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Geben sich kämpferisch: Katja (Silvia Weiskopf, r.) und ihre Anwältin (Olga Prokot).

Bei Fatih Akin wird gegendert

Aus dem Nichts

Katjas Welt bricht zusammen, als ihr Mann Nuri Sekerci und ihr Sohn Rocco bei einem terroristischen Bombenanschlag mitten in einem überwiegend von Türkischstämmigen bewohnten Viertel Hamburgs umkommen. Katja, eine abgebrochene Germanistik- und Kunstgeschichts-Studentin, hat dem Deutschtürken Nuri noch im Fuhlsbütteler „Santa Fu“ das Ja-Wort gegeben, wo er wegen Drogengeschäften eine Haftstrafe verbüßte – im Bewusstsein, dass es nicht einfach wird.

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Ihre Eltern sind von Anfang an gegen die Beziehung gewesen, aber auch seine Erzeuger zeigen als gläubige Muslime wenig Begeisterung für eine christliche Schwiegertochter. Nach Nuris Entlassung sind beide in einen ruhigen Vorort im Grünen gezogen und er hat in besagtem Viertel ein Übersetzungsbüro mit Reiseagentur eröffnet. Am Tag, als die Nagelbombe ihr Leben zerstörte, hat Katja ihren Sohn bei Nuri abgegeben, um sich in Ruhe mit ihrer Freundin Birgit austauschen zu können. Als sie zurückkehrt, ist die Straße abgesperrt und vom Büro ihres Mannes nur noch eine verkohlte Ruine übrig.

Katja (Silvia Weiskopf, r.) verzweifelt an der Ignoranz des Polizisten Fischer (Sven Seeburg).

Die Polizei unter Führung des mürrischen Hauptkommissars Gerrit Reetz ermittelt nur in eine Richtung: der oder die Täter müssen aus dem kriminellen Umfeld des Opfers Nuri stammen. Obwohl Katja den Beamten ein exaktes Phantombild erstellt von der jungen, blonden und offenbar deutschen Frau, die – analog zum NSU-Terrorakt in der Köln-Mülheimer Keupstraße – das Fahrrad mit der Bombe auf dem Gepäckträger vor dem Übersetzungsbüro abgestellt hat und sie bei Befragungen mehrfach „Das waren Nazis“ zu Protokoll gegeben hat, folgen demütigende Verhöre und Hausdurchsuchungen.

Katja stürzt in eine tiefe Krise, kriecht nachts in Roccos Kinderbett, greift zu Drogen, schneidet sich in der Badewanne liegend die Pulsadern auf. Ein Anruf ihres Anwaltes Danilo Fava, Nuris bester Freund ist auch Trauzeuge im Knast gewesen, rettet ihr in letzter Minute das Leben: „Du hast recht gehabt, es waren Nazis.“ Die Polizei hat das junge Neonazi-Paar Edda und André Möller verhaftet nach entsprechenden Hinweisen von Andrés Vater Jürgen Möller. Beide werden durch die vorgelegten Beweise schwer belastet: in ihrer Garage wurden alle Materialien gefunden, die zum Bau der Nagelbombe verwandt worden sind.

Doch Katjas Hoffnung, die den Prozess als Nebenklägerin verfolgt und dort von Danilo Fava vertreten wird, dass die Mörder für ihr feiges fremdenfeindliches Verbrechen verurteilt werden, erfüllt sich nicht: Nach einem besonders für die junge Witwe nervenaufreibenden Verfahren, bei dem die Verteidigung auch vor infamen psychologischen Tricks nicht zurückschreckt, werden Edda und André freigesprochen. Nicht aus Mangel an Beweisen in einem reinen Indizienprozess, sondern nach dem alten juristischen Grundsatz „In dubio pro reo“, im Zweifel für den Angeklagten.

Denn der Möller-Verteidiger Haberbeck treibt mit Nikolaos Makris einen, wie sich später herausstellt, mit den Tätern seit langem befreundeten rechtsradikalen griechischen Zeugen auf, der behauptet, Edda und André in seinem Hotel Old Dream vor den Toren Athens zur Tatzeit beherbergt zu haben. Katja ist völlig fertig – und kann sich weder von Danilo Fava noch gar von ihrer gerade stolze Mutter gewordenen Freundin Birgit trösten lassen. Katja macht nicht zufällig Urlaub in Griechenland. Sie findet das Hotel, lässt sich von einer Rezeptionistin bestätigen, dass die beiden freigesprochenen Angeklagten zu keiner Zeit Gäste im „Old Dream“ gewesen sind – und macht die beiden Täter in einer idyllischen, abseits gelegenen Bucht ausfindig. Katja ist entschlossen, selbst für Gerechtigkeit zu sorgen...

Aus dem Drehbuch des gut einhundertminütigen, ganz aus der Perspektive Katja Sekercis gedrehten Rachedramas „Aus dem Nichts“ von Hark Bohm und Fatih Akin, nach der Uraufführung am 26. Mai 2017 bei in Intern. Filmfestspielen Cannes mit Preisen geradezu überhäuft, hat Armin Petras bereits 2018 eine Theaterfassung destilliert, die am 14. Februar 2019 erstmals am Theater Bremen herauskam. Die Adaption des in die drei Teile „Die Familie“, „Gerechtigkeit“ und „Das Meer“ gegliederten Films, in dem der perfide Kommissar nun Fischer heißt, hat Aisha Abo Mostafa jetzt in der Studio-Spielstätte Casa des Schauspiels Essen herausgebracht.

Die 75-minütige Inszenierung der in Würzburg als Kind eines Palästinensers und einer Französin geborenen Essener Regieassistentin ist ihre erste abendfüllende Arbeit. Ihr konventionelles Stationendrama wartet gegenüber Film und Dramatisierung nur mit einer Neuerung auf: Es wird gegendert auf den von Lena Natt mit wenigen Requisiten (Punchingball über der Couchgarnitur, Glassplitter-Mobile, verschiebbare Videowand) ausgestatteten Essener Brettern. Silvia Weiskopf gibt die am Boden zerstörte, nur den Ausweg der Selbstjustiz sehende Katja, Olga Prokot und Sven Seeburg teilen sich die anderen Rollen, während Yasin Özens Nuri im Video zu sehen und Jan Pröhls Jürgen Möller als Stimme aus dem Off zu hören ist.

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„Aus dem Nichts“ steht wieder am Samstag und Donnerstag, 11. und 23. März 2023, sowie am Freitag, 21. April 2023, jeweils um 19 Uhr auf dem Spielplan, Karten unter theater-essen.de oder Tel 0201 – 81 22 200.

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  • Samstag, 11. März 2023, um 19 Uhr
  • Donnerstag, 23. März 2023, um 19 Uhr
  • Freitag, 21. April 2023, um 19 Uhr
Donnerstag, 2. März 2023 | Autor: Pitt Herrmann