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Henrik Wager (Jesus) und Ruud van Overdijk (Judas) in der zeitlos-parabelhaften MiR-Inszenierung des Intendanten Michael Schulz.

'Jesus Christ Superstar' im MiR

Kaum geboren, geht es zur Kreuzigung

Kaum geboren geht es zur Kreuzigung: Die besinnliche Weihnachtszeit, und damit die Feier der Geburt Jesu Christi, steht bevor, und damit die rechte Zeit, um mit Jesus Christ Superstar von Tim Rice (Text) und Andrew Lloyd Webber (Musik) diese Geschichte zu erzählen. Am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier (MiR) ist jetzt die Rockoper aus dem Jahr 1971 in der Inszenierung des Intendanten Michael Schulz, die am 23. Dezember 2017 umjubelte Premiere feierte, wiederaufgenommen worden.

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Basierend auf den Bibel-Erzählungen über die letzten sieben Tage Jesu stellen Rice und Webber allerdings Judas und seinen Verrat in den Mittelpunkt ihrer Geschichte, die nichts von ihrer Aktualität verloren hat. Andrew Lloyd Webber: „Es ist eine sehr menschliche Version von Christus, die seine Größe nicht leugnet, doch die Göttlichkeit einfach nicht zur Diskussion stellt. Dieser Standpunkt zwingt dazu, menschliche Reaktionen von anderen einer großen Gestalt gegenüber zu behandeln. (…) Maria Magdalena ist die weltliche, die sich in ihn verliebt hat; Pilatus sieht sich mit ihm konfrontiert; Judas hat laut Bibel die Aufgabe, die Gelder zu kontrollieren. Simon ist der Revolutionär, der in Jesus die Leitfigur einer Bewegung zur Überwindung der Welt durch Gewalt sieht.“

Michael Schulz stellt in seiner Inszenierung klare Bezüge zur heutigen Zeit her, in der die elektronischen Medien das Leben der Menschen bestimmen und sie zu regelrechten Smombies machen (eine Kombination aus Smartphone und Zombie). Auch die Konsum- und Kapitalismuskritik, wie sie beispielsweise in der Szene der Vertreibung der Händler aus dem Tempel geäußert wird, ist in Zeiten von Finanz- und Schuldenkrisen nicht weit von der Lebenswirklichkeit des Publikums entfernt. Angeprangert wird aber zuvorderst die Masse der Mitläufer und Opportunisten, die ihr Fähnchen nach dem Wind drehen, sehr schön dargestellt zu Beginn, wenn die Jesu zujubelnde Masse mit weißen Blanko-Fahnen auf der Bühne steht.

Die Vereinnahmung des Einzelnen durch die Masse für ihre jeweilige Sache wird in dieser äußerst politischen Inszenierung auf beeindruckende Weise an den Pranger gestellt. Nicht nur die jubelnde Menge, die schon bald nach Jesu Kreuzigung verlangt, sondern auch die Jünger selbst stehen dabei in der Kritik. Mit Maschinengewehren bewaffnet versuchen sie Jesu zum Anzetteln einer Revolution zu überreden. Dem gegenüber agieren die jüdischen Priester, angeführt von Annas (Ingo Schiller) und Kaiphas (Joachim G. Maaß), die in Maßanzügen bemüht sind ihr dekadentes und lasterhaftes Leben vor Jesu Lehren zu bewahren.

Jesus selbst (brillant verkörpert von Henrik Wager) ist mit dem Rummel um seine Person sichtlich überfordert. Einerseits genießt er die Aufmerksamkeit, andererseits möchte er seine Ruhe und fühlt sich von seinen Gefährten unverstanden. Trost findet er in den Armen von Maria Magdalena (Dionne Wudu erhält leider nur wenige Gelegenheiten, Talent unter Beweis zu stellen).

Neben Wager glänzt auch Serkan Kaya (jetzt: Ruud van Overdiik) in der Rolle des zwiegespaltenen Judas. Der Verrat an Jesu erfolgt nicht aus Habgier, sondern aus der Überzeugung die Sache zu retten, die aufgrund von Jesu Popularität in Vergessenheit zu geraten scheint. Mehrfach stellt er die Richtigkeit seines Handels in Frage und Kaya stellt diese innere Zerreißprobe glaubhaft und emotional dar.

Die stärkste Szene der Rockoper ist ohne Frage die im Garten Gethsemane, wenn Jesus kurz vor seiner Verhaftung Zwiesprache mit Gott hält. Hier zeigt Wager seine Gesangskünste und sein Schauspieltalent gleichermaßen, wenn Jesu verzweifelt mit dem Schicksal hadert, von dem er weiß, dass er es erfüllen muss.

Hervorzuheben in den Nebenrollen sind Edward Lee als Pontius Pilatus, dessen in Unschuld gewaschene Hände blutig bleiben, während er gleichzeitig dem Publikum die eigene Verantwortung vor Augen hält, und Anke Sieloff (für den verstorbenen Rüdiger Frank), deren Auftritt als König Herodes in Form einer teuflischen Revuenummer daherkommt.

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Die Band unter der Leitung von Heribert Feckler schafft es auch in kleiner Besetzung groß aufzuspielen und das Bühnenbild von Kathrin-Susann Brose ist neben den Darstellern der Star der Produktion. Mit der Neuinszenierung des über 40 Jahre alten Stoffs erzählt Michael Schulz eine zeitlose Geschichte als Parabel über unsere heutige Gesellschaft, die den Nerv der Zeit mit Wucht trifft.

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  • Freitag, 15. November 2019, um 19:30 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann / Miriam Zumbusch