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Seine erste E-Gitarre wartet heute auf die Restaurierung.

„Alte Schätzchen und Super-Sahne-Schnitten“

Gerlach der Oldtimer-Händler

Seit 2017 betreibt Dirk Gerlach in der Pastoratstraße 4 seinen An- und Verkauf von Musikinstrumenten - vorrangig Gitarren, vorrangig Strom-Gitarren - das Secondhand Musicland, und es läuft gut für ihn. „Eigentlich muss heute keine Gitarre neu gebaut werden“, ist sich Dirk Gerlach sicher, da sich die Modelle seit den 50er Jahren baulich kaum verändert hätten. „Ausgenommen das Vibratosystem 'Floyd Rose', das der guten Eddie Van Halen mit Floyd D. Rose Ende '79 ausgetüftelt hat", schränkt Gerlach ein. Gebrauchte Instrumente gäbe es in jeder Preisklasse „und sie alle übertreffen den gesamten China-Schrott, der heute auf dem Markt ist.“ Dass der Laden gut läuft, das schreibt Gerlach auch diesem Umstand zu. Mittlerweile kommen seine Kunden aus ganz Deutschland.

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Die Idee ist nicht neu: Anfang der 90er hatte Gerlach ein erstes Musicland an der Siepenstraße, „und das lief richtig gut“, schwärmt Gerlach. „Das war eine tolle Zeit. Eine Zeit, in der ich gut verdiente und mehrere Angestellte hatte.“ Allerdings kam dann „der Herr Ebay mit seinem Internet und dem ganzen Tralala.“ Gerlach wollte das nicht mitmachen und dachte sich: „Sei schlau, handel antizyklisch.“ So steckte er nicht nur seine Erfahrung, sondern auch sein ganzes Geld in ein neues und größeres Ladenlokal „gedacht für die Leute, die keinen Bock auf dieses Internet hatten.“ Allerdings ging seine Rechnung nicht so ganz auf: Als der Online-Marktplatz im September 1995 an den Start ging, trieb das viele Einzelhändler – auch Gerlach – in den Ruin. Die Leute kauften und verkauften jetzt im Internet.

Gitarren stehen nach der Reparatur zur Abholung bereit.

„Jeder Kunde war plötzlich auch Händler“

„Innerhalb kurzer Zeit waren für mich 14 Jahre Arbeit und mein gesamtes Geld perdu, da jeder Kunde plötzlich auch Händler war“, blickt Gerlach zurück. So war er erstmal weg vom Fenster. Was folgte, waren harte Jahre, in denen er nicht so recht weiter wusste und gefährlich nah am Abgrund trudelte. Irgendwann sagte er sich: „So Gerlach, jetzt reiß dich zusammen: Was kannst du?“ Und siehe da, die Antwort war ganz einfach: „Gitarren kannse und quatschen kannse sowieso.“ Also erweckte er sein Musicland wieder zum Leben. Diesmal in Wanne-Eickel – an der Pastoratstraße.

„Alles Schätzken, alle handverlesen“

Hier wird nun fündig, wer Gitarren, Bässe oder Verstärker sucht, aber auch der, der sein altes Schätzken in gute Hände legen möchte. Gerlach: „Ich bin im Prinzip ein Oldtimer-Händler, ich verkaufe keine Neuware, sondern nur ältere und seltene Gitarren – alles Schätzken, alle handverlesen.“ Um die zu finden, ist er in Gesamt-Deutschland unterwegs. Instrumente bekommt er aber auch von Kunden angeboten, die sie in den 90ern bei ihm kauften: „Die erinnern sich, dass ich sie noch nie beschissen habe.“ Interessant kann für ihn auch der „Oppa“ aus Wanne-Eickel sein, der anruft, weil er noch ne alte Gitarre hat, die er verkaufen will. „...wenn sein Enkel sie nicht schon im Internet vertickt hat“, schränkt Gerlach lachend ein.

