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Sperrklausel ist verfassungswidrig

Der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster hat am Dienstag (21.11.2017) entschieden, dass die 2,5 Prozent -Sperrklausel bei Kommunalwahlen gegen den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit verstößt, soweit sie für die Wahlen der Gemeinderäte und Kreistage gilt. Demgegenüber stehe die Sperrklausel im Einklang mit der Landesverfassung, soweit die Wahlen der Bezirksvertretungen und der Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr betroffen sind.

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Antragstellerinnen der Organstreitverfahren sind die Landesverbände der NPD, der Piratenpartei, der Partei DIE LINKE, der PARTEI, der ÖDP und der Tierschutzpartei sowie die Bürgerbewegung PRO NRW und die Partei Freie Bürger-Initiative/Freie Wähler (In Herne sind von den angeführten Parteien die Piratenpartei und DIE LINKE vertreten). Antragsgegner ist jeweils der Landtag, der durch das Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen und wahlrechtlicher Vorschriften (Kommunalvertretungsstärkungsgesetz) vom 14. Juni 2016 eine 2,5 Prozent-Sperrklausel bei Kommunalwahlen eingeführt hat. Nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs aus dem Jahr 1999 war die damals im Kommunalwahlgesetz geregelte 5 %-Sperrklausel mit der Landesverfassung nicht vereinbar, weil der Gesetzgeber ihre Erforderlichkeit nicht hinreichend begründet hatte (Urteil vom 6. Juli 1999 – VerfGH 14/98, 15/98 –). Die nunmehr streitige 2,5 Prozent-Sperrklausel wurde unmittelbar in die Landesverfassung (Art. 78 Abs. 1 Satz 3) eingefügt. Der Gesetzgeber hat die Regelung in erster Linie damit begründet, Folge des Wegfalls der früheren 5 Prozent-Sperrklausel sei eine zunehmende parteipolitische Zersplitterung der Kommunalvertretungen, die die Handlungsfähigkeit der Kommunalvertretungen beeinträchtige oder zumindest in hohem Maße gefährde. Wesentliche Erwägungen des Verfassungsgerichtshofs In der mündlichen Urteilsbegründung führte die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs Dr. Ricarda Brandts unter anderem aus:

Der Verfassungsgerichtshof habe die verfassungsunmittelbare 2,5 Prozent-Sperrklausel darauf zu überprüfen, ob sie die in Art. 69 Abs. 1 Satz 2 der Landesverfassung (LV) normierten Grenzen der Zulässigkeit von Verfassungsänderungen wahre. Danach seien Änderungen der Verfassung, die den Grundsätzen unter anderem des demokratischen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes widersprechen, unzulässig. Damit nehme die Landesverfassung Bezug auf die sogenannten Homogenitätsvor-gaben in Art. 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 des Grundgesetzes (GG). Zu diesen zwingen-den Vorgaben für die Ausgestaltung der verfassungsmäßigen Ordnung in den Ländern gehöre der Grundsatz der Gleichheit der Wahl. Die Sperrklausel bewirke eine Ungleichgewichtung der Wählerstimmen hinsichtlich ihres Erfolgswertes, da Stimmen für solche Parteien und Wählervereinigungen, die an der 2,5 Prozent-Hürde scheiterten, ohne Einfluss auf die Sitzverteilung blieben.

Für die Wahlen der Gemeinderäte und Kreistage sei diese Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt. Insoweit ergäben sich aus Landesverfassung und Grundgesetz (Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV i. V. m. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG) strenge Anforderungen an differenzierende Regelungen. Diese bedürften stets eines besonderen, sachlich legitimierten, „zwingenden“ Grundes. Dazu gehöre zwar auch die Sicherung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung. Berufe sich der Gesetzgeber aber zur Rechtfertigung einer Sperrklausel auf eine solche anderenfalls drohende Funktionsunfähigkeit, müsse er für die dann zu erstellende Prognose alle in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht für die Einschätzung der Erforderlichkeit einer Sperrklausel relevanten Gesichtspunkte heranziehen und abwägen. Er dürfe sich nicht mit einer abstrakten, schematischen Beurteilung begnügen. Die Prognose müsse vielmehr nachvollziehbar begründet und auf tatsächliche Entwicklungen gerichtet sein, deren Eintritt der Gesetzgeber ohne die in Rede stehende Wahlrechtsbestimmung konkret erwartet. Eine durch das vermehrte Aufkommen kleiner Parteien und Wählervereinigungen bedingte bloße Erschwerung der Meinungsbildung dürfe er nicht mit einer Funktionsstörung oder Funktionsunfähigkeit gleichsetzen.

Diese bereits früher von der Verfassungsrechtsprechung in Bezug auf einfachgesetzliche Sperrklauseln formulierten Anforderungen würden auch für eine unmittelbar in der Landesverfassung geregelte Sperrklausel gelten. Ein spezifischer Spielraum des landesverfassungsändernden Gesetzgebers für Differenzierungen innerhalb der Wahlrechtsgleichheit bestehe nicht.

Dass die 2,5 Prozent-Sperrklausel zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Gemeinderäte und Kreistage erforderlich ist, sei weder im Gesetzgebungsverfahren noch im Rahmen der Organstreitverfahren in der gebotenen Weise deutlich gemacht worden. Die gesetzgeberische Prognose sei weder in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vollständig noch sei ihre Begründung in jeder Hinsicht nachvollziehbar. Die Gesetzes-Begründung erschöpfe sich im Wesentlichen in abstrakten, schematischen Erwägungen zu möglichen negativen Folgen einer Zersplitterung der Kommunalvertretungen. Dass es nach Wegfall der früheren 5 Prozent-Sperrklausel durch eine gestiegene Zahl von Kleingruppen und Einzelmandatsträgern zu relevanten Funktionsstörungen von Gemeinderäten und Kreistagen oder zumindest zu Entwicklungen gekommen wäre, die Funktionsstörungen möglicherweise zur Folge haben könnten, werde zwar behauptet, nicht aber in nachvollziehbarer Weise anhand konkreter empirischer Befunde belegt.

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Weniger strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen unterlägen differenzierende Regelungen für die Wahlen der Bezirksvertretungen und der Regionalversammlung Ruhr. Insoweit beschränkten sich Landesverfassung und Grundgesetz (Art. 69 Abs. 1 Satz 2 LV i. V. m. Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) auf die Gewährleistung des auch auf Ebene des Bundes unabänderlichen Kerns des Demokratieprinzips. Dieser werde durch die 2,5 Prozent-Sperrklausel nicht berührt. Aktenzeichen: VerfGH 9, 11, 15, 16, 17, 18, 21/16.

| Quelle: Oberverwaltungsgericht NRW