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Die rebellische Punkerin Heike Vollmer (Jella Haase) in der linken Kommune mit Genossinnen (Martina Schöne-Radunski, l., und Deborah De Lorenzo).

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'Bis wir tot sind oder frei'

„Züri brännt!“: 1980 ist in der Metropole der Deutschschweiz die Hölle los. Gewalt erzeugt Gegengewalt – bei jungen Linksautonomen und vermummten Polizisten. Die noch minderjährige deutsche Punkerin Heike Vollmer (Jella Haase), mit dreizehn Jahren aus ihrem konservativen Bankiers-Elternhaus ausgebrochen, ist unter den Verhafteten und wird von Staatsanwalt Peter Rothenburg (Anatole Taubman) in eine Erziehungsanstalt eingewiesen. Ihre Anwältin Barbara Hug (Marie Leuenberger) war selbst unter den Demonstranten und setzt sich – erfolgreich – für Heikes Freilassung ein.

Ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit: Seit zwei Wochen war die Nierenkranke nicht mehr in der Blutwäsche. Lehnt es aber ab, dass ihr Ex-Freund Felix Lammel (Philippe Graber) ihre Fälle übernimmt. Bei Gericht lernt sie die deutsche Anwältin Meret Spengler (Bibiana Beglau) kennen, eine Freundin von Heike, die ihre Villa einer linksalternativen Kommune mit Verbindungen zu den RAF-Terroristen.

v.l. Walter Stürm (Joel Basman) mit seiner Anwältin Barbara Hug (Marie Leuenberger) und deren deutscher Kollegin Meret Spengler (Bibiana Beglau).

Plötzlich sitzt der legendäre Ausbrecherkönig Walter Stürm (Joel Basman) neben Barbara Hug auf einer Parkbank: Er war mitten im Demo-Trubel einmal mehr seinen Bewachern entkommen samt seiner umfangreichen Gefängnisakte, die er der engagierten Anwältin übergibt, welche sich zusammen mit Roger Beliér (Pascal Ulli), dem politischen Kopf der Kanzlei, schon lange für eine Verbesserung der Zustände in den Gefängnissen einsetzt. Im Gegenzug soll sie ihm zur Flucht aus der Schweiz verhelfen.

Heike wird „ausgeschafft“ und landet zusammen mit Stürm in der schwäbischen Kommune Meret Spenglers. Letzterer verspricht, 50 Sturmgewehre für die RAF zu beschaffen. Wird bei einem Banküberfall in der Schweiz aber erneut verhaftet und in Isolationshaft gesteckt. Gegen die sich Stürm mit einem Hungerstreik wehrt: Barbara Hug sieht eine Chance, den völlig unpolitischen Ausbrecherkönig vor ihren politischen Karren zu spannen…

Es ist eine ziemlich krude und dazu noch dick aufgetragene, aber von viel auch musikalischem Zeitkolorit unterlegte Story, die Dave Tucker, Schweizer Autor mit amerikanischen Wurzeln, nach der 2004 erschienenen Biographie „Stürm – Das Gesicht des Ausbrecherkönigs“ von Reto Kohler erzählt. Aber bis auf die erfundene Figur der SS-Obersturmbannführer-Tochter Spengler in großen Zügen eine wahre einschließlich der schon arg kitschigen Dreiecksgeschichte zwischen „Babsi“, Heike und Walter, der im Alter von 16 Jahren von seinem schwerreichen Vater, Chef der Stürm Metall AG, vor die Tür gesetzt wurde: „Ich bin ein Täter, Frau Hug, Sie machen mich nicht zum Opfer.“ Weshalb sich der von der Baader-Meinhof-Bande herausgeholte Stürm freiwillig der spanischen Polizei stellt: Er will die Freiheit nicht geschenkt bekommen, und von Barbara Hug schon gar nicht. Michel Foucault zitierend notiert er in der Haft: „Die vielleicht einzig wahre Freiheit im Leben eines Menschen besteht darin, dass er sich dieses jederzeit nehmen kann.“

Bis wir tot sind oder frei“, am 24. September 2020 beim Filmfest Hamburg (VoD) uraufgeführt, erlebte seine Leinwand-Premiere am 18. November 2020 beim Black Nights Festival in Talinn, wo Marie Leuenberger mit dem Preis für die beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde. Wie auch im Jahr darauf beim portugiesischen Avanca Film Festival, wo zudem Felix von Muralt den Preis für die beste Kamera erhielt und Regisseur Oliver Rihs den Preis für den besten Film entgegennehmen konnte.

Cronabedingt ist der Kinostart immer wieder verschoben worden – auf den 31. März 2022. Bei uns zu sehen im Casablanca Bochum, im Sweetsixteen Dortmund, in der Schauburg Gelsenkirchen und in der Essener Galerie Cinema.

Mittwoch, 30. März 2022 | Autor: Pitt Herrmann