
Roshanthiny Dharmaseelan schildert die Fluchtgeschichte ihrer Familie
Positives Ankommen in unserer Stadt
Vor 35 Jahren flüchteten die Eltern von Roshanthiny Dharmaseelan aus Sri Lanka, wo zu diesem Zeitpunkt gerade der Bürgerkrieg begonnen hatte. Dharmaseelans Eltern gehörten der tamilischen Minderheit der Insel an und die war vom Bürgerkrieg besonders betroffen. „Meine Eltern waren noch sehr jung. Meine Mutter war 22 Jahre alt und mein Vater 27, er studierte Mathematik, doch der Bürgerkrieg zwang die beiden, ihr gewohntes Leben aufzugeben. Sie entschieden sich zur Flucht, um ihrer Familie ein besseres Leben zu ermöglichen", berichtete Dharmaseelan im Gespräch mit halloherne am Donnerstag (5.6.2020).
Eigentlich, so berichtete die 38-Jährige, wollten ihre Eltern nach England, da ihr Vater die Sprache beherrschte. Doch ihr Onkel, der bereits in Deutschland als Übersetzer arbeitete, überredete sie nach Deutschland zu gehen, da hier das Gesundheitssystem besser sei. So reiste die Familie mit gefälschten Pässen ein. Zunächst wurden sie und ihre Eltern in einem Asylheim in Berlin untergebracht. Dort gab es ausschließlich Gemeinschaftsduschen und eine Gemeinschaftsküche. „Besonders für meine Mutter war es sehr schwierig, sich zurechtzufinden. Sie ist mit einem sehr traditionellen Rollenverständnis von Mann und Frau aufgewachsen. Für sie war es sehr befremdlich, mit so vielen fremden Männern in einem Haus zu wohnen" , so Roshanthiny Dharmaseelan.
Erstmal nur Geduldet
Nach einigen Monaten kam die Familie dann nach Herne. Zunächst wieder in eine Flüchtlingsunterkunft. „Dann wurde meine Schwester geboren und wir durften kurze Zeit später in eine Mietwohnung umziehen", erzählte die Hernerin: „Wir bekamen Geld für die Ausstattung unserer Wohnung und Einkaufsgutscheine. Die meisten Dinge holten meine Eltern bei der Diakonie." Im Weiteren schilderte sie, dass ihre Familie anfangs nur einen Duldungs-Status hatte und ihr Vater aus diesem Grund noch nicht arbeiten durfte: „Es hört sich befremdlich an, dass man nur geduldet ist, wenn man vor einem Krieg flüchtet. Aber wir hatten Glück, dass wir als Familie zusammen sein konnten." Andere Familie hätten nicht so viel Glück gehabt. Viele Männer mussten alleine einreisen und ihre Familien trotz der ständigen Bedrohung durch die paramilitärische Organisation LTTE, zurücklassen.
Bist du nett zu mir, bin ich nett zu dir

Nachdem ihr Vater später eine Arbeitserlaubnis erhalten hatte, ging er arbeiten und ihre Mutter blieb zu Hause. „Für meine Mutter war es wirklich schwer. Sie durfte in Sri Lanka nur bis zur dritten Klasse die Schule besuchen und war deshalb nicht gebildet. Sie war ganz allein in einem fremden Land ohne ihre Familie, ohne Freunde und ohne die Sprache zu können", so Dharmaseelan: „Doch wir hatten unheimliches Glück mit unserem Vermieter-Ehepaar. Sie waren sehr lieb zu uns, schenkten uns ständig Süßigkeiten oder Spielzeug. Sie wurden bald so etwas wie unsere Ersatz-Großeltern. Von unserer Vermieterin bekam meine Mutter auch ihren ersten Wäschekorb geschenkt, den benutzt sie mittlerweile seit dreißig Jahren."
Es seien immer wieder solche Gesten der Nächstenliebe gewesen, die die Familie erfuhr. Dies ist auch ein Grund, warum Dharmaseelan ihre Geschichte öffentlich macht: „Ich finde es wichtig, gerade auch in Zeiten von Corona, positiv zu bleiben und nett zu seinen Mitmenschen zu sein. Ich sehe es bei meinen beiden Kindern. Da ist es egal, welche Hautfarbe jemand hat oder wo er herkommt. Da geht es frei nach dem Motto: Bist du nett zu mir, bin ich nett zu dir und wir können miteinander spielen."
