
Dorfgeschichts-Horror mit Thriller-Spannung
Neu im Kino: 'Schweigend steht der Wald'
Oberpfalz, 1999. Würmer krabbeln, durch strömenden Regen angelockt, im Morast. Eine junge Frau nimmt eine Bodenprobe. Es ist die 28-jährige Münchner Studentin Anja Grimm (Henriette Confurius), die im Rahmen eines Forstpraktikums dieses Waldstück kartieren soll. Nun forscht die angehende Bodenkundlerin in ihrer auf Zeit gemieteten Dachstube, welche sie in ein kleines Labor verwandelt hat, nach der Ursache für ungewöhnliche Kalkablagerungen auf einer nicht verzeichneten Freifläche, deren Erdschichten in einer seltsamen Reihenfolge angeordnet sind.
Vor zwanzig Jahren hat sie ausgerechnet hier im Urlaub einen traumatischen Verlust erlebt, nachdem ihr Vater von einer Wanderung nicht zurückkehrte und seither spurlos verschwunden ist. Anja kennt den unheimlichen Waldschrat, der sie mit dem Gewehr bedroht, seit Kindertagen: der der psychisch auffällige Xaver Leybach (Christoph Jungmann) lebt mit seiner greisen Mutter Anna (Astrid Polak) in einer entlegenen Hütte, hat sich offenbar bedroht gefühlt.
Grauenvolle Entdeckung
Anja berichtet den Vorfall Xavers Schwester Waltraud Gollas (Johanna Bittenbinder), bei deren Familie sie seinerzeit mit ihren Eltern im Urlaub gewohnt hat. Deren Sohn Rupert (Noah Saavedra), ihr einstiger Spielkamerad, begleitet Anja zwecks Nervenberuhigung zur Hütte Xavers. Wo sie eine grauenvolle Entdeckung machen: Xaver hat offenbar seine Mutter mit einem Spaten erschlagen.

Was Anja auf den Gedanken bringt, der inzwischen in eine forensische Psychiatrie eingewiesene Xaver könnte vor zwei Jahrzenten auch ihren Vater ermordet und in besagter Lichtung verscharrt haben. Was der junge Kommissar Konrad Dallmann (Robert Stadlober) so abwegig nicht findet, weshalb er den alten Fall wieder aufrollen will. „Ein Gestörter ist immer verdächtig“ meint sein Vater und inzwischen pensionierter Amtsvorgänger Gustav Dallmann (August Zirner), der sich an den Wanderunfall aus dem Jahr 1979 des Münchner Lehrers noch gut erinnern kann.
Es steht viel auf dem Spiel
Andererseits fordert er von seinem darob entsetzten Sohn Konrad, dass er dafür sorgen müsse, dass Anja sofort verschwindet: Diese junge Frau könne den Wald lesen wie niemand sonst und dadurch auf Spuren von Ereignissen stoßen, über die längst Gras gewachsen sei. Es stünde, so Gustav Dallmann, für ihn persönlich und die Gemeinde zu viel auf dem Spiel. „Zebras jagen“ im Frühjahr 1945: Wenn etwa ein Massengrab vom Todesmarsch der Flossenbürger KZ-Insassen entdeckt würde, könne man den Gipfelpfad und das Märchenwald-Projekt der Familie Gollas, von denen sich alle einen Tourismus-Boom erhoffen, vergessen.
„Manche Sachen muss man still aushalten, auch wenns schwer fällt. Das ist auch eine Art von Sühne“: Schweren Herzens fügt sich Konrad und führt Anja zu einer kaum zufällig frisch ausgehobenen Grube im Wald, in der eine skelettierte Leiche liegt. Es sind, wie sich herausstellt, die Überreste des vermutlich ermordeten Vermissten. Als sich Xaver Leybach wenig später im Bad der Klinik das Leben nimmt, dürfte für Anja der Fall erledigt sein: Der Tod ihres Vaters ist aufgeklärt und die Zeit ihres Praktikums geht zu Ende. Doch die Hoffnung der immer nervöser werdenden Dorfbewohner trügen: Anja Grimm lassen die Rätsel dieses Waldes nicht los…
Klassischer Showdown mit viel Spannung
„Schweigend steht der Wald“ beginnt, neben den eingangs erwähnten Würmern etwa mit drastischen Bildern von Tierpräparaten, wie eine Horror-Dorfgeschichte und mündet, soviel darf verraten werden, in einen klassischen Showdown voller elektrisierender Spannung. Wolfgang Fleischhauers Adaption seines eigenen gleichnamigen Romans von 2013 zeigt eine bayerische Provinz, gedreht wurde im April und Mai 2021 im oberpfälzischen Weiden, die alles andere als heimelig ist – und deren Bewohner die düstere Vergangenheit ihrer Gemeinde buchstäblich unter der Oberfläche halten wollen.
Der packende, atmosphärisch dichte Thriller, Saralisa Volms Debüt als Langfilm-Regisseurin, ist zugleich eine Geschichte über den Umgang mit Schuld. Uraufgeführt Mitte Februar 2022 in der Sektion Perspektive Deutsches Kino der 72. Berlinale startet der Neunzigminüter am Donnerstag, 27. Oktober 2022 in den Kinos, bei uns zu sehen u.a. im Sweetsixteen Dortmund, in der Galerie Cinema Essen sowie im Bambi Düsseldorf.