
Joachim Król ermittelt im Mordfall Walter Lübcke
Schuss in der Nacht
„Wenn er reden will, dann lassen wir ihn reden“ gibt die hochschwangere Ermittlerin Petra Lischke (Katja Bürkle) die Richtung der Vernehmung von Stephan Ernst (Robin Sondermann) vor, ihr Kollege Norbert Bartels (Joachim Król) aber ist skeptisch: „Der kapiert nicht, was er getan hat.“ Am 1. Juni 2019 gegen 23.30 Uhr fällt der Schuss, der für die Bundesrepublik eine Zäsur bedeutet. Im Ortsteil Istha der hessischen Kleinstadt Wolfhagen wird in dieser Nacht der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke ermordet, während nur wenige Meter weiter die jährliche Weizenkirmes die Bewohner in Feierlaune versetzt.
„Ich muss sagen, es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten. Wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Es ist die Freiheit eines jeden Deutschen“: Dieses Statement gab Walter Lübcke, ständig von ortsfremden „Wutbürgern“ provoziert und beschimpft, im Oktober 2015 auf einer Bürgerversammlung zur bevorstehenden Aufnahme von Flüchtlingen im hessischen Lohfelden ab. Seine Worte wurden, mutmaßlich von Markus H. (Konstantin Lindhorst) und Stephan Ernst, auf Handy-Video aufgezeichnet und ins weltweite Netz gepostet. Am Ende eines Shit-Storms gewaltigen Ausmaßes wurde Lübcke auf der Terrasse seines Hauses erschossen.
Eine DNA-Spur an der Kleidung des Ermordeten führte die Polizei am 15. Juni 2019 zu dessen mutmaßlichem Mörder: Stephan Ernst. Die Staatsanwältin Konstanze Weber (Ko-Autorin Hannah Ley) klagt den vorbestraften, den Sicherheitsbehörden seit langem bekannten Rechtsextremisten des vorsätzlichen Mordes an. „Der hat das nicht allein durchgezogen“ sind sich die beiden Ermittler Bartels und Lischke sicher, schließlich lagen vier Jahre zwischen dem Entschluss, Lübcke zu ermorden, und der Tat. Ins Visier gerät immer stärker Markus H., der Mitglied im Schützenverein Sandershausen ist und seinen Freund Stephan dort zu Schießübungen eingeladen hat. „Wir müssen uns verteidigen. Keiner tut was“ gibt Stephan Ernst als Motiv an. „Merkel will das Land zerstören“, deshalb habe er sich auf einen „eventuellen Bürgerkrieg“ vorbereitet.

Für Norbert Bartels, der seinerzeit im Kasseler NSU-Mord ermittelt hatte und vom Verfassungsschutz zurückgepfiffen wurde, steht fest, dass auch hier das Umfeld des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ mit im Spiel ist: Allein elfmal taucht der Name Stephan Ernst in den auch für die Polizei gesperrten NSU-Akten auf. „Lappalien, nichts Handfestes“ wiegelt Verfassungsschutz-Mann Werner Vogel (Bernd Hölscher) ab, ist dann aber heilfroh, dass ein Ortstermin mit dem Angeklagten keine neuen Erkenntnisse ergibt: „Da passt alles. Einzeltäter. Wunderbar“ spricht er offenbart zu einem Vorgesetzten ins Handy.
Dabei schildern Zeugen, dass der Angeklagte etwa bei NPD-Aufmärschen oder späteren AfD-Aktionen stets nur Mitläufer gewesen ist. Als Stephan Ernst auf Anraten seines Verteidigers die ursprüngliche Aussage widerruft und nun Markus H. des Mordes bezichtigt, wird nicht nur Werner Vogel nervös: Plötzlich taucht auch der smarte Alexander Thomann (Hagen Bähr) vom Bundes-Innenministerium auf, um sich bei Norbert Bartels scheinbar nach dem jüngsten Ermittlungsstand zu erkundigen, in Wirklichkeit aber dessen Wissen über die Verbindungen des Verfassungsschutzes zum NSU-Umfeld abzuschöpfen…
Das Dokudrama „Schuss in der Nacht“, erstausgestrahlt am 4. Dezember 2020 im „Ersten“, erzählt faktenreich, aber durchaus auch emotional vom ersten rechtsextremistisch motivierten Mord an einem Politiker seit der Zeit des Nationalsozialismus. Der Hybrid-Film des Ehepaars Hannah und Raymond Ley aus Dokumentation und Fiktion fußt auf den Protokollen des ersten Geständnisses von Stephan Ernst, das dieser später widerrufen und durch zwei neue Geständnisse ersetzt hat. Was zum Freispruch für Markus H. führte. Hinzu kommen Gesprächen mit Beteiligten vor Ort, so Freunde aus Istha wie der Sozialdemokrat Reinhard Brüning oder Mathias Müller und Frank Brunst von der Freiwilligen Feuerwehr, politische Wegbegleiter wie die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann oder auch der Kasseler Pfarrer Arno Wilke, der Lübcke als Letzter sah und mit ihm am Abend des 1. Juni noch auf der Terrasse saß, auf welcher der Regierungspräsident später erschossen worden ist.
Auf beklemmende Weise wird binnen neunzig Minuten dieser dichten, ungemein atmosphärischen Inszenierung Raymond Leys („Meine Tochter Anne Frank“, „Tod einer Kadettin“) deutlich, wie Stephan Ernst sich zunehmend radikalisierte und wie der CDU-Politiker Walter Lübcke als Vertreter einer fürsorglichen Haltung gegenüber Flüchtlingen zur Hassfigur von „Wutbürgern“ und Rechtsradikalen wurde.
„Schuss in der Nacht - Die Ermordung Walter Lübckes“ wird am Montag, 24. Mai 2021, um 20:15 Uhr sowie am Freitag, 28. Mai 2021, um 23:55 Uhr vom Digitalkanal ARD One, am Dienstag, 1. Juni 2021 um 22:.30 Uhr von Hessen 3 sowie in der gleichen Nacht um 0:15 Uhr von Südwest 3 ausgestrahlt. In der ARD-Mediathek kann das Dokudrama noch bis zum 24. Juni 2021 kostenlos gestreamt werden.
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- Montag, 24. Mai 2021, um 20:15 Uhr
- Freitag, 28. Mai 2021, um 23:55 Uhr
- Dienstag, 1. Juni 2021, um 22:30 Uhr