ins Spiel kommt.

Wie funktionieren mRNA-Impfstoffe?

mRNA steht für messenger-Ribonukleinsäure, auch als Boten-RNA bezeichnet. Grundsätzlich ist mRNA kein Fremdstoff in menschlichen Zellen. Dort kommt sie permanent zum Einsatz. Sie ist für die Produktion jeglicher Art von Proteinen entscheidend. Dafür wird ein Teil der DNA im Zellkern abgelesen, in die Boten-RNA übersetzt und zu den Protein-Fabriken der Zelle, den Ribosomen, geschickt.

Eigentlich wurde in den letzten Jahrzehnten das Prinzip der mRNA-Impfung in der Krebsforschung untersucht. Auch bei diesen Krankheiten können spezifische Antigene das Immunsystem aktivieren und so eine schützende Immunantwort erzeugen. Dort arbeitet man an personalisierten Impfstoffen, die maßgeschneiderte Antikörper produzieren gegen die speziellen Tumoren von betroffenen Patienten.

Bei herkömmlichen Impfstoffen wird das Antigen selbst gespritzt. Bei mRNA hingegen spritzt man nur die nackte genetische Information. Der Impfstoff mit der mRNA verteilt sich in nur relativ wenigen Körperzellen an der Injektionsstelle. Nur in diesen Zellen wandert die mRNA zu den Ribosomen. Die sind nicht wählerisch. Wenn ihnen eine körperfremde mRNA angeboten wird, nehmen sie die auch und produzieren das, was der genetische Code beinhaltet, ggf. auch körperfremde Proteine oder neue Viren. Nur in dem kleinen Bereich der Injektion baut der Körper dann für eine kurze Zeit die Produktion für das Antigen auf. Im Falle der SARS-CoV-2-Viren sind das die Spike-Proteine. Das reicht, um eine ausreichende Immunantwort zu erzielen. Kommt er dann zu einem späteren Zeitpunkt z.B. mit dem neuartigen Coronavirus in Kontakt, erkennt das Immunsystem das Antigen wieder und kann das Virus gezielt bekämpfen.

Was auf den ersten Blick einfach erscheint, ist in der Praxis deutlich komplizierter. Man muss schon einige Tricks anwenden, um eine Zelle zu überlisten. Da die mRNA nur eine Botenfunktion hat, wird sie schnell abgebaut. Das geschieht sogar so schnell, dass man lange daran zweifelte, ob mRNA überhaupt medizinisch eingesetzt werden kann. Vor allem technisch misslungene mRNA (das kommt auch vor) aus der eigenen zellulären Produktionsmaschinerie wird abgebaut, bevor sie zu den Ribosomen gelangen und dort Unheil stiften kann. Das gleiche geschieht mit einer fremden mRNA, die nicht mit den spezifischen Finessen eines infektiösen Virus ausgestattet ist. Die Anwesenheit fremder mRNA lässt also normalerweise die zellulären Alarmglocken schrillen. Die mRNA im Impfstoff wurde deshalb so modifiziert, dass sie für eine ausreichende Zeit unsichtbar für die zellulären »Aufpasser« bleibt. Zu diesem Zweck wird sie in winzig kleine Fettkügelchen, sog. Lipidnanopartikel verpackt. Die schleusen die empfindliche mRNA nicht nur in die Zelle, sondern schützen sie auch davor, vorzeitig von Enzymen, die überall im Körper vorkommen, abgebaut zu werden. So kann sie eine Weile abgelesen und in antigen wirkende Spike-Proteine übersetzt werden. In umfangreichen Studien wurde nachgewiesen, dass die Lipidnanopartikel unschädlich sind.

Eine Zelle, die das Spike-Protein produziert, präsentiert Fragmente davon auf ihrer Außenseite. Diese Bruchstücke veranlassen die Immunzellen, sich auf das Antigen einzuschießen. Manche entwickeln sich zu Gedächtniszellen, andere bilden neutralisierende Antikörper gegen das Spike-Protein und das Virus. Gleichzeitig wird die Zelle, die mit ihren Ribosomen aus der Reihe tanzt, abgetötet. Auch das machen die T-Zellen.

Der entscheidende Vorteil des mRNA-Prinzips besteht in ihrer vergleichsweise einfachen Struktur. Dadurch kann sie mit modernen gentechnischen Verfahren relativ leicht hergestellt werden. Allein das ist schon ein klarer Vorteil. Innerhalb weniger Wochen können Millionen von Impfdosen produziert werden.

Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass dem Verfahren wie der Herstellung von Vektorvirus-Impfstoffen ein standardisiertes Verfahren zugrunde liegt. Dadurch kann innerhalb kurzer Zeit auf neue Infektionen reagiert werden. Man benötigt nur den genetischen Bauplan eines Antigens, um daraus den Impfstoff zu entwickeln. Das ist gerade bei Viren mit einer starken Neigung, Mutanten mit veränderter Mutagenität zu entwickeln, bedeutsam. Obwohl das gerade heiß diskutierte „englische“ Corona-Virus genauso von den aktuellen Impfstoffen erfasst wird wie die bisherigen Varianten, lässt mich die Anpassungsfähigkeit der neuartigen mRNA-Vakzinen relativ entspannt in die Zukunft blicken.

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Impfreaktionen und Impfkomplikationen im allgemeinen sowie die Risiken und Nebenwirkungen der neuartigen Impfstoffe im Besonderen und weshalb gerade unter diesem Aspekt die mRNA-Impfstoffe einen so dramatischen Entwicklungssprung darstellen, werde ich in der nächsten Kolumne erörtern.

| Autor: Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey