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Anselm Kiefer flämmt ein Materialbild in seinem gewaltig dimensionierten Atelier in Croissy.

Anselm – Das Rauschen der Zeit

3D-Hybrid von Wim Wenders

In „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ zeichnet Wim Wenders das Porträt eines der bedeutendsten bildenden Künstler unserer Zeit: Anselm Kiefer. Gedreht in 3D und in der bislang höchstmöglichen Auflösung von 6K ermöglicht der über 93 Minuten bannende Hybrid aus Dokumentar- und Spielfilm gerade auch einem mit moderner Kunst nicht so vertrauten Publikum einen auf bisher singuläre Weise erhellenden Einblick in das Werk eines Mannes, der wie der Regisseur 1945 geboren wurde. Und dessen Kunst die menschliche Existenz und die zyklische Natur der Geschichte erforscht, inspiriert von Literatur und Poesie, Geschichte, Philosophie, Wissenschaft, Mythologie und Religion.

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Auf den Spuren von Anselm Kiefer

Wim Wenders im DCM-Presseheft: „Anselm Kiefer und ich wurden beide am Ende des Zweiten Weltkriegs geboren – er ein paar Monate davor, ich ein paar Monate danach. Wir verbrachten unsere Kindheit in einem Land, das in Trümmern lag und dessen Selbstbild zerschmettert war. Ein Land voller Erwachsener – darunter Familienmitglieder und Lehrer – die verzweifelt versuchten, sich eine Zukunft aufzubauen und ebenso verzweifelt hofften, die Vergangenheit zu vergessen, oder so zu tun, als hätte es das Entsetzliche nie gegeben. Während Anselm in Freiburg Jura studierte, war ich dort an der medizinischen Fakultät. Wir hätten uns begegnen können, aber wir schlugen unterschiedliche Wege ein. Er ging an die Kunstakademie und ich an eine Filmhochschule. Aber da die ersten Eindrücke die prägendsten sind, gibt es vieles, was wir teilen und in dem wir uns ähneln, auch wenn wir unsere Kindheitserfahrungen schließlich auf völlig unterschiedliche Weise verarbeiteten.“

Mehr als zwei Jahre lang folgte Wenders den Spuren des eher wortkarten Anselm Kiefer und verknüpft vor allem mit Bildern, die für sich selbst sprechen, die Lebensstationen und Schaffensorte einer mehr als fünf Jahrzehnte umspannenden Karriere. In eingefügten Spielszenen verkörpern Anton Wenders, der Großneffe des Regisseurs, das Nachkriegskind Anselm und Sohn Daniel Kiefer den jungen Künstler, der schon bald Frankreich als zweite Heimat und bis heute kreatives Zentrum wählt.

Anselm Kiefer und Wim Wenders in der Installation „Mohn und Gedächtnis“ für Paul Celan.

Wenders und Kiefer begegneten sich erstmals im Mai 1991 anlässlich einer großen Retrospektive in der Berliner Nationalgalerie. Es folgten Atelier-Besuche im südfranzösischen Barjac und in Croissy in der Nähe von Paris. In der Folge gelang es Wenders zusammen mit seinem Kameramann Franz Lustig, dem vielfach ausgezeichneten Stereographen Sebastian Cramer und der Cutterin Maxine Goedicke, die erstaunlichsten Kunstwerke und räumlichen Setzungen Kiefers ohne wortreiche Erklärungen verständlich zu machen. Aus der Biographie des Künstlers und der Zeitgeschichte heraus verschwimmen die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

3D-Technik gewährt spektakuläre Einblicke

Gerade die 3D-Technik gewährt spektakuläre Einblicke in das Gelände einer stillgelegten Seidenspinnerei in Barjac, wo Kiefer entsprechend seiner Kindheitserinnerungen an zerstörte Städte binnen dreier Jahrzehnte architektonische Skulpturen, düstere Tunnel, unterirdische Krypten, und ein riesiges Amphitheater schuf. Es ist heute öffentlich zugänglich als Teil der Eschaton-Kunststiftung. Gefilmt wurde in Anselms Geburtsstadt Donaueschingen und im Odenwald, in Hornbach, Buchen und Höpfingen, wo er in den 1980er Jahren eine ehemalige Ziegelei für seine Zwecke restaurierte. Und in den gewaltig dimensionierten Hallen eines ehemaligen Warenhauses in Croissy-Beaubourg, die Kiefer auf dem Fahrrad durchmisst.

Der Beuys-Meisterschüler an der Düsseldorfer Akademie bezieht symbolgeladene Materialien wie Blei, Haare, Stroh, Pflanzen, Sand und Asche in seine vielschichtigen Arbeiten ein und arbeitet gern nachts unter Kunstlicht in seinem Atelier. Nie ist ihm ein Filmemacher so nah gekommen: Anselm Kiefer rezitiert Paul Celans „Todesfuge“ und das Gedicht „Exil“ von Ingeborg Bachmann. Und erklärt - als absolute Ausnahme – Bild für Bild seines Heidegger-Zyklus.

„Anselm – Das Rauschen der Zeit“, uraufgeführt am 17. Mai 2023 bei den Int. Filmfestspielen Cannes und am 21. September 2023 auf der Filmkunstmesse Leipzig erstmals in Deutschland gezeigt, offenbart Anselm Kiefer als einen Künstler, der sich am eigenen Leben orientierend mit der Zeitgeschichte auseinandersetzt und zunehmend von der Mythologie fasziniert ist. Zum Kinostart am Donnerstag, 12. Oktober 2023, wird der Film im Metropolis Bochum, in der Lichtburg Essen und im Sweetsixteen Dortmund gezeigt.

Donnerstag, 12. Oktober 2023 | Quelle: Pitt Herrmann