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Die Cool Cats haben ihre ganz eigene Meinung zu dem Impf-Trauerspiel.

Kolumne von Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey

Beendet die Diktatur der Bürokratie

Beendet die Diktatur der Bürokratie - lasst endlich die Profis ran! - Eigentlich hatte ich nicht vor, mich noch einmal zu dem Impftheater (oder sollte ich besser sagen Trauerspiel) in Deutschland zu äußern. Lange war ich auch ziemlich entspannt bezüglich der Entwicklung der Corona-Impfungen, weil ich glaubte, mit den enormen organisatorischen Ressourcen der niedergelassenen Ärzteschaft wäre das Problem schnell gelöst. Schön, Herr Spahn hat nicht widersprochen, als vor Weihnachten von den Medien der Eindruck vermittelt wurde, wenn die Impfstoffe erstmal die Zulassung erhalten hätten, würde spätestens am 27.12.2020 die Impflawine über Europa hereinbrechen. Dabei war seit Monaten bekannt, dass die Produktion der Impfstoffe vor Ende März 2021 nicht richtig auf Touren kommen würde.

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Selbst wenn die EU den Briten und Israelis wesentliche Teile ihrer Kontingente weggeschnappt hätte, in der gesamten EU mit ihren 450 Millionen Menschen wäre das ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen. Die teilweise hitzige Diskussion in den Medien um die verfehlte nationale und europäische Impfstoff-Einkaufspolitik war eigentlich ein „Streit um des Kaisers Bart“. Der Mangel an Impfstoff hatte ja auch etwas Positives: So fiel nicht auf, dass die allerorten eingerichteten Impfzentren nicht einmal ansatzweise in der Lage sind, die Durchimpfung der Bevölkerung noch im Jahr 2021 zu schaffen.

Wegen der zunächst noch langsam steigenden Impfstoffproduktion hat die STIKO (Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut) die inzwischen sattsam bekannte Prioritätenliste erstellt. Bei Impfstoffknappheit hat die durchaus ihre Berechtigung, schließlich muss man aus den verfügbaren Mengen das Maximum an Effekt herausholen. Das ist nun einmal die Reduzierung der Zahl der Toten, die Entlastung der Intensivstationen und der Schutz der unmittelbar am Patienten arbeitenden und damit besonders gefährdeten Tätigkeitsgruppen. So wie es scheint, hat das ja auch geklappt. Dass unter dem Eindruck der Knappheit ein bisschen Gedränge zwischen medizinischem Personal, Pflegekräften, Polizei, Lehrern und Erzieherinnen entstand, geschenkt.

Allerdings war die Knappheit noch nicht ausgeprägt genug, als dass eines der Grundprobleme des deutschen Gesundheitswesens verborgen geblieben wäre: Das Land versinkt im Luxusangebot des Überflusses, es darf immer nur das Beste sein, davon will man alles und das auch umsonst und sofort. Nur damit ist das teilweise Verschmähen der AstraZeneca-Vakzine zu erklären. Wenn mit der Impfung dann auch noch keine Erleichterung bei den Lockdown-Restriktionen verbunden ist, wartet man halt, bis der vermeintlich bessere Impfstoff von BionTech verfügbar ist.

411 Impfzentren in Deutschland

Bislang wird nur in den Impfzentren geimpft und zwar erst dann, wenn mit beträchtlichem Aufwand ein Termin vereinbart wurde. Deutschlandweit gibt es 411 Impfzentren. In den Impfzentren sind „Impfstraßen“ eingerichtet. Da werden zunächst die Personalien aufgenommen, die Berechtigung zur Impfung überprüft, der Aufklärungsbogen ausgehändigt und Kontraindikationen abgefragt, bevor als nächste Station die Vorstellung beim Impfarzt erfolgt. Das sind die Ärzte, die eventuelle Fragen zu Impfung beantworten und abschließend kontrollieren, ob die Impflinge geimpft werden können, oder ob ggf. medizinische Ausschlusskriterien vorliegen. Nach dem der Impfarzt fünf Unterschriften geleistet hat, kann die Impfung durch geschultes Personal mit Maske und Visier erfolgen.

Ich habe als rüstiger Rentner nicht gezögert, mich als „Impfarzt“ zu melden. Pro Schicht (sechs Stunden) habe ich bislang etwa 50 Patienten „durchgeschleust“. Eine Hausarztpraxis braucht dafür höchstens ein Drittel der Zeit und muss sich dafür noch nicht einmal besonders anstrengen. Bislang schaffen die Impfzentren bei Vollauslastung maximal 2 Millionen Impfungen in sieben Tagen (sie arbeiten auch am Wochenende). Bis Weihnachten könnten sie vielleicht alle durchgeimpft haben.

Jetzt aber kommt „Musik“ in die Szene: Eine Welle von Impfstoff rollt auf uns zu. Ungeduldig scharren die niedergelassenen Ärzte mit den Hufen, besonders die Hausärzte. Die können das, was uns die Politik derzeit in Sachen Organisation der Impfung an „lahmarschiger“ Arroganz präsentiert, kaum noch ertragen.

Endlich sollen die Hausärzte mitimpfen dürfen. Aber nein, nicht sofort, erst ab Ende März, oder doch lieber im April oder erst im Mai oder Juni? Erst muss ja abgeklärt werden, ob die das überhaupt können.

Und Hausärzte könnten nicht gut strukturieren, meint der Chef der Allgemeinmedizin der Uni Erlangen, Thomas Kühlein. In ihrer bisherigen ,Der-Nächste-bitte-Mentalität' hätten Hausärzte wenig Übung mit strukturierten Herangehensweisen. Ich fasse es nicht: Besonders Hausärzte müssen täglich ein oft von der Gesundheitspolitik verursachtes Bescheinigungs-Chaos organisieren, müssen massenhaft Gespräche, Untersuchungen, Labortermine, Notfälle und Therapien im Praxisablauf unterbringen! Und die sollen nicht strukturieren können?

Notschlachtung einer heiligen Kuh

Die größte Gefahr bei der Einbeziehung der Hausärzte aber ist wohl die Notschlachtung einer heiligen Kuh: Es könnte nämlich die Priorisierung der Ständigen Impfkommission (Stiko) ausgehebelt und „wild durcheinander“ geimpft werden. Oh weh, das wäre ja ganz fürchterlich. Offenbar hat sogar die Ministerpräsidentenkonferenz mit der Kanzlerin am letzten Mittwoch einen beträchtlichen Teil der neunstündigen Beratung über dieser Frage gebrütet.

Schauen wir uns an, wie die Situation bei den niedergelassenen Ärzten ist: Es können ja nicht nur Hausärzte impfen. Lässt man mal Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, Psychiater und Augenärzte außen vor, hätten wir noch Anästhesisten, Chirurgen, Hautärzte, Gynäkologen, Internisten, Kinderärzte, Neurologen, Orthopäden, Urologen. Wenn man all denen ein anständiges Angebot macht, ließen sich aus dem Pool der niedergelassenen Ärzte locker 100 000 Impfpraxen generieren. Würde jede Praxis pro Tag nur 20 Patienten impfen, schafften sie die maximale Wochenkapazität der Impfzentren an einem Tag. Dafür müssten sie ihre Belastungsgrenzen noch nicht einmal annähernd ausreizen. Die vom Finanzminister Scholz bei Markus Lanz geäußerte Erwartung von 10 Millionen Impfungen pro Woche ist eher bescheiden als eine Utopie.

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Deshalb verehrte Politiker und insbesondere Herr Spahn, hören Sie auf, herum zu eiern. Wenn 10 Millionen Menschen in der Woche geimpft werden, sind die Ü70er in wenigen Tagen abgearbeitet. Mit Verlaub, dann müssen sie sich auch nicht „ins Hemd machen“, wenn der eine oder andere, der nicht passgenau der Prioritätenliste entspricht, mal vorgezogen wird. Ihre Prioritätenliste erledigt sich dann von selbst, die können Sie in die Tonne kloppen. Wenn in dieser Zahl geimpft wird, und die niedergelassenen Ärzte können das, haben wir das Impfproblem spätestens Ende Mai gelöst. Danach könnten Sie dann unseren europäischen Nachbarn das Angebot machen, ihre Bürger auch noch zu impfen. Das würde gewaltig Eindruck machen.

| Autor: Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey