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Josef Mengele (August Diehl) beim Blick in den Spiegel: Eine Mischung aus Sentimentalität, Wut, Enttäuschung, Größenwahn und Selbstverliebtheit kulminiert in der Erkenntnis, dass er zwar Deutschland hinter sich gelassen hat, sich selbst aber nicht entkommen kann.

Das Verschwinden des Josef Mengele

Der Todesengel von Auschwitz

São Paulo, 2023. In der medizinischen Fakultät der Universität erläutert der Professor seinen Studenten, wer Josef Mengele war, dessen sterbliche Überreste vor ihnen liegen. Rückblende, Buenos Aires, 1956. Unter dem Namen Gregor lebt Josef Mengele (überragend: August Diehl), der leitende Lagerarzt des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, im Exil. Unterstützt durch ein Netzwerk Ewiggestriger und finanziert von seiner Familie, gelingt es ihm, über dreißig Jahre hinweg der internationalen Justiz – und besonders dem israelischen Geheimdienst Mossad – zu entkommen.

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München, 1965. Josef Mengele ist aus Brasilien mit bundesdeutschem Pass zurückgekehrt zur Beerdigung seines Vaters Karl Mengele (Paraderolle für Burghart Klaußner). Der ihn nach Kriegsende zunächst in seinem Unternehmen im bayerischen Günzburg beherbergt hatte, umsorgt von Falk (Falk Rockstroh), dem langjährigen Butler der Familie. Zumal Konrad Adenauer einen Nazi-Ministerialrat wie den Juristen Hans Globke, Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassengesetze, in gleicher Funktion als Chef des Bundeskanzleramtes nach Bonn geholt und damit quasi rehabilitiert hat.

Kopfprämie ausgesetzt

Josef Mengele aber setzt sich vorsichtshalber nach Argentinien ab. Wo er in der feudalen Villa Clara in Buenos Aires zu Wagner-Klängen unter Hakenkreuz-Flaggen Martha (Friederike Becht), die Witwe seines Bruders Alois (Mirco Kreibich), als seine zweite Frau heiratet. Und seine fürchterlichen medizinischen Versuche weiterführt, die 1960 zu seiner kurzzeitigen Verhaftung führen. Als in Deutschland eine Kopfprämie auf ihn ausgesetzt wird und der Mossad Adolf Eichmann entführt hat, zieht er zusammen mit Martha und wenigen Getreuen wie Wolfgang Gerhard (Johannes Hegemann) nach Paraguay weiter.

Das Grauen in Farbe

Josef Mengele (August Diehl) kehrt mehrfach in den elterlichen Betrieb im bayerischen Günzburg zurück und 1956 nach München zur Beerdigung seines Vaters.

Bis hierhin eine in Schwarzweiß gefilmte Biographie nach dem Roman „La disparition de Josef Mengele“ von Olivier Guez aus dem Jahr 2017, wird der erste deutschsprachige Film des hierzulande auch als Theaterregisseur bekannten Russen Kirill Serebrennikov, zuletzt „Der Schneesturm“ von Vladimir Sorokin am Düsseldorfer Schauspielhaus, plötzlich farbig: 1943 kehrt Josef Mengele nach einjährigem freiwilligen Sanitätsdienst bei der Waffen-SS an der Ostfront heim ins Reich und genießt zusammen mit Gattin Irene (Dana Herfurth) die auf den ersten Blick so friedliche erscheinende „Normalität“ der vergleichsweise paradiesischen Idylle an der Soła, einem Nebenfluss der Weichsel. Die beim Konzert eines Orchesters Kleinwüchsiger zur Selektion an der „Rampe“ von Auschwitz ins Grauen umschlägt.

Herrenmensch als Farmer

1962, Brasilien, die Bilder werden wieder Schwarzweiß. In der Fazenda Santa Lucia ist Josef Mengele alias Peter Hochbichler als Farmer tätig, „experimentiert“ jetzt mit Tieren. Der „Todesengel von Auschwitz“ ist nach wie vor von seiner wissenschaftlichen Mission überzeugt, hadert aber mit seinem Schicksal als Exilant. Was ihn nicht daran hindert, gegenüber seinen ungarischstämmigen Gastgebern, die er als „Zigeunerpack“ beschimpf, die Herrenmensch-Attitüde herauszukehren.

Besuch vom Sohn

São Paulo, 1978. Josef Mengele ist als Don Pedro auf seiner letzten Station bei Geza (Tilo Werner) und Gitta Stammer (Annamária Láng) gelandet. Ein von Alpträumen geplagter, kranker, einsamer Greis. Der nicht verstehen will, warum gerade er das Sinnbild des Bösen schlechthin darstellt: In Auschwitz gab es schließlich viele andere Ärzte. Den Rest gibt ihm ein unerwarteter Besucher: Sein inzwischen erwachsener Sohn aus erster Ehe, Rolf Mengele (Max Bretschneider), ein langhaariger 30-jähriger Langzeit-Studenten, hat ihn aufgespürt und will seinen Erzeuger zur Rede stellen. Aber es kommt nur zu einem letzten, stummen Aufeinandertreffen zwischen den Generationen…

Banalität des Bösen

Kirill Serebrennikov erzählt, Hannah Arendts Erkenntnis von der „Banalität des Bösen“ entsprechend, aus der Perspektive Josef Mengeles und zeigt so, wie aus einem normalen, eher kleinbürgerlichen Menschen ein Monster werden kann. Dabei hat sich der Drehbuchautor und Regisseur eigenen Angaben zufolge von Jonathan Littells „Die Wohlgesinnten“ inspirieren lassen, dem Monolog eines SS-Offiziers. Sein 135-minütiger Film, vom 4. Juni bis 24. Juli 2023 in Lettland, Uruguay und Bayern gedreht, ist in drei Kapitel gegliedert, die mit Mengeles Decknamen Gregor, Peter und Pedro betitelt sind. Josef Mengele, auf geradezu unheimliche Weise ganz selbstverständlich verkörpert von August Diehl, ist übrigens 1979 vor der Küste von Bertiogan ertrunken und unter dem Namen Wolfgang Gerhard bestattet worden.

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Der Uraufführung am 20. Mai 2025 beim 78. Int. Filmfestval Cannes folgte die Deutsche Erstaufführung am 22. August 2025 auf dem 21. Festival des deutschen Films in Ludwigshafen samt Auszeichnung als „Bester Film“. Zum Kinostart am 23. Oktober 2025 läuft „Das Verschwinden des Josef Mengele“ im Casablanca Bochum, in den Schauburg-Häusern Dortmund und Gelsenkirchen, im Astra Essen sowie im Bambi Düsseldorf.

Mittwoch, 22. Oktober 2025 | Autor: Pitt Herrmann