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Nicht nur unsere Cool Cats sind sauer auf die Corona-Ignoranten und Maskenverweigerer.

Kolumne von Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey

Die Relativität der Verantwortung

So gut wie jede ärztliche Tätigkeit an oder mit einem Patienten wird rechtlich als Körperverletzung und somit vom Prinzip her als Straftatbestand eingeordnet. Nur dann, wenn der betroffene Patient durch sein Handeln oder seine ausdrückliche, oft schriftliche Erklärung sein Einverständnis bekundet hat, bleibt diese Körperverletzung straffrei. Wird ein Patient durch ärztliches Handeln gar fahrlässig infiziert - egal um welchen Erreger es sich handelt, egal, ob die Infektion zu Symptomen führt oder belanglos bleibt – hat der Arzt ein veritables rechtliches Problem. Daran muss man sich als Arzt erstmal gewöhnen, steht es doch in völligem Widerspruch zu der normalen Motivation, diesen Beruf zu ergreifen. Rein juristisch ist daran wenig zu kritisieren.

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Es macht mich als Arzt, der einer derartigen Rechtslage ausgesetzt war, wütend, zu sehen, mit welch zynischer Menschenverachtung, Egoismus und ver-querdenkender Dummheit Maskenverweigerer und Corona-Ignoranten zahlreiche Menschen einer schweren gesundheitlichen Schädigung oder sogar dem Tod aussetzen. Auch lasche Politiker und allerlei Vertreter wirtschaftlicher Interessen scheinen immer noch zu glauben, dass dieses Virus einen Bogen um das Besäufnis im häuslichen Partykeller macht. Nach einer Infektion mit SARS-CoV2 erkranken 55–85 Prozent (Manifestationsindex) der nachgewiesen Infizierten erkennbar und etliche schwer an COVID-19. Die Rekonvaleszenz dauert lange, viele sind für den Rest ihrer Tage behindert und einige sterben. Dies billigend in Kauf zu nehmen, ist eine Körperverletzung, manchmal mit Todesfolge. Ich denke, ein Jurist muss nicht allzu viel von seiner Expertise mobilisieren, um dies grundsätzlich als Straftatbestand zu werten. Ein Vergleich dieser, oftmals mit geradezu krimineller Energie durchgesetzten, Leichtfertigkeit mit illegalen Autorennen ist nicht allzu weit hergeholt. Wird bei letzterem ein tödlicher Unfall verursacht, verurteilen die Gerichte die Schuldigen mittlerweile sogar wegen Mordes! Nur, weil im Einzelfall einer Covid-19-Infektion so gut wie nie der Verursacher feststellbar ist, hat man sich bezüglich der Strafverfolgung auf ein gleichgültiges Schulterzucken reduziert. In der derzeitigen Phase der Covid-19-Pandemie gilt nur als vorrangiges Ziel, einen Kollaps des Gesundheitssystems zu verhindern. Als wäre es nicht schon schlimm genug, überhaupt mit diesem Virus infiziert zu werden.

Der dümmlichen Verniedlichungen gibt es viele. Gerne wird die derzeit geringe „Übersterblichkeit“ angeführt. Eigentlich ist die Ermittlung dieses Wertes ein retrospektives Verfahren in der Epidemiologie. Vergleichsgrößen sind Mittelwerte aus der Vergangenheit oder durch statistische Bereinigungsverfahren aus diesen errechneten Basiswerte, die als Mindestgröße zu erwarten sind. So kann man zu späterer Zeit auf bestimmte Todesursachen und die zugrunde liegenden Kausalketten schließen. Man kann ermitteln, wie stark die Influenza zugeschlagen hat, aber auch, wie und wann Folgen der Tschernobyl-Katastrophe aufgetreten sind.

Da wird dann argumentiert, die „Übersterblichkeit“ sei bezüglich Covid-19 so gering, dass sie am Ende des Jahres kaum ins Gewicht fallen werde. Tatsächlich stirbt rein rechnerisch alle 33 Sekunden in Deutschland ein Mensch. Hat sich daran durch Corona etwas verändert? Bisher kaum. Die wöchentlichen Todesfälle liegen insgesamt nur leicht über dem Durchschnitt der Vorjahre. Allerdings, ein Vergleich mit anderen Teilen der Welt zeigt: Wie viele Opfer die Pandemie fordert, klafft je nach Land stark auseinander. In England und Wales starben zeitweise doppelt so viele Menschen wie in den entsprechenden Vorjahreswochen. Sogar in Schweden starben in der ersten Welle der Infektion deutlich mehr Menschen als in den Vorjahren. In Südamerika und in den Vereinigten Staaten, aktuell das Land mit den meisten Todesfällen, ist die gegenwärtige Sterblichkeit sehr stark erhöht. Das liegt nicht daran, dass das Virus in diesen Ländern ein anderes ist. Es liegt schlicht daran, dass die Maßnahmen zur Beherrschung des Infektionsgeschehens deutlich schlechter sind, als in Deutschland. Wäre das Management der Seuche bei uns ähnlich inkompetent gewesen, hätten wir bis jetzt mindestens 60.000 Tote zu beklagen. Die wären dann sehr wohl statistisch relevant gewesen. Die aktuell geringe Übersterblichkeit ist ein beeindruckender Erfolg der Schutzmaßnahmen und der Disziplin der deutschen Bevölkerung. Dies aber als Beweis dafür anzuführen, dass die Schutzmaßnahmen unsinnig seien, ist so zynisch, dumm und unlogisch wie eine Abschaffung der Gurtpflicht im Auto oder der Verzicht auf Sicherheitsmaßnahmen bei Veranstaltungen wie der „Love-Parade“. Eine „Übersterblichkeit“ in statistisch relevanter Größenordnung würde selbst bei wahrscheinlich Hunderten von zusätzlichen Unfalltoten nicht eintreten.

Bei alledem sind die Corona-Ignoranten – ob jung oder alt – dämlich genug, sich einer Infektion auszusetzen, deren Spätfolgen in 5, 10 oder 20 Jahren allenfalls erahnt werden können.

Ein Forschungs-Team aus London, das eine außergewöhnlich umfangreiche Studie zu Hirnschäden als Spätfolge von Covid-19 verfasst hat, schreibt: „Ob es zu einer Epidemie in großem Umfang an Hirnschäden im Zusammenhang mit der Pandemie kommen wird – vielleicht ähnlich dem Ausbruch der Enzephalitis lethargica* in den 1920er Jahren nach der spanischen Grippepandemie von 1918 – bleibt abzuwarten....Selbst bei Covid 19-Infizierten mit nur leichtem Verlauf der Erkrankung konnten später gravierende Folgen wie Hirnfunktionsstörungen, Schlaganfälle oder schwere Gehirnhautentzündungen diagnostiziert werden. Die Anzahl der neurologischen Auffälligkeiten ist höher als erwartet “.

(*Die Enzephalitis lethargica trat epidemisch in Deutschland in ca. 60.000 Fällen ca. 5 – 10 Jahre nach der spanischen Grippe auf. Es handelt sich um eine Gehirnentzündung, die Lethargie, unkontrollierbare Schlafanfälle und eine der Parkinson-Krankheit ähnliche Störung auslöst bis hin zum einem Endstadium, das bei vielen Patienten zu fast völliger Bewegungsunfähigkeit führt)

In einer Kolumne bei „DocExpert“ – einer Art Facebook für Ärzte - las ich jüngst:

Wie menschenverachtend ist es, auf ein Stückchen Stoff vor der Schnauze, Abstand und regelmäßiges Händewaschen verzichten zu wollen und dabei den Tod tausender Menschen in Kauf zu nehmen, die vielleicht noch fünf, zehn oder fünfzehn Jahre gelebt hätten? Die vielleicht ihre Enkel nie kennenlernen dürfen, nur weil ihr keinen Bock habt, unter der Maske ein bisschen zu schwitzen? Die nicht mehr ihren nächsten und übernächsten und überübernächsten Geburtstag im Kreis ihrer Familie feiern dürfen, nur weil ihr unbedingt wieder in Clubs feiern müsst?

Alte und Kranke aus mangelnder Solidarität einem Infektionsrisiko auszusetzen, ist nicht dasselbe wie Oma ein würdevolles Ableben nach einem schrecklichen Sturz die Treppe hinunter zu ermöglichen. Es ist dasselbe, wie Oma die Treppe hinunterzuschubsen.

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Dem habe ich eigentlich nichts hinzuzufügen.

| Autor: Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey