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Orfeo (Constanze Jader) in der zwischen Halfpipe, Boulderwand und kanalisiertem Umweltfluss Lethe chargierenden Bühne Giuseppe Spotas.

'Orfeo ed Euridice' am Gelsenkirchener Musiktheater

Der Triumph der Liebe lässt auf sich warten

Weil Euridice bereits kurz nach der Hochzeit an einem Schlangenbiss gestorben ist, jedenfalls bei Ovid, rührt Orfeo die Götter mit seinem Klagegesang so lange, bis ihm gestattet wird, seine Gattin aus der Unterwelt herauszuholen. Freilich nur unter der ihr gegenüber geheim zu haltenden Bedingung, dass er ihr nicht in die Augen blicken darf. Euridice missversteht sein Verhalten als Missachtung und drängt ihn daher, ihr seine Liebe zu bezeugen. Als sie seinen Widerstand bricht und Orfeo sich ihr zuwendet, stirbt Euridice ein zweites Mal. „Che farò senza Euridice?“: Erneut kann Orfeo mit seinem himmlischen Gesang die hier von Amore repräsentierte Götterwelt betören…

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Christoph Willibald Glucks „Orfeo ed Euridice“, am 5. Oktober 1762 im Wiener Hofburgtheater uraufgeführt, gilt zum einen als seine erste bedeutende „Reformoper“ vor „Alceste“ und „Paride ed Elena“. Ohne Dacapo-Arien für Koloratur-Wettkämpfe, stattdessen ein wahrhaftiges Musiktheater aus einem Guss, das empathisches Mitfühlen mit seinen Protagonisten ermöglicht. Hatte Monteverdi 1607 noch für ein Dutzend Figuren in „L‘ Orfeo“ komponiert, beschränkt sich Gluck auf ein Trio aus den beiden Titelfiguren und Amore als Stellvertreter Jupiters.

Monodram für Kastratenstimme

Mehr noch: Euridice bleibt in den ersten beiden Akten stumm, taucht überhaupt erst spät im zweiten Akt in der Unterwelt auf. Sodass man durchaus von einem Monodram sprechen könnte, komponiert auf die Kastratenstimme Gaetano Guadagnis, der mit Händel-Werken in London Berühmtheit erlangt hatte.

Seine Partie wird heute naturgemäß von Countertenören gesungen, jetzt in Gelsenkirchen in der letzten abendfüllenden Produktion Giuseppe Spotas mit der MiR Dance Company von einem international gefragten Gast, der Mezzosopranistin Constanze Jader. An ihrer Seite die südkoreanische Sopranistin Heejin Kim als Euridice sowie die Schweizer Sopranistin Tamina Biber vom Opernstudio NRW als Amore.

Wundersame Euridice-Vermehrung

Aufgeführt wird zwar, in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln, die ursprüngliche Wiener Fassung, Giuseppe Spota legt in seiner neunzigminütigen Inszenierung den Fokus jedoch auf die zu Beginn der Oper bereits verstorbene Euridice, die im Mythos eine eher passive Rolle einnimmt und in Glucks Oper erst im dritten Akt mit ihren offen vorgetragenen Zweifeln bis heute gültige Themen wie unerfüllte Sehnsüchte, Bedürfnisse und Zweifel anspricht.

Szofia Safranka-Peti und Marie-Louise Hertog von der MiR Dance Company nehmen Ovids Schlangenmythos wörtlich.

Es ist die vielköpfige MiR Dance Company, die als Schatten der Euridice und zugleich als Seelenspiegel Orfeos von der (Un-)Fähigkeit loszulassen, der Bereitschaft zum Abschiednehmen und vom allzu langen Festhalten an vielleicht längst vergangener Liebe erzählt.

Beglückender Raumklang

Und das in einer kalten Drehbühne (Ausstattung: Giuseppe Spota) zwischen Halfpipe, Boulderwand und kanalisiertem Unterweltfluss Lethe, deren rückseitiges Backstage-Gestänge den Hades, das Totenreich bildet, aus dem es gewöhnlich kein Entkommen gibt. Unter der musikalischen Leitung des 1. Kapellmeisters Giulano Betta entfalten die Neue Philharmonie im auf halbe Tiefe hochgezogenen Graben und der Chor zu beiden Seiten des 2. Rangs zusammen mit den drei vorzüglichen Gesangssolistinnen ein beglückendes Raumklang-Erlebnis.

Augen zu und durch: Am Ende erschallt zwar ein mächtiges „Trionfi d’amore!“, der Inszenierung aber bleibt das lieto fine versagt: Für heutige Dramaturginnen geht es nicht an, dass ein Mann eine Frau rettet, und das sogar gleich zweimal. Frauen retten sich gefälligst selbst – oder gehen erhobenen Hauptes unter. Ganz soweit geht man am MiR zwar nicht, der Triumph der Liebe, von Amore warum auch immer im Gewand einer Priesterin bewerkstelligt, aber stellt sich – immerhin! – nur musikalisch ein: Zu einer Umarmung der angeblich glücklich Liebenden kommt es nicht.

Schwamm drüber!

Das ist aus meiner Sicht schade, weil es der Musik Glucks widerspricht, aber nichts Neues. Dass es keiner Schlange bedarf, um eine unglückliche Ehe zweier sich fremd gewordener Partner aufzulösen, ist heute Inszenierungs-Standard in den Opern-Metropolen wie die bisweilen wörtlich zu nehmende klinische Ausstattung. Aus dem Jahr 1987 stammt Harry Kupfers Version an der Komischen Oper Berlin mit einem Orfeo als Rockstar, der in einer Nervenklinik landet und sich am Ende in einem Bus-Wartehäuschen das Leben nimmt. Also: Schwamm drüber!

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Karten unter musiktheater-im-revier.de oder unter Tel. 0209 – 4097200. Am Sonntag, 25. Januar 2026 findet ab 15 Uhr ein Familienworkshop zum Eintauchen ins Stück mit Musik und Bewegung statt. Hierfür ist eine Anmeldung bis drei Tage vorher per Mail erforderlich. Die weiteren Vorstellungen:

  • Donnerstag, 18. Dezember 2025, 19.30 Uhr
  • Samstag, 3. Januar 2026, 19 Uhr (anschl. Bargespräche)
  • Sonntag, 25. Januar 2026, 16 Uhr (Hör-Oper mit Audiodeskription)
  • Freitag, 6. Februar 2025, 19.30 Uhr
  • Sonntag, 22. Februar 2026, 18 Uhr
  • Samstag, 4. April 2026, 19 Uhr
Januar
3
Samstag
Samstag, 3. Januar 2026, um 19 Uhr MIR - Musiktheater im Revier, Kennedyplatz 1, 45881 Gelsenkirchen Karten unter musiktheater-im-revier.de oder unter Tel. 0209 – 4097200
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  • Sonntag, 25. Januar 2026, um 16 Uhr
  • Freitag, 6. Februar 2026, um 19:30 Uhr
  • Sonntag, 22. Februar 2026, um 18 Uhr
  • Samstag, 4. April 2026, um 19 Uhr
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  • Donnerstag, 18. Dezember 2025, um 19:30 Uhr
Dienstag, 16. Dezember 2025 | Autor: Pitt Herrmann