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Auf den Straßen von Paris entdeckt: Die Sportwissenschaftlerin und Profifußballerin Nadia Melliti, hier als gläubige Muslima Fatima vor der Moschee ihres Wohnbezirks, wurde in Cannes mit der Palme als „Beste Darstellerin“ für „Die jüngste Tochter“ ausgezeichnet.

Die jüngste Tochter

Zwei 'Palmen' in Cannes

Arbeiterschließfächer in einer Hochhaussiedlung der Pariser Banlieues, Gesänge aus der Moschee sind zu hören. Die 17-jährige Fatima (Nadia Melliti) ist die jüngste von drei Töchtern einer französisch-algerischen Familie. Während Nour (Melissa Guers) und Dounia (Rita Benmannana) der warmherzigen Mutter Kamar (Amina Ben Mohamed) in der Küche bei den Madeleines zur Hand gehen, spielt Fatima lieber Fußball und hängt mit ihren nur „Brüder“ genannten männlich-rauen Kumpels ab. Und raucht selbstverständlich auch wie diese Zigaretten, obwohl sie von kleinauf unter Asthma leidet.

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Wie ihre Schwestern ist Fatima fleißig in der Schule, lernt für das Abitur und hat daher für ihren Freund, mit dem sie ab und zu kleine Ausflüge auf dem Moped unternimmt und der bereits ans Heiraten denkt, nur wenig Zeit. Als im Unterricht Oscar Wildes Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ besprochen wird, machen die homophoben Jungs nicht nur der Lehrerin (Julie Chaintron) die Hölle heiß, sondern auch ihrem angeblich schwulen Klassenkameraden Rayan (Mahamadou Sacko). Der weiß sich nicht anders zu wehren als Fatima eine Lesbe zu nennen. Was diese mit lautstarker Unterstützung ihrer „Brüder“ mit massiver körperlicher Gewalt beantwortet.

Absolutes No-Go

Eine völlige Überreaktion, die Fatima bewusst macht, dass an dem Outing durchaus etwas dran sein könnte. Denn längst sind ihr entsprechende Dating-Apps ein Begriff. Als ihr Lungenarzt Dr. Prévost (Pascal Chanez) rät, an einer Gruppensitzung teilzunehmen, trifft Fatima auf die Krankenschwester Ji-Na (Ji-Min Park), eine gebürtige Koreanerin, die im Alter von sieben Jahren nach Frankreich gekommen ist. Sogleich entwickelt sich zwischen den beiden eine Beziehung, die aber erst konkreter wird, nachdem sich Fatima über die App mit der erfahrenen Lesbe Aurélia (Julia Mutter) über Homosexualität ausgetauscht hat. Die in ihrem familiären und kulturellen Umfeld, zumal als gläubige Muslima, absolutes No-Go ist – und der von ihr behutsam-verklausuliert befragte Imam (Abdelali Mamoun) gar für eine Prüfung Gottes erklärt.

Völlig neue Welt

Die herzliche, verständnisvolle Mutter Kamar (Amina Ben Mohamed, 2. v r.) ist stolz, dass alle drei Töchter das Abitur geschafft haben: Nour (Melissa Guers), Dounia (Rita Benmannana) und Fatima (Nadia Melliti).

Als der Philosophieprofessor (Ahmet Insel) an der Pariser Universität die Erstsemester begrüßt, öffnet sich für Fatima eine völlig neue Welt. Mit vorurteilsfreien, weltoffenen Kommilitonen wie Vincent (Vincent Pasdermadjian), Hugo (Victorien Bonnet) und Nino (Gabriel Donzelli), die sie auf Partys mitnehmen, wo es keine sexuellen Tabus gibt. Hin- und hergerissen zwischen Familientradition, Glauben und ihrem Wunsch nach Freiheit in ihrer Beziehung zu Ji-Na muss die von schlechtem Gewissen bis hin zu Alpträumen geplagte Fatima ihren eigenen Weg finden. Sie beschließt, sich an ihrem 18. Geburtstag ihrer Mutter anzuvertrauen…

Keine Scheu vor Tabubrüchen

„Ich bin Fatima, eine junge Frau mit algerischen Wurzeln und ich bin lesbisch“: „Die jüngste Tochter“ ist eine Adaption des autofiktionalen Debütromans „La petite dernière“ der algerisch-französischen Autorin Fatima Daas aus dem Jahr 2020 und der dritte Spielfilm der französischen Drehbuchautorin und Regisseurin Hafsia Herzi („Du verdienst eine Liebe“, „Eine gute Mutter“), die ebenfalls algerische Wurzeln hat. Ohne Scheu vor Tabubrüchen, aber zu stark auf das Sexuelle einer lesbischen Beziehung reduziert kann die Darstellerin der Karima in Caroline Links „Exit Marrakech“ nur bedingt an die Tradition von Abdellatif Kechiches „Blau ist eine warme Farbe“, Céline Sciammas „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ oder Barry Jenkins „Moonlight“ anknüpfen.

Emotionale Wucht

Mit emotionaler Wucht begleitet der 107-minütige, in Paris und Nancy gedrehte Film das sexuelle Erwachsenwerden einer jungen Frau und ihre Suche nach einem Platz in der Welt. In die vier Jahreszeiten gegliedert ist er zum großen Teil mit Laiendarstellern besetzt, so wird der Pneumologe Dr. Prévost vom Arzt Pascal Chanez verkörpert. In ihrer ersten Rolle vor der Kamera feiert Nadia Melliti, von einer Castingagentin auf den Straßen von Paris entdeckt, mit ihrer zugleich kraftvollen und zurückhaltenden Darstellung einen fulminanten Erfolg: Nach der mit zwölfminütigen Standing Ovations gefeierten Uraufführung am 16. Mai 2025 im Wettbewerb des Filmfestivals Cannes gabs den Preis als „Beste Darstellerin“ und für den Film zudem die „Queer Palm“. Nadia Melliti, 2002 als Tochter algerischer Eltern in Les Lilas im Département Seine-Sainte-Denis nordöstlich von Paris geboren, studierte zunächst Sportwissenschaften an der Universität Sorbonne und begann parallel dazu eine Karriere als Profifußballerin.

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Nach der Deutschen Erstaufführung am 22. September 2025 auf der Filmkunstmesse Leipzig, vor Publikum am 2. Oktober 2025 beim Filmfest Hamburg, ist „Die jüngste Tochter“ zum Kinostart am 25. Dezember 2025 im Casablanca und Metropolis Bochum sowie im Bambi Düsseldorf zu sehen.

Freitag, 26. Dezember 2025 | Autor: Pitt Herrmann