
„Arabella“ in Essen
Starke Frauen
Nach Beendigung der vergleichsweise kleinen Oper „Intermezzo“ hatte Richard Strauss seinem langjährigen Librettisten Hugo von Hofmannsthal bekundet, „am liebsten einen zweiten „Rosenkavalier“, ohne dessen Fehler und Längen“ komponieren zu wollen: „Den müssen Sie mir noch schreiben“. Ihre sechste gemeinsame Arbeit, „Arabella“, sollte zum Schwanengesang Hofmannsthals werden: Kurz nach Vollendung der „Lyrischen Komödie“ starb er am 15. Juli 1929 – zwei Tage nach dem Selbstmord seines Sohnes.
Die Handlung geht auf eine 1910 erschienene Novelle, „Lucidor“, zurück und spielt 1860 im Wien des ausgehenden Biedermeier: Graf Waldner (Christoph Seidl), ein ausgemusterter, verarmter Rittmeister, der mit seiner Gattin Adelaide (Bonsai-Femme fatale: Bettina Ranch) und seinen beiden Töchtern in einem heruntergekommenen Stadthotel lebt, will seine Spielschulden durch die Verheiratung seiner älteren Tochter Arabella (herausragend: Jessica Muirhead) tilgen. Die noch zur Verfügung stehende Summe reicht nicht aus, auch die zweite Tochter Zdenka (Ovationen für Julia Grüter, Gast aus Nürnberg) standesgemäß auszustatten, sodass diese als Knabe aufwachsen muss.

Der Freier gibt es viele, darunter der Jägeroffizier Matteo (unerschütterlicher Rosenkavalier: Thomas Paul) und die drei Grafen Elemer (Operettenoffizier: Santiago Sánchez reif für Barrie Koskys Berliner Komische Oper), Dominik (Karel Martin Ludvik) sowie Lamoral (Güneş Gürle). Die Wahl des Vaters – und der darob völlig überraschten, aber auch hocherfreuten Tochter – fällt jedoch auf einen fremden Reisenden, Mandryka (slawonischer Trapper im Fellmantel: Heiko Trinsinger als einziger Kerl unter lauter Schießbudenfiguren). Der „halbe Bauer“ ist der Neffe und Erbe eines wohlhabenden Regimentskameraden Waldners.
Bis zum Happy End, an dem auch die zum androgynen Mädchen in Freinripp-Unterwäsche (drastisch übertriebene Ausstattung: Katrin Nottrodt) mutierte Zdenka „ihren“ Matteo kriegt, sind freilich noch manche Verwicklungen zu überstehen. Zumal es mit der von Strauss angekündigten Kürze der „Arabella“ gegenüber dem „Rosenkavalier“ so weit nicht her ist...
Hofmannsthals letzte Operndichtung wurde 1933 an der Staatsoper Dresden uraufgeführt. Dem Rodauner ging es unter dem Arbeitstitel „Arabella oder der Fiakerball“ um das „Richtige Wien von 1860“, um die Darstellung der Fiakerbälle, um die historische Figur der Fiakermilli (ein Knallbonbon wie beim Junggesellenabschied 162 Jahre später: Giulia Montanari), die slawische Welt in der Habsburger Monarchie und nicht zuletzt um die Bedeutung des Geldes.
Hofmannsthal in einem Brief an Strauss: „Dem ganzen zweifelhaften Milieu dieses kassierten Rittmeisters Waldner haftet etwas Ordinäres an, ein etwas ordinäres und gefährdetes Wien umgibt diese Figuren – von diesem Grund hebt sich die selbstverantwortliche mutige Arabella und die rührend haltlose Zdenka ab – vor allem aber ist dieses vergnügungssüchtig frivole, schuldenmachende Wien die Folie für Mandryka – ihn umgibt die Reinheit seiner Dörfer, seiner nie von der Axt berührten Eichenwälder, seiner alten Volkslieder – hier tritt die Weite des großen halb-slawischen Österreich herein in eine Wienerische Komödie (…).“
Richard Strauss hat mit „Arabella“ eine musikalische Komödie mit stark lyrischen Zügen komponiert, mit volksnahen Melodien und hellen Orchesterfarben, die Heiterkeit und Leichtigkeit ausstrahlen, bisweilen gar Charme versprühen. Trotz der beiden musikalischen Höhepunkte, des Duetts der beiden Schwestern im ersten und dem Liebesduett Arabella/Mandryka im zweiten Akt, die auf südslawischen Volksweisen beruhen, ist die dreistündige Essener Neuproduktion, umjubelte Premiere war am 14. Mai 2022 im Aalto-Theater, des musikalischen Leiters Tomáš Netopil und des Regisseurs Guy Joosten kein leichter Genuss im Vorübergehen: „Arabella“ stellt höchste Ansprüche an alle Beteiligten im Graben, auf den Brettern wie im Parkett.
Der Graben ist umsäumt mit Rosen, in Ermangelung einer Ouvertüre legt sich Arabella im Prolog in träumerische Stimmung mitten ins Beet. Die Realität sieht freilich anders aus: Als sich der Vorhang hebt, stapeln sich im Hotelzimmer, eingerichtet im Stil der 1950er Jahre, linkerhand die Rechnungen und Mahnungen, denen der Briefträger (Ullrich Franke) laufend neue hinzufügt. Im dritten Akt ist die Natur ins Vestibül eingebrochen: ein entwurzelter Baum schwebt drohend über dem Stiegenhaus des Hotels, als sich nach und nach alle Missverständnisse in Wohlgefallen auflösen. „Geheimnis eines Mädchenherzens, unergründlich“: Zum überraschenden Schluss, längst halten die heiratslustigen Schwestern die Fäden in der Hand, wird der Guckkasten als Theaterkulisse enttarnt. Diese szenisch wie musikalisch beglückende „Arabella“, Generalmusikdirektor Tomáš Netopil versteht sich als Diener der einmal mehr herausragenden Gesangssolisten, ist im 21. Jahrhundert angekommen.
Die weiteren Vorstellungen in dieser Spielzeit: 19. und 28. Mai 2022, 2., 8., 12., 17. und 25. Juni 2022, Karten unter theater-essen oder Tel 0201 – 81 22 200.
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- Donnerstag, 19. Mai 2022, um 19:30 Uhr
- Samstag, 28. Mai 2022, um 19 Uhr
- Donnerstag, 2. Juni 2022, um 19:30 Uhr
- Mittwoch, 8. Juni 2022, um 19:03 Uhr
- Sonntag, 12. Juni 2022, um 16:30 Uhr
- Freitag, 17. Juni 2022, um 19:30 Uhr
- Samstag, 25. Juni 2022, um 19 Uhr