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Die Streckenwärter Lansky (Otto Sander) und Dettmann (Ben Becker) finden auf ihrem üblichen Kontrollgang entlang der Bahnstrecke einen Koffer voller Geld. Bald werden die beiden harmlosen Glückpilze zu von eiskalten Profis Gejagten.

Grimme-Preisträger Joachim Król

Totes Gleis im Brandenburgischen

„‘Ne Frau muss ‘nen Geheimnis haben“ sagt Jobst Dettmann (Ben Becker) und hat dabei Maria (Monika Hansen) vor Augen. „Es gibt keine Geheimnisse, es gibt nur Wahrheiten“ antwortet ihm sein um einiges älterer Kollege Richard Lansky (Otto Sander), der schon längst mehr als nur ein Auge auf die Wirtin der Bahnhofs-Gaststätte von Ostermark geworfen hat. Wo die beiden Streckenwärter regelmäßig einkehren auf ihrem täglichen Abschnitt entlang der Gleise zwischen Potsdam und Magdeburg, auf denen inzwischen auch der Schnellzug Moskau-Paris wieder verkehrt.

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Derweil holt die Potsdamer Kriminalkommissarin Tanja Voigt (Katrin Sass) mit Prokat (Karl Kranzkowski) den Kronzeugen eines spektakulären Mafia-Prozesses persönlich aus dem Gefängnis ab, um ihn in den Gerichtssaal zu eskortieren. Denn nur durch ihren persönlichen Einsatz ist es der Justiz gelungen, führende Köpfen des organisierten Verbrechens in Brandenburg anzuklagen. Als Prokat das Polizeifahrzeug verlässt, wird er auf dem kurzen Weg ins Gerichtsgebäude erschossen. Der Täter wird richtigerweise im Hotel Mercure vermutet, kann Voigt und ihrem Assistenten Jens Hoffmann (Dirk Schoedon) in einer wilden Verfolgungsjagd jedoch entkommen – in einen Zug Richtung Hannover.

Aber Tanja Voigt bleibt ihm dicht auf den Fersen, beim nächsten Halt des Zuges soll dieser von einer Hundertschaft durchkämmt werden. Der Profikiller, ein Franzose namens Brasseur (Gilles Gavois), riecht den Braten, entledigt sich erst seines Metallkoffers mit der Waffe und seinem Lohn in Form dicker Bündel Franc-Noten, um später selbst vom fahrenden Zug zu springen. Zu diesem Zeitpunkt ist besagter Koffer den beiden Streckenwärtern längt vor die Füße gefallen und der kindsköpfige Dettmann malt sich sogleich ein luxuriöses Leben aus: Ewige Sonne, blaues Meer, weißer Palmenstrand - und jede Menge Frauen. Aber Lansky, ehemals erfolgreicher Boxer, dem die ganz große Sportkarriere aus Mangel an Skrupellosigkeit versagt blieb, will die Kohle lieber der Polizei übergeben.

Nachdem Dettmann sich in der Volksbank über den aktuellen Wechselkurs informiert hat, koppelt er seinen im Beiwagen wartenden Kollegen einfach ab und fährt mit dem Motorrad nach Berlin – die große, weite Welt schnuppern. In einer Wechselstube am Wasserklops versorgt er sich mit Barem, um sich chic einkleiden und im Hotel Metropol die Suite für 920 Mark die Nacht nehmen zu können. Aus der Hotelbar, in der eine Sängerin (Meret Becker) den „Platters“-Hit „The Great Pretender“, der eben noch im Original aus dem alten Radio in Marias Gastwirtschaft erklang, fürchterlich verjault, lässt sich Dettmann von der Professionellen Beatrice (Ulrike Krumbiegel) abschleppen, die bei erstbester Gelegenheit ihren Zuhälter (Wilfried Loll) dazu verleitet, die mit Bargeld gefüllte Minibar des reichlich abgefüllten „Baby“ Jobst zu plündern. Gut, dass der schlagkräftige Richard Lansky rechtzeitig zur Stelle ist.

Zurück in Ostermark müssen sich beide Streckenläufer nicht nur um den Verbleib des Koffers sorgen, sondern auch um dessen Besitzer Brasseur, der sich inzwischen bei Maria einquartiert hat. Und um die Potsdamer Polizei, die nach einem Crash der Fahrschülerin Weber (Gundula Petrovska) mit einem Amischlitten in dessen Kofferraum den derangierten Luden gefunden und nun einen neuen Fall hat, nachdem Hauptkommissar Messerschmidt (Karl Ernst Horbol) und der selbstüberhebliche Wessi von Kriminaloberrat Golz (Detlef Bierstedt) vom Bundeskriminalamt Tanja Voigt die Mafia-Ermittlungen aus der Hand genommen haben…

Wie von Bernd Böhlich erwartet, ist „Totes Gleis“, am 10. April 1994 in der ARD erstausgestrahlt als Teil 1 der mit „Das Wunder von Wustermark“ (1998) und „Dettmanns weite Welt“ (2005) komplettierten Trilogie mit Otto Sander und seinem Stiefsohn Ben Becker als Streckenläufer-Duo, ein neunzigminütiger Hauptspaß, für den es am 17. März 1995 im Theater Marl den begehrten Adolf-Grimme-Preis in Gold gab für das Autorenduo Michael Illner und Leo P. Ard, den Regisseur Bernd Böhlich sowie Otto Sander und Ben Becker stellvertretend fürs ganze großartige Ensemble.

Zu dem auch Joachim Król gehört: Seine skurrile Figur, der finanziell stets klamme Zeitungskolporteur Winter, lobt seinen neuen „Video-Automat“ in höchsten Tönen, weil er jetzt jeden Tag bei Maria einen trinken und sich den abendlichen Fernsehfilm am anderen Morgen ansehen kann. Er radelt im zunehmend menschenleeren Dorf durch den Kaiser-Wilhelm-Weg, der eben noch Karl-Marx-Straße hieß, an vergilbten Wahlkampfplakaten Helmut Kohls („Keinem wird es schlechter gehen“) vorbei. Und schimpft über die nach der Wende arbeitslos gewordenen „Auswanderer“, die es nun an den Rhein zieht. Winter träumt von großen Investitionen in der brandenburgischen Provinz: „Die Zukunft kommt aus dem Nichts“. Weshalb er den vermeintlich wohlhabenden Fremden, Brasseur, stets im Auge behält.

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Einmal mehr erweist sich Bernd Böhlich als guter Beobachter. Wie etwa Jobst Dettmann, der in Reichsbahn-Arbeitskluft in die neue alte Hauptstadt aufgebrochen ist, vom Hotelportier (Andreas Hanft) oder dem Inhaber eines luxuriösen Bekleidungshauses (Robert Rober) erst verkannt und dann umgarnt wird, ist ebenso eine auf den Punkt gebrachte Petitesse wie die kurze Fahrschul-Szene mit dem genervten Fahrlehrer Brückner (Günter Rüger) und seiner nervösen Schülerin, deren Unfall den Stein ins Rollen bringt. Vom tollen Finale ganz zu schweigen. „Totes Gleis“ wird im Rahmen des Sonderprogramms „50 Jahre Polizeiruf 110“ am Samstag, 29. Mai 2021, um 20.15 Uhr im „Dritten“ des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb) erneut gezeigt und in die ARD-Mediathek eingestellt.

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  • Samstag, 29. Mai 2021, um 20:15 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann