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Marchesa Cibo (Elsie de Brauw) ist die Geliebte von Alessandro de Medici (Ingo Tomi) – ohne ihn wirklich zu lieben.

„Lozenzaccio“ in Bochum

Was folgt auf den Tyrannenmord?

Ein Stück aus alter Zeit, und doch so aktuell. Im Florenz des Jahres 1537 sitzt ein Bastard auf dem Herzogthron: Alessandro de Medici (in Bochum ein machtbewusster Ingo Tomi als Gast), wahrscheinlich ein Sohn von Papst Clemens VII. Letzterer hat ihn zusammen mit Kaiser Karl V. zur Regenten-Marionette gemacht, gestützt allein durch deutsche Söldner. Selbst ohne eigenen Ehrgeiz, diesen Status aus eigener Kraft zu überwinden, lebt er in ständiger Angst vor Anschlägen, weshalb er stets ein Kettenhemd unter seiner Kleidung trägt.

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Alessandro hört auf den konservativen Papisten Kardinal Valori, umgibt sich mit dekadenten Höflingen wie Giuliano Salviati und Marchese Cibo (alle: Lukas von der Lühe) und hält sich Cibos Gattin Ricciarda (Elsie de Brauw) als Geliebte. Während sich der höfische Adel opulenten Ausschweifungen hingibt, setzt das arg gebeutelte Bürgertum auf Lorenzo de Medici (einmal mehr herausragend: Marius Huth), genannt Lorenzaccio: Er ist zwar nur ein entfernter Cousin aus einer Nebenlinie der Medicis, aber kein Bastard wie Alessandro, weshalb ihn die alteingesessenen florentinischen Patrizierfamilien als rechtmäßigen Herzog ansehen.

Fürst Alessandro (Ingo Tomi) ringt mit Lorenzaccio (Marius Huth), den viele als rechtmäßigen Herzog von Florenz ansehen, im Hintergrund v.l. Jing Xiang, Ann Göbel, Mourad Baaiz und Jele Brückner.

Der Banker und Politiker Filippo Strozzi (Stefan Hunstein) ist einer ihrer führenden Köpfe, der allerdings in eine Mordgeschichte verwickelt ist: seine Tochter Luisa (Jing Xiang) wurde, obwohl frisch verheiratet, von Salviati belästigt. Als dieser mit seiner angeblichen Eroberung beim Hof hausieren geht, wird er von drei Maskierten auf offener Straße ermordet. Unter Verdacht gerieten Piero Strozzi (Mourad Baaiz) und seine beiden Brüder.

Nun ruht die Hoffnung auf Lorenzaccio, Sohn Maria Soderinis (Jele Brückner), der sich zwar rebellisch gibt, aber alles andere als eine Kämpfernatur darstellt und neben den schönen Künsten vor allem an Caterina (Ann Göbel) interessiert ist. Ein in Bochum androgyner Zauderer, ein recht skrupelloser Diener zweier Herren, welcher schließlich doch noch zum Attentäter wird. Trotz der Mahnungen des zunehmend müde und ratlos wirkenden Patriarchen Filippo Strozzi, mit dem er die Sinnhaftigkeit einer solchen Bluttat zuvor diskutierte. Der hat die immer noch gültige Frage nach dem Danach gestellt: Was folgt auf den Tyrannenmord?

Aus Enttäuschung über die Französische Revolution, die soziale Gerechtigkeit und bürgerliche Freiheiten versprochen hatte, schrieb Alfred de Musset 1834 das hierzulande äußerst selten gespielte Stück „Lorenzaccio“, inspiriert durch das ihm geschenkte unveröffentlichte Fragment „Une Conspiration an 1537“ der Schriftstellerin George Sand von 1831. Die österreichische Regisseurin Nora Schlocker hat zusammen mit der Dramaturgin Susanne Winnacker eine eigene Fassung erstellt, die am Premierenabend nach gut zwei pausenlosen Stunden vom Publikum heftig umjubelt worden ist.

Das verwirrend personenreiche fünfaktige Historiendrama ist nicht aktualisiert, aber stark gekürzt, das Figurenarsenal neu gewichtet und sprachlich (Übersetzung: Arian Schill) an unsere Gegenwart angepasst worden. Bei ihrem eindrucksvollem Bochum-Debüt geht es der Ernst-Busch-Absolventin nicht nur um die Konsequenzen eines Tyrannenmordes, sondern gleichermaßen um die Rolle der Kirche (Risto Kübar als manieristisch-schwuler Kardinal Cibo), das Verhältnis der Mächtigen zu den Frauen (Luisa Strozzis Rolle wurde ausgebaut) und nicht zuletzt um die Möglichkeiten der Kunst. Mercy Dorcas Otieno äußert in der Rolle der Malerin Tebaldea (bei Musset noch der idealistische Künstler Tebaldeo) Grundsätzliches zur Rolle der Künste in der Gesellschaft.

Raimund Orfeo Voigt hat auf die Hinterbühne des Großen Hauses eine originalgetreue Kopie des 50er-Jahre-Parketts gestellt. Das um ein A-capella-Quartett (Christian Walter, Leonhard Reso, Merle Bader und Theresa Klose) verstärkte elfköpfige, in historisierenden Kostümen Vanessa Rusts steckende Schauspieler-Ensemble agiert in einem zwischen beiden Zuschauerblöcken situierten, drehbaren Glaskasten – und immer wieder auch unmittelbar im Publikum. Wenn das Saallicht erlischt, gibt es einen grandiosen doppelten Spiegeleffekt: muss man erlebt haben, am beste mittendrin im Geschehen auf der Hinterbühne.

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Die nächsten Vorstellungen: Am Donnerstag, 26. Mai 2022, um 19 Uhr sowie am Freitag, 27. Mai 2022, um 19:30 Uhr. Karten unter schauspielhausbochum.de oder Tel 0234 – 33 33 55 55.

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  • Donnerstag, 26. Mai 2022, um 19 Uhr
  • Freitag, 27. Mai 2022, um 19:30 Uhr
| Quelle: Pitt Herrmann