
Kolumne Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey
Gesundheitswesen und Medienmüll
Normalerweise ertrage ich keine Arztfilme im Fernsehen. Der geballte Schwachsinn, der einem zugemutet wird, sobald es um irgendein medizinisches Thema geht, ist für mich nicht auszuhalten. Dafür sehe ich mir gerne den Tatort an. Wenn ich Polizist wäre, würde es mir dabei vermutlich ähnlich gehen wie bei Arztserien. Aber ich bin nur Arzt, deshalb springt mich der in Kriminalfilmen gezeigte Ermittlungsblödsinn nicht so an.
Vor einiger Zeit sah ich einen Tatort aus Berlin. Die Geschichte ging in etwa so: Eine junge, taffe Ärztin, die in eine hausärztliche Gemeinschaftspraxis, bestehend aus einem alten Arzt und seinem Sohn, eingetreten war, wurde ermordet. Die Praxis stand am Rande des Ruins, weil der alte Arzt, gütig und idealistisch wie er als alter Arzt zu sein hatte, exorbitant teure Medikamente Patienten mit schweren chronischen Krankheiten verordnet hatte. Deshalb wurde die Praxis von den Kontrollorganen der Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen in Regress genommen. Ein Patient mit einem Morbus Crohn (chronisch entzündliche Darmerkrankung) war angeblich an der Wechselwirkung von zwei Medikamenten gestorben. Der alte Arzt hatte das extrem teure Medikament (Infliximab) verabreicht, die junge Ärztin das deutlich billigere Azathioprin. Ermordet wurde die Ärztin aber von einer Mutter, deren Kind an Mucoviszidose litt und dem die junge Ärztin nicht mehr die gewohnten teuren Präparate verordnen wollte.
Was ist an dieser Story so schwachsinnig und verantwortungslos?
Eine durchschnittliche hausärztliche Praxis hat 2-3 Patienten mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung. Meistens sind diese Patienten von einer auf Darmerkrankungen spezialisierten Praxis auf bestimmte Medikamente eingestellt. Gelegentlich müssen auch exorbitant teure Medikamente wie dieses Infliximab eingesetzt werden. Das verordnet und überwacht dann aber die gastroenterologische Fachpraxis, die mit diesen riskanten Behandlungen eine große Erfahrung hat. Die muss dann auch nicht befürchten, dafür in Regress genommen zu werden. In Berlin gibt es übrigens mehr als 60 niedergelassene Gastroenterologen.
Die Mucoviszidose ist eine seltene Erkrankung. Ein Hausärzteleben reicht meistens nicht, um einen Patienten damit anzutreffen. Fast immer werden diese Patienten schon im Kindesalter von spezialisierten Fachkliniken und Praxen aufgefangen, denen alle Möglichkeiten der Behandlung offen stehen. Kein vernünftiger Hausarzt würde sich anmaßen, die Behandlung dieser Patienten nach eigenem Ermessen zu führen. Kein Patient in Deutschland mit einer derartigen Krankheit muss befürchten, an die Grenzen des hausärztlichen Budgets zu stoßen.
Unsere Hausärzte sind hervorragend ausgebildet, und sie sind verantwortungsvolle Menschen. Sie kennen Ihre Möglichkeiten und Grenzen. Sie sind dafür zuständig, ihre Patienten durch den Dschungel des Gesundheitswesens zu führen. Besonders in Ballungszentren wie Berlin oder dem Ruhrgebiet gibt es zahlreiche Fachpraxen und Klinikabteilungen, die auf bestimmte Krankheiten spezialisiert sind. Die Hausärzte kennen die Fachpraxen und Klinken, an die sie die Patienten überweisen und mit denen sie routinemäßig zusammenarbeiten. Wenn bestimmte Krankheitsbilder, wie chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Mucoviszidose, Hepatitis C, AIDS oder Krebs die Kompetenz oder das Verordnungsbudget der Hausärzte übersteigen, wird dies ohne Probleme von fachärztlichen Praxen aufgefangen.
Der alte Arzt aus dem Tatort ist kein Fall für einen Regress. Er hat sich eines ärztlichen Kunstfehlers schuldig gemacht, weil er als Hausarzt für eine Behandlung mit den genannten Medikamenten gar nicht ausgebildet war. Wäre dieser Fall Realität, ich bin mir sicher, er würde verurteilt werden, auch zu Schadensersatz.
Zum Glück ist das alles nur dem Hirn eines ahnungslosen Drehbuchautors entsprungen. Wenn ein derartiger Schwachsinn allerdings ungeprüft und ohne Widerspruch einem Millionenpublikum serviert werden kann, wie ist es dann sonst um das kollektive Wissen um die Funktionsweise des Gesundheitswesens bestellt? Warum werden Dinge als Missstand dargestellt, die längst optimal geregelt sind? Warum werden offensichtliche Missstände, die es ebenfalls zahlreich gibt, konsequent ignoriert?