In seiner Werkstatt repariert der Musiker mit Liebe und Expertenwissen.

Gitarren-Scout

Dirk Gerlach erfüllt aber auch Wünsche: Wird die Traumgitarre aus Kindertagen oder ein limitiertes Instrument gesucht oder wünscht sich jemand wohlmöglich eine Gitarre aus seinem „Baujahr“, dann geht Gerlach los und sucht das entsprechende Modell. Fündig wird er oft bei seinen alten Händler-Kollegen, da weiß er genau, was die an den Wänden hängen haben. Aber mittlerweile ist auch Gerlach im Internet „und dem ganzen Tralala“ unterwegs.

Corona und der Lockdown

Während des Komplett-Lockdowns im Frühjahr 2020 lief sein Web-Shop wie geschmiert: „Das ging richtig gut ab“, erzählt Gerlach. „Die Leute hatten alle Zeit und wollten spielen.“ Für ihn bedeutete diese kontaktarme Zeit: kein Direkt-Verkauf, keine Reparaturen und auch das individuelle Finetuning der Kunden-Instrumente fiel hinten rüber.

Dafür brachte der Lockdown aber: viel PC-Arbeit, Instrumente verpacken und verschicken. Jetzt, im zweiten Lockdown ginge es deutlich ruhiger zu: „Das Geld sitzt nicht mehr so locker, da keiner weiß, wie lange es noch dauert und ob das Geld reicht.“ Diese Zeit nutzte Dirk Gerlach, um sein Musicland aufzuhübschen und endlich seine seperate Werkstatt einzurichten. Das Ergebnis kann sich sehen lassen und ist bei einem Virtuellen Rundgang auf der Homepage zu besichtigen.

In Gerlachs Händen: der Nachbau einer legendären Künstlergitarre.

Zu seinen Kunden zählen nicht nur die von Gerlach gern zitierten „Kumpel-Kunden“ aus dem weitläufigen Bekanntenkreis, sondern auch Musiker wie Steve Stevens, Dennis Horms oder die Spider Murphy Gang. Und erst vor wenigen Wochen hat ihn der Gitarrist von Boss Hoss kontaktiert, der ihm aber zuerst auf den Zahn fühlte, „bervor er sich zu erkennen gab. Der hat dann gleich zwei Gitarren bei mir gekauft“, freut sich Dirk Gerlach. Seinem Kumpel-Kunden Klaus Spangenberg hat Gerlach es auch zu verdanken, dass er unlängst in der Video-Produktion 'Nicht systemrelevant' mitspielen konnte.

Wer einfach nur mal so, quasi zum Fachsimpeln vorbeischauen möchte, der ist bei dem gelernten Musikalienhändler, der als Gitarrentechniker Mitte der 90er Jahre mit dem Bochumer Axel Rudy Pell auf Welttournee ging oder mit seiner Band Schließmuskel unter anderem als Vorgruppe der Toten Hosen Tournee Rote Rosen spielte, auch gern gesehen. Eigentlich! Denn in Zeiten wie diesen...

Unplugged - Dirk Gerlach bringt die Gitarrensaiten zum Klingen.
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Dirk Gerlach

Geboren im „summer of 69“, lernte er bereits mit drei Jahren vom Vater das Gitarre-Spielen, und ist dieser Liebe bis heute treu geblieben. Aber Gerlach ist nicht nur treu, er kennt sich auch aus: Händler-Kollegen rufen ihn durchaus schon mal an und fragen: „Wo hast du denn nur immer diese Sahneschnittchen her?“ Das wird natürlich nicht verraten, aber seine Erfahrung und die vielen Kontakt sind dabei sicherlich von Nutzen. Und Gerlach bleibt bei all seinen Geschäften auch seinem Motto treu: „Nicht alles, was alt ist, ist auch wertvoll - oft aber erhaltenswert.“

Einst an der Siepenstraße, jetzt in Wanne-Eickel.
| Autor: Carola Quickels