Gehörlose Mutter in einer Welt der Hörenden
Sorda – Der Klang der Welt
Ángela (Miriam Garlo) ist gehörlos, Héctor (Álvaro Cervantes) hörend, ein junges Paar, fröhlich und verliebt, um so mehr, als sie ihr erstes Kind erwarten. Ona soll es heißen, ein Mädchen. Doch je näher der Tag der Geburt rückt, desto unruhiger wird Ángela. Wie soll sie sich um Ona kümmern in einer Welt, die nicht für sie gemacht ist? Wird Ona hören wie Héctor oder sein wie sie? Die Chancen stehen aufgrund genetischer Vorgaben in beider Familien 50:50, Gewissheit ist erst geraume Zeit nach der Geburt möglich. Ihre kleine, beschützte Welt, die sich Ángela und Héctor geschaffen haben, bekommt Risse.
Reservierte Eltern
Héctor liebt Ángela und hat sie bisher begleitet, gerät aber aus der Spur, als das Kind kommt und die Blase besagter kleiner, beschützter Welt sprengt, die beide gebaut haben, um sich vor ihren eigenen Unterschiedlichkeiten zu schützen. Hinzu kommt, dass Elvira (Elena Irureta) und Fede (Joaquín Notario) reserviert auf die Schwangerschaft ihrer Tochter reagieren. Sie wollten immer das Beste für Ángela, fühlen sich aber fremd gegenüber ihrer Art, sich in der Welt der Hörenden zu bewegen und ihre Taubheit zu leben.
Große Stimmungsschwankungen
Große Stimmungsschwankungen bei Schwangeren sind normal, aber wenn der Verkäufer im Hörgeräteladen die Gebärdensprache nicht beherrscht, explodiert Ángela nicht ganz zu Unrecht. Andere sind lockerer, die Mütter unter den gehörlosen Freunden geben Ratschläge. Ihr Chef Carlos (Pedro J. Hernández) zeigt Verständnis und ganz selbstverständlich bastelt Ángelas Töpferei-Kollege Ramiro (Agustín Otón) für die Kleine ein Mobile aus gebrannten Tonfiguren. Nachdem der erste Hörtest bei der Neugeborenen noch kein eindeutiges Ergebnis gebracht hat, löst die zweite Untersuchung die schier unerträgliche Spannung: Ona hört auf beiden Ohren und kann einen „normalen“ Kindergarten besuchen.
Enorme Herausforderung
Aufmerksam und ungeschönt, zärtlich und immer auf Augenhöhe mit seinen Protagonisten erzählt Autorin und Regisseurin Eva Libertad in „Sorda – Der Klang der Welt“ von der enormen Herausforderung, als gehörlose Frau ein Kind in einer Welt voller Barrieren zu bekommen. Die erste ist die Stimme des Vaters, auf die das Baby reagiert, während es mit der Gebärdensprache der Mutter fremdelt. Später kann sich Ángela in der WhatsApp-Gruppe der Kindergarteneltern nicht verständlich machen, fühlt sich bei Kinderfesten ins Abseits gestellt.
Worunter auf Dauer auch die Ehe mit Héctor leidet, der sich ungerecht an den Pranger gestellt fühlt. Was kann er dafür, dass Ángelas Hörgerät beim mannigfachen Lärm im Kindergarten oder später in der Schule streikt und Onas Geburtstagsfeiern regelmäßig zur Tortur für sie werden. Was Ángela schließlich hilft, sind ihre gehörlosen Freundinnen, mit denen sie ausgeht – zum geselligen Beisammensein im privaten Kreis, aber auch zum Tanzen. Da kann sie sich völlig frei bewegen, Spaß haben und die zahllosen zumeist nur auf Missverständnissen beruhenden Alltagsprobleme vergessen. Das Ende des berührenden, um Verständnis werbenden Films ist vorsichtig optimistisch: Es könnte doch noch zwischen Mutter und Tochter (Daniela Saura Pérez) mit der Gebärdensprache klappen…
Dramatische Geburt
Die Geburtsszene ist ein dramatischer Höhepunkt in „Sorda“ (dt. Taub), und sie war es auch bei den Dreharbeiten. „Die Szene basiert auf wirklichen Erfahrungen tauber Mütter, und ich habe dabei nicht einmal die schlimmsten genommen“, so Eva Libertad im Piffl-Presseheft. Gedreht wurde mit echtem medizinischem Personal, das mit den Schauspielerinnen interagierte, eine Szene, die in ihrer Eskalation und Länge schmerzhaft wirklich wird: „Als ich vom Set kam und die beiden Produzentinnen am Monitor weinen sah, dachte ich, okay, das haben wir also schon mal.“
Der barrierefrei auch in Gehörlosensprache untertitelte Spielfilm hatte 2021 mit dem gleichnamigen Kurzfilm, den Eva Libertad und Co-Regisseurin Nuria Muñoz Ortín mit Miriam Garlo, der gehörlosen Schwester der Regisseurin, drehten, einen preisgekrönten Vorläufer. „Sorda – Der Klang der Welt“ schafft mit seiner behutsamen Kameraführung Gina Ferras und Aránzazu Callejas Sounddesign, das die Wahrnehmung erweitert, die Nuancen zweier Welten einzufangen, die der gehörlosen und der hörenden Welt. Für die Besetzung von Ángelas Freunden wurde ein Ensemble aus ausgebildeten und nichtprofessionellen gehörlosen Schauspielern gefunden.
Vielfach preisgekrönt
Der so einfühlsame wie bewegende hundertminütige Film wurde nach der Uraufführung am 15. Februar 2025 im Panorama-Wettbewerb der 75. Berlinale mit dem Publikumspreis und dem Arthouse Cinema Award sowie auf dem Filmfestival Seattle als „Bester Iberoamerikanischer Film“ ausgezeichnet. Miriam Garlo und Álvaro Cervantes gewannen die Schauspielpreise des 28. Filmfestivals Málaga. Dazu gabs den Preis als „Bester Europäischer Film“ der lateinamerikanischen Filmkritik sowie die Auszeichnung „Beste Regie“ für Eva Libertad beim Int. Filmfestival im mexikanischen Guadalajara.
„Sorda – Der Klang der Welt“ läuft im Casablanca Bochum, im Sweetsixteen Dortmund, in der Galerie Cinema Essen sowie im Metropol Düsseldorf. Nun auch im Kino Endstation im Kulturbahnhof Bochum-Langendreer (Samstag, 15. November, Sonntag, 16. November und Montag, 24. November 2025).
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- Sonntag, 16. November 2025
- Montag, 24. November 2025