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Mehr als nur drei Männer im Schnee in der furiosen Revue-Operette im Stil der amerikanischen Screwball-Komödien.

Revue-Operette begeistert in Gelsenkirchen

Drei Männer im Schnee

„Tobler besitzt viele Millionen. Aber er ist kein Millionär“: Geheimrat Eduard Tobler (Paradepartie für den Erzkomödianten Joachim G. Maaß), der eine noble Villa an der Allee zwischen Halensee und Hundekehle in Berlin bewohnt, hat vor 15 Jahren einen Onkel beerbt und sich seither um nichts gekümmert. Weder um die Banken, Warenhäuser und Fabriken, die zu seinem Imperium gehören, noch um die schlesischen Bergwerke, die Hochöfen an der Ruhr oder seine Schifffahrtslinien.

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Dafür hat er sich, inkognito als Eduard Schulze, an einem Preisausschreiben seiner Putzblank-Werke beteiligt und den zweiten Preis gewonnen: zehn luxuriöse Urlaubstage im Grandhotel Bruckbeuren. „Schulze ist ein anderes Wort für Freiheit, für Glück“: Der Multi-Millionär verkleidet sich als armer Schlucker, um unerkannt in die Alpen zu reisen. Ein großes Kind auf Abenteuerfahrt. Womit er weder auf Verständnis bei seiner Tochter Hilde (Bele Kumberger) noch gar bei seiner langjährigen Haushälterin Kunkel („Hausdamen, die bellen, beißen nicht“: Christa Platzer) stößt: Insgeheim wird der Bruckbeurer Hoteldirektor Kühne (glänzt nicht nur hinter den Kulissen, sondern auch auf seinen Brettern: MiR-Intendant Michael Schulz) instruiert.

Mit Ovationen gefeiert: Joachim G. Maaß als Multimillionär Eduard Tobler undercover.

„Karl der Kühne“, zumindest bei Erich Kästner selbst ein Hallodri von Junggeselle, der tagsüber auf der Skipiste und abends bei seinen alleinstehenden weiblichen Gästen auf der Tanzfläche seinen Mann steht, während sein erster Portier Polter (Bass der Extraklasse: Philipp Kranjc) den Nobelladen schmeißt, ist ganz Ohr: solche Exzentrik ist ganz nach seinem Geschmack. Er erkennt sogleich in Dr. Fritz Hagedorn (Sebastian Schiller), erster Preisträger des Wettbewerbs um den besten Reklameslogan und seit Jahren arbeitsloser Werbefachmann, weshalb sein Habitus arge Gebrauchsspuren aufweist, den verkappten Millionär.

Fritz, der in Berlin vergeblich auf eine Barvergütung der Reise hoffte, könnte sich im siebten Wintersport-Himmel fühlen: geräumige Suite samt täglichem Masseur und allen nur denkbaren Annehmlichkeiten einer Luxusherberge, in der nur betuchte Stammgäste aus ganz Europa absteigen. Andererseits fühlt sich der nicht nur von Frau Casparius, der mannstollen Gattin eines Bremer Zigarrenfabrikanten (hier als mondäne Frau Calabré: Anke Sieloff), umlagerte Hagedorn wie im falschen Film - und gänzlich fehl am Platze. Ist er doch weder ein Freund deftiger Hausmannskost (Buletten mit Senf) noch eines heißen Ziegelsteins im Bett. Von (Siam-) Katzen dortselbst ganz zu schweigen.

Johann Kesselhuth (Mark Weigel), Toblers langjähriger Kammerdiener, begleitet seinen Herrn als wohlhabender Adliger ins verschneite Alpenparadies, um für diesen, dem Portier Polter eine zugige, ungeheizte Dachkammer zugewiesen hat, das Menschenmögliche zu tun. Heimlich versteht sich. Der Millionär hat derweil im armen Schlucker Hagedorn einen Freund fürs Leben gefunden und genießt geradezu jede Demütigung durch die Hotelleitung. Gerade noch rechtzeitig vor dem großen Silvesterball trudeln Hilde Tobler und Claudia Kunkel ein...

„Drei Männer im Schnee“ (1934), neben „Die verschwundene Zeit“ (1935) und „Der kleine Grenzverkehr“ (1938) zu den, so der Autor selbst, „humoristischen Romanen“ Erich Kästners gehörend, wurde in der dunkelsten Zeit Deutschlands unter dem Pseudonym Robert Neuner geschrieben, publiziert und für die Bühne adaptiert. 1934 in Bremen uraufgeführt und noch im gleichen Jahr in Bochum nachgespielt, kam dort 80 Jahre später eine fulminante Neuinszenierung Christian Breys heraus. Pointiert geschriebene Szenen wie der gemeinsame nächtliche Bau des Schneemannes Kasimir schrien geradezu nach einer Verfilmung, weshalb Metro Goldwyn Mayer gleich nach dem Krieg die Filmrechte der ersten beiden Romane erwarb.

Nun ist unter der zupackenden musikalischen Leitung des 1. Kapellmeisters Peter Kattermann die Revue-Operettenfassung des Kabarettisten Thomas Pigor, die Auftragsarbeit des Münchner Gärtnerplatz-Theaters erlebte am 31. Januar 2019 dort ihre Uraufführung, in einer furiosen, an die amerikanischen Screwball-Komödien erinnernden Inszenierung Sandra Wissmanns am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier herausgekommen – und nach gut zweieinhalb atemberaubenden Stunden am Premierenabend des 24. September 2022 in Ovationsstärke gefeiert worden. Neben Pigor zeichnen Konrad Koselleck, Benedikt Eichhorn und Christoph Israel für die grandiose Melange aus Swing und Jazz, Hanns Eislers Brecht-Vertonungen, der von Barrie Kosky wiederbelebten Berliner Operette und den Hits der 1930er Unterhaltungsmusik verantwortlich, zudem sorgen Volksmusikanklänge und Mozart-Zitate für österreichisches Lokalkolorit.

„Jeder der sieben Sterne ist hart verdient“: Michael Schulz als Hoteldirektor Kühne ist allein das Eintrittsgeld wert. Um hier nicht zu viel zu verraten von der schenkelklopfenden Riesengaudi: in Britta Tönnes wandelbarer Kulisse und Beata Kornatowskas Kostümen der 1930er Jahre agiert ein Klasse-Ensemble, das den eigenen Spaß am turbulenten Geschehen eins zu eins über Rampe und Graben bringt. Es brennt geradezu ein Feuerwerk an heiteren Miniaturen und saukomischen Verwechslungen ab - von Rüdiger Klimm als Leipziger Tierhändler Seidelbast über Philipp Kranjc als weanerisch überheblicher Portier bis hin zum Brüderpaar Tobias Glagau/Frank Wöhrmann als alpenländische Stimmungskanonen.

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Ein so noch nie gesehener Stepptanz auf Skiern ist genau der richtige Blödsinn, um uns die Katastrophen dieser Zeit vorübergehend vergessen zu lassen. Karten für die weiteren Vorstellungen bis Ende Januar 2023 unter musiktheater-im-revier.de oder Tel 0209 – 40 97 200.

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  • Donnerstag, 29. September 2022, um 19:30 Uhr
  • Sonntag, 9. Oktober 2022, um 18 Uhr
  • Samstag, 15. Oktober 2022, um 19:30 Uhr
  • Sonntag, 16. Oktober 2022, um 16 Uhr
  • Freitag, 28. Oktober 2022, um 19:30 Uhr
  • Samstag, 29. Oktober 2022, um 19:30 Uhr
  • Sonntag, 13. November 2022, um 18 Uhr
  • Samstag, 19. November 2022, um 19:30 Uhr
  • Sonntag, 20. November 2022, um 18 Uhr
  • Freitag, 25. November 2022, um 18 Uhr
  • Sonntag, 27. November 2022, um 18 Uhr
  • Samstag, 10. Dezember 2022, um 19:30 Uhr
  • Sonntag, 25. Dezember 2022, um 18 Uhr
  • Samstag, 31. Dezember 2022, um 18 Uhr
  • Samstag, 28. Januar 2023, um 19:30 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann