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Die Motorbienen Thyra Uhde und Alexander Brugnara, im Hintergrund schwingen Jessica Kessler, Simone Schuster und Tobias Schwieger die Hüften.

Mit Udo durch die deutsche Rockmusik

Elektrolurch im Sonderzug

„Nach zwei Jahren Parkplatz endlich wieder Parkbad“ zeigte sich Tankred Schleinschock erleichtert: die jüngste seiner legendären Musikrevuen feierte wieder wie vor Corona in der idyllischen Location im Castroper Süden Premiere - mit stehenden Ovationen eines ausgelassen tanzenden Publikums im Becken des aufgelassenen Schwimmbades. „Elektrolurch im Sonderzug“ ist der gut zweieinhalbstündige Streifzug durch die deutsche Rock- und Pop-Geschichte seit den 1950er Jahren etwas kryptisch betitelt.

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Der zweite Teil spielt natürlich auf Udo Lindenbergs deutsch-deutschen Hit „Sonderzug nach Pankow“ an. Der gebürtige Westfale, der heute glatt als Hamburger Fischkopp durchgeht, hat vom gebürtigen Saarländer Erich Honecker seinerzeit ein klassisches Instrument der Arbeiterbewegung, eine Schalmei, geschenkt bekommen. Beginnend mit „Alles klar auf der Andrea Doria“ ziehen sich die Lieder Udo Lindenbergs, von Hannes Staffler kongenial verkörpert, wie ein Roter Faden durch die Playlist.

Grüße aus dem hohen Norden: Links: Alexander Brugnara und, als Udo Lindenberg, Hannes Staffler.

Was kein Zufall ist. Der musikalische Leiter des Westfälischen Landestheaters: „Er ist der Hero meiner Jugend. Als ich in den 70ern das erste Mal ‚'Hoch im Norden‘ gehört habe, dachte ich mir was macht der da? Mir war bis dahin nicht klar, dass man so auf Deutsch singen kann. Diese Spannbreite von Härte und Poesie ist für mich bis heute einzigartig. Deswegen ist die Show auch eine kleine Hommage und ein Dank an ihn und seine großartige Musik, die die deutsche Rockmusik ein ganzes Stück angeschoben und andere ermutigt hat.“

Der erste Teil des Titels bezieht sich auf den Song „Elektrolurch“ der Gruppe Guru Guru, die vor allem in den 1970er Jahren bekannt war. So zeigt „Elektrolurch im Sonderzug“ die enorme Spannbreite des einmal mehr in jeder Hinsicht mitreißenden Abends mit bekannten Hits und echten Neuentdeckungen. Zu Letzteren gehört die älteste existierende deutsche Rockband, „Bröselmaschine“ aus Duisburg. Ihr Flötist Klaus Dapper gehört zu Schleinschocks „Lippe-Saiten-Orchester“, das heuer auf einer eigenen Bühne am linken Beckenrand das Publikum nach einer gewissen Aufwärmphase so richtig in Schwung bringt.

Schwungvoll durch die Fünfziger: Tobias Schwieger und Simone Schuster, im Hintergrund Thyra Uhde und Mike Kühne.

Gleich nach Hannes Staffler weiß sich Jessica Kessler nicht nur musikalisch, sondern mit allen Fasern ihres Körpers in Szene zu setzen – als Inga Rumpf, Frontfrau der Gruppe „Atlantis“. Später wird sie in weiteren Rollen Begeisterungsstürme hervorrufen, etwa als Nina Hagen und als Tamara Danz der DDR-Gruppe „Silly“. Aber es ist ungerecht, Einzelne hervorzuheben bei diesem kollektiven Erlebnis von und mit Pia Böhme, Simone Schuster, Thyra Uhde, Patrick Sühl, Mike Kühne und Tobias Schwieger. Und mit Tankred Schleinschock, der durch den Corona-Ausfall Mario Thomanek auch darstellerisch gefragt ist u.a. als „ältester Teenager aller Zeiten“. Wie dieses Bremer Nordlicht Herbert Grönemeyers „Currywurst“-Hymne auf die Bühne bringt, ist ein Ereignis – wie Wolfgang Petrys „Wir sind das Ruhrgebiet“, bei der es am Ende wirklich niemanden mehr auf seinem Stuhl hält.

Beatlemania und 1960er Hippiekult, 1970er Krautrock, ein Blick rüber zum holländischen Nachbarn, Neue Deutsche Welle und Ost-Rock jenseits von Mauer und Stacheldraht: „Mich interessiert vor allem, wie die amerikanische und englische Musik die deutsche Musikkultur beeinflussen“, so Tankred Schleinschock. „Das Problem war allerdings, dass die Musik nirgendwo zu hören war, was man sich heute nicht mehr vorstellen kann. Entweder mussten die Platten aufwendig bestellt werden oder man verfügte über gute Kontakte, die die Musik beschaffen konnten. Erst als die Industrie bemerkte, dass es ein Interesse an Rock’n’Roll in Deutschland gibt, sind dann deutsche Versionen wie zum Beispiel mit Peter Kraus entstanden. Für mich ist interessant, zu schauen, wie dieser kulturelle Austausch funktioniert. Wie werden Dinge aus anderen Ländern verarbeitet? Dieser Schmelztiegel interessiert mich.“

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Nach dieser großartigen lauen Frühsommernacht im Castroper Parkbad Süd, zu der ausdrücklich auch die Ausstatterinnen Elke König (Bühne) und Maud Herrlein (Kostüme) sowie die Choreographin Barbara Manegold beigetragen haben, hoffen wir auf weitere Open-Air-Termine nach der Sommerpause in unserer Region. Die nächste bereits feststehende Aufführung findet allerdings indoor statt am 3. September 2022 um 19:30 Uhr im Theater Marl.

Vergangene Termine (1) anzeigen...
  • Samstag, 3. September 2022, um 19:30 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann