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Schauspielhaus Bochum feiert Hundertjähriges: O, Augenblick.

Schauspielhaus Bochum feiert Hundertjähriges

O, Augenblick

Wenn sich die am 19. April 1919 vollzogene Gründung des Schauspielhauses Bochum zum 100. Mal jährt, kann sich das traditionell theaterbegeisterte Revierpublikum allerhand vorstellen – von einer Ausstellung über die Herausgabe eines dickleibigen Buches bis hin zu einem Liederabend. Für die Planung und Ausgestaltung des wie immer gearteten Events ist normalerweise die Dramaturgie zuständig, erst recht, wenn das Leitungsteam um den neuen Intendanten Johan Simons erst kurze Zeit im Amt ist. Tobias Staab, erst zu Saisonbeginn an die Königsallee gewechselter Dramaturg, der freilich schon zu Simons Ruhrtriennale-Zeiten von 2015 bis 2017 in Bochum arbeitete, hat sich die richtige Frage gestellt: „Wie kann man sich mit der Geschichte dieses großen Theaters befassen, wenn man selbst hier noch neu ist, wenn man im Grunde nichts weiß? Keiner der Schauspielerinnen und Schauspieler kennt sich mit dem Bochumer Theater aus, ich selbst bin erst seit ca. einem Jahr in der Stadt und in diesem Theater.“

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Johan Simons.

Staab, der 1974 in Bochum geborene Ideengeber und musikalische Leiter Torsten Kindermann und die 1963 in Bochum geborene Dramaturgin Dorothea Neweling haben versucht, aus der Not eine Tugend zu machen: „Schließlich sind wir zu dem Schluss gekommen, dass wir uns diesen Blick von außen bewahren wollen, bewahren müssen, dass wir uns diese Perspektive zunutze machen sollten. Und so kam der eigentliche Spaß an der Sache in dem Moment, in dem wir uns entschieden haben, uns zu befreien und unseren Abend zu machen; eben nicht die Geschichte passgenau nachzuarbeiten. In erster Linie wollten wir einen Theaterabend machen, der Spaß macht, eher frei von historischer Genauigkeit.“ Den slapstickaffinen Akteuren auf den über drei Stunden stets rotierenden Brettern, sechs Schauspieler, vier Musiker und als Special guest die Requisiteurin Juliane Görtzen, war der Spaß am Premierenabend anzumerken. Den sicherlich auch die beiden Ausstatterinnen Nadja Sofie Eller und Veronika Utta Schneider hatten beim Stöbern im Fundus nach originalen Theater-Räumen und – sage und schreibe – 200 Kostümen.

Schauspielhaus Bochum feiert Hundertjähriges: O, Augenblick.

In nicht allzu ferner Zukunft spielt die Rahmengeschichte: Eine Touristengruppe im Selfie-Wahn trifft auf der Suche nach dem legendären Theater der Stadt auf einen alten Mann (großartig: BE-Urgestein Georgios Tsivanoglou), der hinter die Kulissen des Theaterbetriebes führt und viele anekdotische Geschichten parat hat – aus der Zeit offenbar sehr selbstherrlicher Intendanten von Saladin Schmitt und Hans Schalla über Peter Zadek und Claus Peymann („Schon damals war ich der Reißzahn im Arsch der Mächtigen“) bis hin zu Frank-Patrick Steckel und Leander Haußmann. Wunderbare szenische und satirische Petitessen sind darunter, am spröden Beginn aber auch viel Leerlauf. Und immer wieder sehr gewollt wirkende Bezüge zum Hier und Jetzt in den Videoeinspielungen des Münchners Florian Schaumberger. Nach diesem halben Dutzend mehr oder minder stimmiger, besonders was Steckel (Silence Is Sexy singen die Einstürzenden Neubauten) und Haußmann (Die fröhlichste Null unter den deutschen Regisseuren) betrifft auch boshafter Charakterisierungen zumeist weiblicher Darsteller ist Tobias Staab die Luft ausgegangen. War da noch was? Von Matthias Hartmann, Elmar Goerden, Anselm Weber und Olaf Kröck gibt’s nur Mini-Porträtfotos im Programmheft.

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Könnte man bei einem Liederabend drüber hinwegsehen, vielleicht gar eine Fortsetzung erwarten, wo Versäumtes nachgeholt werden kann. Aber ach, außer Herbert Grönemeyers reichlich verfremdeter Bochum-Hymne und Erinnerungen an Peer Rabens Musik zu Tankred Dorsts revuehafter Adaption des Fallada-Klassikers Kleiner Mann – was nun?, von Zadeks Inszenierung stammt übrigens auch die Showtreppe, gibt es wenig Populäres von den Musikern, die, auch eine Reminiszenz an grellbunte Zadek-Jahre, dem Sgt. Pepper’s Album der Beatles entsprungen zu sein scheinen. Die Zuschauer müssen lernen, mit Kindermann & Co unorthodox-assoziierend um die Ecke zu denken: statt der erwarteten Hitparade aus der reichhaltigen musikalischen Produktion an der Bochumer Kö, erinnert sei nur an die unvergesslichen Abende mit Tana Schanzara, stellen die Songs indirekt Verbindungen her etwa zum Soundtrack des Haußmann-Mitstreiters Jürgen Kruse. Aber die Zugaben mit Juliane Görtzen (Mary Hopkins Those Were The Days) und Element of Crime versöhnen: Der Videoclip zu Irgendwo im Nirgendwo entstand in der Bochumer Theaterkantine anlässlich einer Peter Pan-Inszenierung Leander Haußmanns.

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  • Dienstag, 9. Juli 2019, um 19:30 Uhr
  • Freitag, 12. Juli 2019, um 19:30 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann