
'Wildbestand' am 22. Mai 2024 im Kulturzentrum
Von einer, die auszog, eine Zukunft zu finden
„Am Ende ist alles gut. Wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende“: Das hat Greta (Nina Holtvoeth) ‘mal auf einer Postkarte gelesen. Von dieser Zuversicht getragen, erzählen sie und ihr Bruder Hannes (Christian Zell), der gerade vom Opa mit frischem Haarschnitt zurückkehrt, vom Wald, in dem sie mit ihrer Mutter (Alla Cyna) leben. Und von einem bevorstehenden Abschied, denn die Försterei muss schließen. Weshalb sich Mutti nach einem neuen Zuhause in der Stadt umschauen muss.
Noch einmal ist sie mit dem Gewehr unterwegs, um den Wildbestand zu regulieren. Und dann ist endlich das Essen fertig. Der Duft hat offenbar ein zunächst namenloses fremdes Mädchen (Annamae Endtinger) angelockt. Das der Mutter und den Geschwistern Rätsel aufgibt. Ist sie wirklich in einem Schlauchboot über das Meer gekommen? „Bleib stumm. Stell dich dumm“, hat man ihr geraten. Doch als das Eis gebrochen ist, beginnt Dina, die Namenlose, zu erzählen. Etwa von Menschen, die sich die Fingerkuppen abschleifen, damit ihre Identität nicht festgestellt werden kann.
Vom Krieg traumatisiert
Dina ist traumatisiert vom Krieg, aus dem sie geflüchtet ist. Schon vor dem Gewehr der Försterin hat sie Angst. Es ist ein schmerzhafter Abschied von den neuen Freunden, als diese mit Sack und Pack den Wald verlassen. Und bald kündigen Kreissägen-Geräusche neue Probleme für Dina an, die auf einem Hochsitz Zuflucht gefunden hat. Und das Ende dieser letztlich traurigen, aber nicht ganz hoffnungslosen Geschichte voller Abschiede? Es wird gut sein, sonst ist es nicht das Ende…

Im Stück „Wildbestand oder Von einer, die auszog, eine Zukunft zu finden“ erzählt die Berliner Dramatikerin Esther Becker auf ganz eigene Weise von den Themen Flucht und Vertreibung. Die 24-jährige WLT-Regieassistentin Dalila Niksic hat das Stück am Sonntag (21.4.2024) in Castrop-Rauxel uraufgeführt (halloherne berichtete). Ihr knapp einstündiges Regiedebüt bringt dem Publikum ab zehn Jahren die Situation von Flüchtlingen und Vertriebenen auf spielerische Weise ohne erhobenen Zeigefinger nahe.
Wechsel zwischen Schauspiel, Erzählung und Kommentar
Und das beginnt schon beim Prolog im Parkett: die vier Darsteller sitzen mitten im Publikum. „Sollen wir anfangen?“ Dann geht’s gleich flott los – mit einem ständigen Wechsel zwischen Schauspiel, Erzählung und Kommentar. Und dem derzeit inflationär gebrauchten Verfremdungs-Effekt des aus der Rolle Fallens. Die Ausstatter Marc Mahn (Bühne) und Rabea Stadthaus (Kostüme) haben die Einheitsbühne in klar voneinander abgegrenzte Bereiche aufgeteilt, die paralleles Spiel ermöglichen vor dem Hintergrund idyllischer Landschaften.
Die Regisseurin Dalila Niksic: „Das Stück macht das supergut, weil es gleichzeitig allumfassend und trotzdem sehr persönlich zeigt: Flucht ist nichts, was du bist, sondern etwas, was dir passiert. Beim Lesen ist mir die ganze Zeit durch den Kopf gegangen: Wie wäre es bei mir? Das kommt bei dem Thema sonst eher selten vor. Denn ja klar, wir könnten auch die Geflüchteten sein. Die Sprache des Stücks ist dabei teilweise poetisch und die Dialoge sind fast schon slapstickartig geschrieben.“
Den Lebenstraum erfüllt
Im Ensemble mit Alla Cyna eine 40-jährige Ukrainerin, die auf der Krim als Krankenschwester gearbeitet hat, bevor sie vor 19 Jahren nach Deutschland kam, um Chemie zu studieren. Inzwischen verheiratet und Mutter einer Tochter hat Alla Cyna sich mit einer vierjährigen Schauspiel-Ausbildung in Köln einen Lebenstraum erfüllt und steht nun in einem Stück auf der Bühne, dessen Thema ihr persönlich sehr nahe geht.
Das Westfälische Landestheater zeigt „Wildbestand oder Von einer, die auszog, eine Zukunft zu finden“ für alle ab zehn Jahren am Mittwoch, 22. Mai 2024, um 16 Uhr im Herner Kulturzentrum. Karten unter proticket.de zum Preis von sechs Euro.
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- Mittwoch, 22. Mai 2024, um 16 Uhr