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Die Wohngruppe kann die Familie nicht ersetzen, weshalb die Erzieher alles daransetzen, mit den Eltern ihrer Schützlinge in regelmäßigem Kontakt zu bleiben.

Es geht auch anders

Kino-Tipp 'Im Prinzip Familie'

In einem Haus am Ufer eines idyllischen Sees, umgeben von dichten Wäldern, arbeiten drei Erzieher im Schichtdienst in einer Wohngruppe. Die fünf Jungen im Alter zwischen sieben und 14 Jahren, die vom Jugendamt aus ihren desaströsen Familienverhältnissen herausgenommen wurden, nennen sie Frau Wagner, Herr Gerecke und Herr Wagner. Ihr Alltag besteht aus Essen kochen, Klamotten waschen, einkaufen und die Kinder frühmorgens mit dem Kleintransporter in die Stadt zur Schule zu fahren.

Wichtiger und manchmal nervenaufreibender ist das Zusammenleben in dieser immer wieder neu zusammengesetzten Kleinfamilie abseits von alltäglichen Ritualen und spannenden Freizeitaktivitäten wie Filmabende, Pilze sammeln im Wald oder der Besuch einer Straußenfarm: Die Erwachsenen müssen zuhören, trösten, mit ihren Schutzbefohlenen auch ‘mal auf dem Sofa kuscheln und den Jüngeren Gute-Nacht-Geschichten vorlesen. Und wenn das Fest der Feste vor der Tür steht, den Weihnachtsmann lebendig werden lassen.

Kein Elternersatz

Die Betreuer wissen, dass sie kein Elternersatz sein können. Wollen den Kindern aber durch eigenes Vorleben zeigen, dass ein familiäres Miteinander trotz unterschiedlichster Charaktere möglich ist, wenn alle Beteiligten zurückstecken und sich persönlich einbringen. Rückschläge und Enttäuschungen auf beiden Seiten einbegriffen: Ziel ist es, den Kindern eine Rückkehr in ihre Familien zu ermöglichen. Auch wenn im Erfolgsfall allen Beteiligten der Abschied schwer fällt.

Die zumeist verhaltensauffälligen Jungen im Alter zwischen sieben bis 14 Jahren bedürfen mütterliche Zuwendung und väterlichen Halt, was das dreiköpfige Team bisweilen an die Grenze führt.

Daniel Abma will den Alltag der Wohngruppe möglichst authentisch zeigen, obwohl die Kinder und vor allem die Erwachsenen die Anwesenheit des Kameramannes Johannes Praus naturgemäß in ihrem Verhalten berücksichtigen. Weshalb der Regisseur seinen Film strukturiert mit Hilfsplangesprächen des Teams, Telefonaten mit Eltern und Ämtern durchaus unter Beteiligung einzelner Kinder, mit dem regelmäßigen Austausch der Erzieher mit zwei Psychologinnen und einer Supervisorin sowie ihren abendlichen Dienstberichten.

Zermürbender Kampf

Es ist ein zermürbender Kampf nicht nur gegen die Windmühlen eines bürokratischen Behördensystems der Kinder- und Jugendhilfe mit zahllosen Zuständigkeiten, sondern ein oftmals auch für die beteiligten Kinder psychisch nur schwer zu verkraftendes Ringen mit unwilligen, häufig aber auch aufgrund längerer Arbeitslosigkeit, Krankheiten oder auch nur ihres sehr jungen Alters überforderten (Patchwork-) Eltern. Kinder reagieren häufig mit aggressivem Verhalten auf Situationen, denen sie hilflos gegenüberstehen, so auch ein Junge, der seines Aussehens wegen in der Schule stets in eine Außenseiterrolle gedrängt wird. Hier kommen die Erzieher an ihre Grenzen, als letzter Ausweg bleibt eine Therapie in einer Psychiatrischen Klinik.

Für „Im Prinzip Familie“ hat Daniel Abma die Wohngruppe mehr als ein Jahr begleitet. Der Dokumentarist im Camino-Presseheft: „‘Die Großen fehlen, um die Kleinen zu versorgen‘, las ich 2017 in einem Zeitungsartikel. Ich realisierte erstmals den massiven Mangel an Erzieher:innen und die Konsequenzen, die der Fachkräftemangel für die Kinder- und Jugendhilfe haben kann. Je mehr ich mich mit dem Thema befasst habe, desto klarer wurde mir, dass ich einen Film machen wollte, der Mut macht, und bei allen Missständen im System, die ich nicht außen vorlassen will, ein positives Beispiel zeigt.“

Drei Erzieher für fünf Kinder

Sein 94-minütiger Dokumentarfilm, uraufgeführt am 29. Oktober 2024 beim Dokfilmfest Leipzig, zeigt erfolgsversprechende Möglichkeiten für eine Kinder- und Jugendhilfe auf. Der Betreuungsschlüssel von drei Erziehern für fünf Kinder kann freilich nur, da darf man sich nichts vormachen, als luxuriöse Ausnahme angesehen werden.

Der vielfach u.a. beim Dokfilmfest Leipzig, beim Festival Visions du Réel in Nyon (Schweiz) und beim Festival „achtung berlin“ ausgezeichnete Film läuft im Bambi Düsseldorf sowie am Sonntag, 29. Juni 2025, zur Sektmatinee-Zeit um 11.15 Uhr im Casablanca Bochum.

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Mittwoch, 25. Juni 2025 | Autor: Pitt Herrmann