Aber für die 38-Jährige war nicht immer alles nur einfach. Sie beherrschte zunächst die deutsche Sprache nicht, da sie zu Hause nur tamilisch sprachen. „Ich habe im Kindergarten deutsch gelernt und in der Schule hatte ich erst einmal Anpassungs-Schwierigkeiten. Meine Grundschullehrerin riet meinen Eltern, dass ich mehr lesen sollte und schon bald wurde ich Stammgast in der Stadtbücherei. Ich glaube, dass dies auch der Grund ist, warum ich bald schon keine Sprachprobleme mehr hatte" , so die Juristin. Ihr Abitur legte sie am Haranni-Gymnasium ab, dort lernte sie auch ihren jetzigen Mann kennen und mittlerweile sind sie seit 20 Jahren zusammen.
Mit direkter Fremdenfeindlichkeit hat Roshanthiny Dharmaseelan bisher zum Glück keine Erfahrungen gemacht, jedoch gab es das ein oder andere prägende Erlebnis: „Manchmal werde ich von den Leuten gefragt, ob ich deutsch spreche oder sie loben mich, weil ich so gut deutsch spreche. Das nervt mich manchmal schon, aber ich glaube, dass sich die Menschen dabei nichts denken."
Ihre tamilischen Wurzeln sind ihr wichtig, obwohl sie ihre Kinder im katholischen Glauben aufzieht, möchte sie, dass die Kinder auch ihren hinduistischen Glauben kennenlernen. „Da mein Mann katholisch ist und mein Sohn in eine christliche Kita geht, haben wir uns entschieden, dass meine Kinder katholisch aufwachsen. Dennoch sind meine Kinder dabei, wenn ich an meinem Altar bete und wir besuchen des Öfteren den Hindu-Tempel in Hamm. Sie sollen beide Glaubensrichtungen kennenlernen und später für sich selbst entscheiden. Ich glaube sowieso, dass es nur den einen Gott gibt, egal wie wir ihn nennen", so die 38-Jährige.
Schätzt wert, was ihr habt
Für Roshanthiny Dharmaseelan hat die Familie einen hohen Stellenwert, vielleicht sogar noch mehr, weil sie miterleben musste, wie schwer es für ihre Eltern war, von ihrer so lange getrennt zu sein. Dharmaseelan schilderte, wie sie ihre Mutter nachts im Bad weinen hörte, an dem Tag als sie erfuhr, dass ihr Vater verstorben war und sie nicht zur Beerdigung fahren konnten. „Für mich ist es unvorstellbar, seine Familie so lange nicht zu sehen oder nicht mit ihnen sprechen zu können", erzählte die Hernerin: „Ich bin so froh, dass meine Kinder mit ihren Großeltern, Tanten, Onkeln, Cousinen und Cousins aufwachsen können."
Die Corona-Krise habe ihr nochmals stärker vor Augen geführt, wie wichtig die Familie ist. „Vieles, was früher selbstverständlich war, ist jetzt mit Auflagen verbunden. So lernen wir wieder mehr wertzuschätzen, was wir haben. Wir haben das große Glück, ein Dach über dem Kopf zu haben, genug zu essen und können mit der Familie über Video-Chat sprechen" , so die Mutter zweier Söhne: „Ich höre oft von Menschen, die sich über Flüchtlinge beschweren, weil sie beispielsweise ein Handy haben. Aber diese Flüchtlinge mussten alles, was sie bisher kannten zurücklassen, in der Hoffnung auf Frieden. Ist es da so verkehrt, dass sie mit ihrer Familie reden wollen? Ist es da so verkehrt, dass sie sich ein Land gesucht haben, dass ihnen Zuflucht gewährt? Sie haben auf Menschlichkeit gehofft und diese auch bekommen, so wie meine Eltern. Vielleicht sollten wir aufhören zu urteilen und froh sein über das, was wir haben."