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Mia (Luna Mwezi) flüchtet sich in eine Traumwelt und schafft sich ihren imaginären Freund Buddy (Delio Malär), der immer für sie da ist.

Meine Mutter, ihre Drogen und ich

Platzspitzbaby

Mit „Sloop John B“ von den Beach Boys im Kopfhörer bahnt sich ein kleines Mädchen den Weg durch eine Menge junger Menschen, die ebenso versifft sind wie die einst der Erholung dienende Parkanlage am Zürcher Hauptbahnhof. Sie sucht ihre Mutter, welche seit drei Tagen verschwunden ist. Ende der 1980er-Jahre wurde sie zum berühmt-berüchtigten Treffpunkt von Dealern und Drogensüchtigen: der Platzspitz. Täglich hielten sich bis zu 3.000 Menschen dort auf, um Drogen zu konsumieren, aber dort auch zu nächtigen. Als der Platzspitz Anfang 1992 geräumt wird, verlagert sich die offene Drogenszene zum nahegelegenen ehemaligen Bahnhof Letten und in die umliegenden Wohnquartiere. Die Schließung des Lettens erfolgte erst am 14. Februar 1995.

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Hier setzt der Spielfilm „Platzspitzbaby – Meine Mutter, ihre Drogen und ich“ ein nach der gleichnamigen, 2013 erschienenen Autobiographie von Michelle Halbheer, die im Alter von zehn Jahren in die Obhut ihrer heroin- und kokainabhängigen Mutter gekommen ist und den Platzspitz aus eigener grauenvoller Erfahrung kennt. Nach der Auflösung der offenen Drogenszene in Zürich ziehen die elfjährige Mia (Luna Mwezi) und ihre inzwischen geschiedene, seit 32 Tagen drogenfreie Mutter Sandrine Roth (Sarah Spale) in ein verschlafenes Städtchen im Zürcher Oberland.

Mia (Luna Mwezi) will ihre drogenabhängige Mutter Sandrine (Sarah Spale) unbedingt retten.

Die anfängliche Idylle endet schnell, als Sandrine von Serge (Thomas U. Hostettler) erkannt wird und plötzlich alte Freunde wie ihr „Ex“ Andre (Jerry Hoffmann) auftauchen: Sandrine wird rückfällig und schickt ihre Tochter, die von Mitschülern prompt als Junkie-Tochter verspottet wird, regelmäßig nach Zürich, um neuen Stoff zu besorgen. Als die Nachbarin Schuler (Esther Gemsch) die Behörden informiert, zeigt Frau Bucher (Lea Whitcher) Verständnis dafür, dass Mia trotz allem bei ihrer Mutter bleiben will: die große Liebe ihrer Tochter sei das beste Heilmittel für Sandrine.

Mia findet Trost und Zuwendung bei der älteren Lola (Anouk Petri) und ihrer Clique, kann den völligen Absturz der Mutter aber nicht verhindern. Immer häufiger flüchtet sich in eine Traumwelt und schmiedet zusammen mit ihrem imaginären Freund Buddy (Delio Malär) phantastische Pläne für ein Inselleben mit ihrer Mutter, fernab der Drogen. Am Ende des schwer erträglichen, da so aussichtslosen Dramas ruft Mia aus einer Telefonzelle ihren Vater an, um sich von ihm abholen zu lassen…

„Platzspitzbaby“, am 8. Januar 2020 in Zürich uraufgeführt und acht Tage später in die Kinos der Deutschschweiz gekommen, wo der Hundertminüter in den ersten Wochen über 200.000 Besucher anzog, erzählt die unter die Haut gehende Tragödie fast ausschließlich aus der Sicht der elfjährigen Protagonistin Mia. Die der Zuschauer in ihrem schweren Dilemma begleitet – nach Hause, in die Schule (Caspar Kaeser als Lehrer Gasser), in die Zürcher Drogenszene und in die Freizeit mit Lolas Clique. Der Film stellt Fragen, an denen selbst Erwachsene zumeist scheitern würden: Wie viel bist du bereit zu opfern, um eine geliebte Person zu retten? Dein ganzes Leben? Deine eigene Existenz? Und wie lange kannst du zusehen, wie deine engste Bezugsperson sich selbst zerstört, bevor du daran zerbrichst?

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„Für Mia“, so Regisseur Pierre Monnard im Presseheft, „scheint die Antwort klar zu sein: Sie spürt eine übermächtige Sehnsucht nach der Liebe ihrer Mutter Sandrine und will diese unter allen Umständen retten. Eine fatale Abhängigkeit, aus der Mia sich erst am Ende befreien kann. Man könnte fast sagen: So wie Sandrine süchtig ist nach Heroin, so ist Mia süchtig nach Sandrine.“ Coronabedingt startet „Platzspitzbaby“ erst am 18. November 2021 in einer hochdeutsch untertitelten Schwyzerdütsch-Fassung, bei uns zu sehen u.a. im Sweetsixteen Dortmund, im Astra Essen sowie im Metropol Düsseldorf.

| Quelle: Pitt Herrmann