
Ruhrfestspiele zeigen die abenteuerlustige Maus
Lindbergh die fliegende Maus
Recklinghausen. Die Ruhrfestspiele zeigen die abenteuerliche Geschichte: Weil „die Menschen-Welt so gefährlich geworden ist“ und immer mehr Artgenossen spurlos verschwunden sind, hält die Maus auch ihr Zuhause nicht mehr für sicher und beschließt, den zahllosen Mausefallen ihrer Heimatstadt Hamburg den Rücken zu kehren und ihren Angehörigen über den Ozean nachzureisen. Sie hat von einer großen Statue gehört, die alle Neuankömmlinge willkommen heißt, noch bevor sie überhaupt das Land betreten haben.
Doch, wie überquert man das Meer, wenn am Hafen hungrige Katzen umherstreunen und man sich nicht ungesehen an Bord eines Schiffes schleichen kann? Eine nächtliche Begegnung bringt die rettende Idee: Wie die Fledermäuse fliegen, das wäre die Lösung. Zwar wollen die ersten Konstruktionen nicht recht funktionieren, doch voller Tatendrang gelingt es der Maus schließlich, einen Flugapparat zu bauen, der sie abheben lässt. Da aber lauern schon neue Gefahren, denn längst haben die Eulen Wind von der fliegenden Maus bekommen. Und auch die neuste Flugmaschine bleibt nur für Momente in der Luft. Aufgeben aber kommt für den selbst ernannten Piloten nicht in Frage…
In Anlehnung an die historische Figur des Fliegers Charles Lindbergh, dem am 20./21. Mai 1921 mit einem Nonstop-Flug von New York nach Paris die erste Alleinüberquerung des Atlantiks gelang, zeichnet der 1982 in Sulingen geborene Illustrator Torben Kuhlmann zusammen mit der Co-Autorin Suzanne Leversque den Weg einer umgekehrten Überwindung des Großen Teichs nach. Immer inbegriffen das notwendige Scheitern, das dieses wahnwitzig anmutende Vorhaben birgt. Bis sich der Traum vom Fliegen schließlich in Aufsehen erregender Weise verwirklicht…
Das von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur e.V. und der Stiftung Buchkunst geehrte sowie 2015 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominierte Bilderbuch Lindbergh – Die abenteuerliche Geschichte einer fliegenden Maus, 2014 im NordSüd-Verlag erschienen und rasch zum Bestseller mutiert, hat Martina van Boxen, die langjährige Leiterin des Jungen Schauspielhauses Bochum, zusammen mit der Dramaturgin Eva Bormann für Kinder ab fünf Jahren adaptiert. Die sich stark an Torben Kuhlmanns Zeichnungen und Skizzen, die bereits 2011 und 2012 entstanden sind, orientierende Ausstattung von Esther van de Pas führt wundervoll poetisch-nostalgisch in die 1920er Jahre zurück.
Vor der Skyline der Hansestadt mit ihrem Wahrzeichen Michel und Werbeplakaten der Hamburg-Atlantic-Linie sitzt das auch als Musiker und Geräuschemacher geforderte Schauspieler-Trio Michael Habelitz, Manuel Loos und Maria Trautmann sozusagen auf Bergen von gepackten Koffern: Zu jeder Zeit, nicht nur in diesen unseren Tagen, hat es gewaltige Migrationsströme gegeben. Deren Richtungen sehr unterschiedlich waren: Während es heute besonders Menschen aus Afrika nach Europa zieht, verließen einst Europäer aus politischen und wirtschaftlichen Gründen ihre Heimat, um sich in der neuen Welt Amerika eine gesicherte Existenz aufzubauen.
Die rund einstündige, kurzweilig-multimediale Aufführung, umjubelte Uraufführungs-Premiere war am 14. Oktober 2017 im Bochumer Theater Unten, lebt zuallererst von der einerseits märchenhaften, andererseits sehr realen Atmosphäre, zu der die von Michael Habelitz geführte knuddelige Maus-Puppe Hendrikje Winters ebenso beigetragen hat wie die ‘mal leise-melancholische, ‘mal forsch-jazzige (Live-) Musik von Manuel Loos und Maria Trautmann – gespielt von allen drei Darstellern auf nicht eben häufigen Bühneninstrumenten wie Zither, Xylophon, E-Bass und Posaune.
Mit knarzender Stimme spricht Michael Habelitz in zumeist unverständlichen Worten, aber diese so fremd erscheinende Sprache ist sehr lautmalerisch und dem (jungen) Publikum bald vertraut. Die erzählenden Passagen aus dem Off hat Martina van Boxen selbst eingesprochen. Slapstick-Einlagen, reichlich Bühnennebel und Projektionen der grandiosen Kuhlmann-Zeichnungen lassen nicht nur Kinderaugen staunen: Enormer Schauwert live mit einfachsten Mitteln statt opulenter Hightech-Einsatz aus der Konserve auf Leinwand und Bildschirm.
Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass der neue Bochumer Schauspielhaus-Intendant Johan Simons den Vertrag mit der Faust-Preisträgerin Martina van Boxen nicht verlängert hat. Sie versucht nun, ihr Team als Junge Bühne Bochum (JuBB) neu zu etablieren und es an bestehende Häuser der Freien Szene wie Prinz Regent Theater Bochum und Theater Kohlenpott Herne anzudocken. Erfolgsversprechend, verfügt die Künstler-Gruppe, die über viele Jahre Schauspiel-, Tanz- und Musiktheaterproduktionen für ein junges Publikum am Schauspielhaus Bochum entwickelt haben, doch über ein reiches Repertoire sowohl inhaltlich als auch ästhetisch stets anspruchsvoller, interdisziplinärer und sinnlicher Stücke direkt und nah dran am Leben, die zum Schmunzeln und Nachdenken anregen und beim jungen Publikum Lust auf mehr Theater wecken.
„Lindbergh“ ist nun von den Ruhrfestspielen nach Recklinghausen eingeladen worden. Die einstündige Inszenierung für alle ab fünf Jahren wird viermal vom 2. bis 5. Juni 2019 jeweils um 10 Uhr auf der Hinterbühne des Theater Marl aufgeführt, Karten unter ruhrfestspiele.de oder Tel 02361 – 92 18 0.