
Meisterliche Fake-Biographie
'Der Brutalist' als 'Oscar'-Favorit
Update, Donnerstag (13.2.2025)
Weiterhin zu sehen im Casablanca Bochum, im Union Bochum (nur OmU), in der Schauburg Gelsenkirchen, im Sabu in der Lichtburg Essen sowie im Metropol Düsseldorf.
Der Kino-Text
Der in Ungarn geborene, jüdische Architekt László Tóth (Adrien Brody), der im Dessauer Bauhaus ausgebildet wurde und in Budapest u.a. die Stadtbücherei baute und ausstattete, hat den Holocaust überlebt und wandert 1947 in die USA aus, muss aber seine Ehefrau Erzsébet (Felicity Jones) und seine Nichte Zsófia (Raffey Cassidy), die seit ihrer Befreiung aus dem Konzentrationslager in Österreich festsitzen, in Europa zurücklassen.
Sein „amerikanischer Traum“ gerät zunächst in eine erhebliche Schieflage, als das Schiff auf dem Weg zum Hafen von Ellis Island die Freiheitsstatue passiert: Tóth muss sich regelrecht bis zur Reling durchschlagen, weshalb diese für ihn zunächst auf dem Kopf steht.
Ein Menetekel für sein künftiges freies Leben in der Neuen Welt? László kommt bei seinem Cousin Attila (Alessandro Nivola) in Pennsylvania unter, der vor der Hochzeit mit Audrey (Emma Laird) nicht nur ihre katholische Konfession, sondern auch einen neuen Namen angenommen hat: Miller & Son lautet nun der Name des Möbelgeschäftes, in dem der Neuankömmling Beschäftigung und ein kleines Zimmer erhält. Als László zu seinem Glauben steht und weiterhin die Synagoge besucht, sorgt Audrey mit einer perfiden Intrige dafür, dass ihr Gatte ihn vor die Tür setzt.
Bauhaus-Moderne
László landet in einem christlichen Männerasyl, wo er sich mit seinem Bettnachbarn Gordon (Isaack De Bankolé) anfreundet und sich mit Hilfsarbeiten auf dem Bau über Wasser hält. Nachdem Harry Lee Van Buren (Joe Alwyn), der Sohn des mächtigsten Wirtschaftsbosses von Philadelphia, Harrison Lee Van Buren (Guy Pearce), zufällig einen von Tóth im Bauhaus-Stil entworfenen Stahlrohrsessel entdeckt, beauftragt er László mit der Umgestaltung eines heruntergekommenen und hoffnungslos vollgestopften Lesesaals in der großzügigen elterlichen Villa. Harry will seinen Vater mit dem Vorhaben überraschen, nachdem dieser von einer längeren beruflich bedingten Reise zurückgekehrt ist.
László entwirft, beeinflusst durch den am Bauhaus erlernten Stil aus traditionellem Handwerk und modernem Design, ein Regalsystem, das von ausklappbaren Lamellen verdeckt wird, sodass der lichtdurchflutete Raum auf den ersten Blick gar nicht wie eine Bibliothek aussieht. Harrys Überraschung kommt bei seinem selbstherrlichen und geradezu kunstfeindlichen Vater Harrison so schlecht an, das László um sein Honorar geprellt wird und zusammen mit Gordon im Hafen Kohlen schaufeln muss.

Bis sich Harrison eines Besseren belehren lässt von Hochglanzmagazinen wie „Look“, welche das minimalistische Design des großen Raums als Trend der Zukunft preisen. Er beauftragt László mit dem Entwurf eines Kulturzentrums, das wie eine weithin sichtbare Landmarke auf einem Hügel oberhalb der Stadt entstehen und an die geliebte Mutter des Tycoons erinnern soll – mit öffentlichen Einrichtungen wie einer Bibliothek, einer Sporthalle und einem Auditorium für Veranstaltungen aller Art sowie einer nur privat nutzbaren Kapelle.
Brutalistische Nachkriegs-Moderne
Das monumentale, im brutalistischen Stil der Nachkriegsmoderne aus nacktem Sichtbeton errichtete Denkmal wird das ehrgeizigste Projekt in Lászlós bisheriger Karriere. Das ihm mit Hilfe des Rechtsanwalts Michael Hoffman (Peter Polycarpou) ermöglicht, 1953 seine aufgrund der Mangelernährung in einem Konzentrationslager an Osteoporose erkrankte und auf den Rollstuhl angewiesene Gattin Erzsébet, die einst in Oxford studiert und in Ungarn als Journalistin gearbeitet hat, zusammen mit seiner Nichte Zsófia in die Vereinigten Staaten nachzuholen.
László kämpft mit traumatischen KZ-Erfahrungen, die seine Alkohol- und Drogenprobleme noch verschärfen. Sein Perfektionismus und sein aufbrausendes Temperament gefährden das Projekt immer wieder, nachdem ihm der Bauherr mit dem Schiffsbauingenieur Leslie Woodrow (Jonathan Hyde) eine Art Aufpasser an die Seite gestellt hat. Und die zumeist evangelikale High Society Philadelphias dem jüdischen Architekten misstrauisch gegenübersteht.
Nach einem Zugunglück beim Transport von Betonteilen pfuscht mit Jim Simpson (Michael Epp) bald ein weiterer Architekt Tóth ins Handwerk mit dem Ziel der Kostenminimierung. Nur bei der seiner Mutter gewidmeten Privatkapelle achtet Harrison nicht aufs Geld: Er nimmt László mit zu Orazio (Salvatore Sansone) in die Marmorsteinbrüche im italienischen Carrara, wo es zu einer Gewalttat kommt, die mindestens ebenso wie die Memorial-Architektur für den Titel des mit 215 Minuten selbst monumentalen Films steht...
'Oscar'-Favorit im Vista Vision-Format
„Der Brutalist“, im Vista Vision-Breitfilmformat auf analogem 70mm-Material gedreht, ist am 1. September 2024 bei den 81. Filmfestspielen Venedig uraufgeführt und mit dem Silbernen Löwen für Brady Corbet (Beste Regie) ausgezeichnet worden. Die epische Fake-Biographie des Amerikers Corbet und seiner norwegischen Frau Mona Fastvold ist in zwei Kapitel aufgeteilt. Das erste, „Das Rätsel der Ankunft“, erstreckt sich auf den Zeitraum von 1947 bis 1953, das zweite nach einer 15-minütigen Pause, „Der harte Kern der Schönheit“, umfasst die Jahre bis 1960.
Das mit drei Golden Globes (Drama, Regie und Adrien Brody als bester Schauspieler) ausgezeichnete und gleich in zehn Kategorien für den „Oscar“ nominierte Meisterwerk, das die Hybris amerikanischer Wirtschaftsbosse ebenso aufs Korn nimmt wie den grassierenden Antisemitismus, kommt am Donnerstag, 30. Januar 2025 in die Kinos, bei uns zu sehen im Casablanca und im Capitol (OmU) Bochum, in der Schauburg Gelsenkirchen, in der Lichtburg Essen sowie im Cinema Düsseldorf.

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- Donnerstag, 30. Januar 2025