Schauspielhaus Bochum: Das Pulver früh verschossen
Eines langen Tages Reise in die Nacht
Die lange Reise in die Abgründe fürchterlicher Schuldverstrickung beginnt am Morgen eines heißen Sommertages im Jahre 1912 vor dem bei Eva Veronica Born bald in Trümmern liegenden Landhaus des einstigen Erfolgsschauspielers James Tyrone (Pierre Bokma), einem Choleriker und ziemlich rücksichtslosem Geizkragen, der am Haushaltsstrom ebenso spart wie an der viel dringender benötigten medizinisch-psychologischen Behandlung seiner neurotischen Familie.
Zuallererst für seine Gattin Mary Cavan Tyrone (Elsie de Brauw), einer morphiumsüchtigen Meisterin des Verdrängens, die ständig bemüht ist, eine Fassade der Normalität aufrecht zu erhalten – vor allem sich selbst gegenüber. Sie leidet unter Verfolgungswahn und flüchtet sich in Ersatzhandlungen wie das Richten ihrer Haare: „Was das Leben aus uns gemacht hat, dafür kann keiner 'was”. Weil ihre Kraft nach 36 Ehejahren restlos aufgebraucht ist, versucht sie, in der Vergangenheit zu leben und die Gegenwart auszublenden.
Chronik eines Tages von 8:30 Uhr bis Mitternacht
Aber auch James Tyrone jr. (Guy Clemens), ein raubeiniger, gnadenloser Zyniker, hält als Schauspieler dem Erwartungsdruck des Vaters nicht stand: Als 33-jähriger Stammhalter, auf dem alle Hoffnungen ruhen, hat er sich nicht aus dessen übermächtigem Schatten befreien können und sucht sein Heil nun im Kentucky Bourbone-Delirium.
Der das reinste Gift ist für seinen zehn Jahre jüngeren Bruder Edmund (Alexander Wertmann), einem gescheiterten Literaten, der an offenbar ererbter Schwindsucht leidet: Ein kränkelndes, introvertiertes, schutz- und liebesbedürftiges Wesen, das sich nur bei der Mutter im Schoß und beim großen Bruder auf dem Arm geborgen fühlt und am ehesten im Sturm der Emotionen unterzugehen droht.
Kontrastfigur als lustiger Kerl
Schließlich das bauerntrampelige Hausmädchen Cathleen, die „wilde irische Lerche“, beim Autor Eugene O'Neill als Kontrastfigur personifizierter Gesundheit angelegt. In seiner Neuinszenierung am Schauspielhaus Bochum hat Intendant Johan Simons die Figur in den Butler Patrick verwandelt, den der munter extemporierende Konstantin Bühler als skurril-lustigen Kerl verkörpert, welcher mit kleinen theatralen Gags das Publikum bei Laune hält. Bleibt noch Marys Selbstgespräch im 4. Akt zu erwähnen, in der sie die Erscheinung der hl. Jungfrau Maria vor einem Altar wie in Trance schildert: Simons wertet es durch den Amsterdamer Gast Django Gantz als Geist auf.
„Ich finde mehr Glück in einer wirklichen Tragödie als in allen Stücken mit glücklichem Ausgang“: Der Literatur-Nobelpreisträger Eugene O’Neill hat sein bitter-ironisches Drama „A Long Day's Journey into Night“, wie er seiner dritten Frau Carlotta in einer Widmung zum 12. Hochzeitstag im Juli 1941 verriet, „über einen Schmerz aus alten Tagen, mit Blut und Tränen geschrieben“. Zu Lebzeiten des Autors durfte es nicht aufgeführt werden, weil das Vorbild für seine Hauptfigur noch lebte: er selber. So sollte das Schlüsseldrama laut testamentarischer Verfügung erst 25 Jahre nach seinem Tod uraufgeführt werden.
Klassiker der Moderne
Worüber sich Eugene O’Neills Witwe hinwegsetzte: „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ ist am 7. November 1956 am Broadway uraufgeführt und mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet worden. Dieser „Klassiker der Moderne“ war zuletzt 1996 in Bochum von der damals 25-jährigen Karin Henkel inszeniert worden – als Kammerspiel in den Kammerspielen des Schauspielhauses mit Ezard Haußmann, Traute Hoess, Matthias Leja und Peter Jordan.
Die wie bei Karin Henkel dreieinhalbstündige Aufführung beginnt im Großen Haus mit einem gewaltigen Knall auf der desillusionierend nackten Bühne Eva Veronica Borns, auf den bis zum offenen Schluss, an dem alle Darsteller regungslos auf der Bühne verharren, starke Szenen einer Ehe in freilich endlos erscheinenden Dialogen folgen. Wer nach zwei Stunden zur Pause das Theater verlässt in der irrigen Ansicht, Simons habe sein Pulver bereits mit dem spektakulären Auftakt verschossen, verpasst den spannenderen zweiten Teil des Stücks, in dem endlich Wahrheiten offenbar und auch ausgesprochen werden.
Verloren im Raum
Nichts gegen konventionelles Schauspieler-Theater, wobei Simons das Deklamieren im 1. Akt und generell bis auf einen langen Monolog James Tyrones das Theater-auf-dem-Theater-Motiv zugunsten der Ehe- und Familienthematik zurücknimmt. Und nichts gegen die Bochumer Besetzung, aber der Regisseur hat seine Schauspieler, die im großen Raum häufig wie verloren erscheinen, vor allem in ersten Teil im Stich gelassen.
Es ist allerdings fraglich, ob Experimente wie die „Instrumentalversion“ am Staatstheater Nürnberg, die in der Regie von Rieke Süßkow noch bis Mitte Juli 2025 auf den Spielplan steht, mehr Spannung erzeugen. In der Koproduktion mit der Nürnberger Hochschule für Musik wird „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ aus der Perspektive der depressiven Mutter erzählt. Wo immer im Stück gesprochen wird, erklingt in Marys Ohren – und denen des Publikums – Musik, wobei jeder Figur ein spezielles Instrument zugeordnet ist.
Karten unter schauspielhausbochum.de und Tel. 0234 – 33335555. Die nächsten Vorstellungen im Schauspielhaus Bochum:
- Sonntag, 12. Januar 2025, 17 Uhr
- Samstag, 18. Januar 2025, 19 Uhr
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- Sonntag, 12. Januar 2025, um 17 Uhr
- Samstag, 18. Januar 2025, um 19 Uhr