
Einzige Neuinszenierung im Puccini-Jahr
„La Bohème“ in Gelsenkirchen
In Giacomo Puccinis 1869 uraufgeführter veristischer Oper „La Bohème“ haust der Dichter Rodolfo (der Tenor Khanyiso Gwenxane hat vor der Pause gegen die Lautstärke auf der Bühne und im Graben zu kämpfen) in einer zugigen, nur notdürftig von einem „Kanonenofen“ beheizten Dachkammer. Weihnachten steht bevor, draußen schneit es. Weshalb Rodolfo als ultima ratio eines seiner Bücher ins Feuer wirft. Warm ums Herz wird ihm und seinen notorisch klammen Künstler-Freunden, dem Maler Marcello (wunderbar weicher Bariton: Simon Stricker), dem Philosophen Colline (Philipp Kranjc) und dem Musiker Schaunard (Yancheng Chen vom Opernstudio NRW), aber erst, als Letzterer mit Brennholz, Baguette, Wein und sogar einigen Geldmünzen heimkommt.
Heejin Kim ragt heraus
Die reichen zwar nicht für die ausstehende Miete, der Wein aber immerhin, den Vermieter Benoît (am Premierenabend des 1. Februar 2025 Benedict Nelson für den erkrankten Urban Malmberg) ruhigzustellen. Während die Freunde aufbrechen, um den gelungenen Coup im Café Momus zu feiern, bleibt Rodolfo zurück, um noch schnell einen Zeitungsartikel fertigzustellen. Wozu er freilich nicht kommt, weil ihn die Nachbarin Mimi (herausragende, stimmstarke Sopranistin, muss aber noch lernen, ihre Power zu drosseln: Heejin Kim) um einen Gefallen bittet – und länger bleibt. Sodass die beiden zur lärmenden Gesellschaft ins Momus abgeholt werden, wo Marcello auf seine „Ex“ Musetta (Margot Genet) und ihren aktuellen Lover Alcindoro (erneut Nelson für Malmberg) trifft.

Szenische Petitessen
Doch was heißt hier „Ex“? Beide sind, wenn Marcello sich das auch nicht eingestehen will, weiterhin ineinander verliebt und am Ende hat er natürlich nichts dagegen, dass der reiche Knacker auch die ellenlange Rechnung der Bohèmiens begleicht, wenn auch unfreiwillig. Eine der zahlreichen szenischen Petitessen, zu denen etwa auch die Zollkontrolle im 3. Akt gehört: Von der völlig zu Recht in Ovationsstärke gefeierten Regisseurin Sandra Wissmann ist ihre nicht weniger umjubelte Inszenierung der Revue-Operette „Drei Männer im Schnee“ ein letztes Mal am 15. Februar 2025 zu erleben.
Nachdem Gabriele Rech im September 1998 die Handlung ins Paris der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg verlegt und sie der designierte Intendant Michael Schulz im November 2007 in der Gegenwart angesiedelt hat verbunden mit der heute leider wieder sehr aktuellen Frage nach dem Wert der Kunst für die Gesellschaft, aber auch für die Künstler selbst, lässt Sandra Wissmann das auf der Bühne wie im Graben (musikalische Leitung: Giulano Betta) insbesondere vor der Pause mit Verve vorgetragene turbulente Geschehen in den Années folles genannten 1920er Jahren spielen.
Verrückte Zwanziger
In den „verrückten Zwanzigern“ suchten sich, wie es Ernest Hemingway in seinem Pariser Tagebuch beschrieben hat, die weiterhin aus aller Welt in die Seine-Metropole strömenden Künstler wie Pablo Picasso, Henri Matisse, Marc Chagall und Max Ernst statt im mittlerweile gentrifizierten Quartier Latin im 5. Arrondissement rund um die Sorbonne noch bezahlbare Buden im Quartier du Montparnasse im peripheren 14. Arrondissement. Worauf Beata Kornatowskas Kostüme und Masken Bezug nehmen auf der überraschend vielfältig nutzbaren Drehbühne Britta Tönnes, welche das Regiekonzept einer Milieustudie und eines Gesellschaftspanoramas kongenial unterstützt.
Das kleine MiR ganz groß
Im Puccini-Jahr zum 100. Todestag des italienischen Komponisten ist die Gelsenkirchener „Bohème“ die einzige Neuproduktionen der Spielzeit 2024/25 in den Opernhäusern der Region, und das - sämtlich in Rollendebüts - mit einer reinen Hausbesetzung: Dortmund war mit „Bohème“ im September 2023 gestartet, Gil Mehmerts Inszenierung aber bereits im Januar 2024 abgespielt. Essen und die Rheinoper begnügen sich mit Wiederaufnahmen zwanzig Jahre alter „Tosca“-Repertoire-Renner. So liegt das „kleinste“ Haus einmal mehr ganz vorn, große Schuhe für den noch zu findenden Nachfolger des ans Saarbrücker Staatstheater wechselnden MiR-Intendanten Michael Schulz.
Weitere Vorstellungen
- Sonntag, 9. Februar 2025, 16 Uhr
- Donnerstag, 13. Februar 2025, 19.30 Uhr
- Freitag, 21. Februar 2025, 19.30 Uhr, anschl. Bargespräche
- Samstag, 8. März 2025, 19 Uhr, Hör.Oper mit Audiodeskription
- Samstag, 12. April 2025, 19 Uhr
- Sonntag, 20. April 2025, 18 Uhr
- Sonntag, 27. April 2025, 18 Uhr
Karten gibt es online oder unter Tel 0209 – 4097200.
Weitere Termine (4) anzeigen...
- Freitag, 21. Februar 2025, um 19:30 Uhr
- Samstag, 8. März 2025, um 19 Uhr
- Samstag, 12. April 2025, um 19 Uhr
- Sonntag, 27. April 2025, um 18 Uhr
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- Samstag, 20. April 2024, um 18 Uhr
- Sonntag, 9. Februar 2025, um 16 Uhr