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Monitoring: Matthias Hecht hat den Überblick.

Saisonfinale mit dramatischen Stillezuständen

Silent City im Prinz Regent Theater

„Liegt eine Stadt im Tale / Ein blasser Tag vergeht / Es wird nicht lange dauern mehr / Bis weder Mond noch Sterne / Nur Nacht am Himmel steht. / Von allen Bergen drücken / Nebel auf die Stadt / Es dringt kein Dach, nicht Hof noch Haus / Kein Laut aus ihrem Rauch heraus / Kaum Türme noch und Brücken. / Doch als dem Wandrer graute / Da ging ein Lichtlein auf im Grund / Und durch den Rauch und Nebel / Begann ein leiser Lobgesang / Aus Kindermund“: Getragener Auftakt mit dem Lied Die stille Stadt von Alma Mahler-Werfel, gesungen von Sarah Connolly.

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Matthias Hecht ist der erste von einer Handvoll selbstironisch Freiland-Sherpas genannter Führer, die das Publikum durch die wohl ungewöhnlichste theatralische Aktion des Reviers in der jetzt zu Ende gehenden Spielzeit 2018/19 geleiten: ein finales Geschenk von Anne Rockenfeller und Hans Dreher, der Doppel-Spitze des Prinz Regent Theaters Bochum, an das Publikum nach einem so turbulenten wie spannenden Übergangsjahr dank toller, jüngst in Hamburg ausgezeichneter Eigenproduktionen und zahlreicher hochkarätiger Gastspiele. Das seine Fortsetzung in der ersten regulären Spielzeit im Bochumer Süden übrigens am 28. September 2019 mit Johann Wolfgang von Goethes „Faust“ findet, wir kommen zum Vorverkaufs-Start Anfang September darauf zurück.

Rolf Dennemann, Hans Dreher und Joao Garcia Miguel, die künstlerischen Leiter von „Silent City“.

Matthias Hecht öffnet eine Tür im Foyer: In der videounterstützten Performance Not even in your mother's womb sehnt sich der nackte, von Kabelsalat eingeschnürte Roger Madureira in den Schoß der Mutter zurück – auf der Herrentoilette mit einem Pissoir in Vaginaform. Nach diesem optischen und ja, auch olfaktorischen Hammer ist vorübergehende Erholung der Sinne angesagt: durch ein hölzernes Schrebergartenidyll auf dem Vorplatz zwängen sich die maximal sechs Teilnehmer eines Durchlaufs in einen kleinen, weiß gekachelten Raum, in dem (Kunst-) Schnee leise von der Decke rieselt: If you listen carefully the silence is beautiful. Weiter geht’s durch eine recht schauerliche Naturküche ganz offenbar ohne Konservierungsstoffe in schmalen Gängen, in denen auch haptische Erlebnisse möglich sind.

„Gibt's auf“: Elisabeth Pleß in der Künstlergarderobe.

In der engen Künstlergarderobe des Prinz Regent Theaters erzählt Elisabeth Pleß nicht einfach nur eine kafkaesk anmutende Geschichte, sie konfrontiert das gebannte Publikum förmlich mit dem Text – und der eigenen, in einem weißen Hochzeitskleid steckenden Person. Die man bisweilen nur über den Spiegel, sozusagen über Bande, wahrnehmen kann, im nächsten Augenblick aber stechenden Blickes hautnah vor sich spürt. An dieser unheimlichen, Gibts's auf! benannten Szene hätte ein Thomas Bernhard seine Freude gehabt: von Notlicht keine Spur. Später folgen unter anderem eine Dead machine in der Werkstatt, die akustisch und mit Flackerlicht auch optisch unterstützte Videoinstallation Seegang in der Rumpelkammer und, mehr wird hier aber nicht verraten, ein sensorischer Bettbesuch im Fundus.

Um „dramatische Stillezustände“ geht es in „Silent City“, einer vom Dortmunder Rolf Dennemann (artszenio) initiierten hochspannenden Expedition durch inszenierte Räume, „die zeigt“, so Hans Dreher, der künstlerische Leiter vom gastgebenden Prinz Regent Theater Bochum, „wie fern uns die Stille geworden ist und zugleich versucht, uns diese eine Zeitlang zurückzugeben.“ Bei der Presse-Preview am Premierentag, Mittwoch (10. Juli 2019), dauerte das Spektakel über 22 Stationen auf der Bühne und in allen Nebenräumen des Hauses noch neunzig Minuten. Da aber an den weiteren vier Spieltagen jeweils zwischen 14 und 22 Uhr stündlich sechs Besucher Zutritt zum Labyrinth der Stillen Stadt erhalten sollen, muss weiter an den Abläufen gefeilt werden.

Das rund zwanzigköpfige Künstlerensemble besteht zum großen Teil aus Portugiesen, mit dabei sind aber auch Darsteller, Tänzer, Bildende Künstler und Performer aus Spanien, Brasilien, Venezuela und dem Ruhrgebiet, darunter mit Patrick Praschma auch ein Herner. Blut und Hoden: Für die drastischsten Szenen sorgen nicht von ungefähr Protagonisten aus den traditionell katholischen Ländern der Iberischen Halbinsel und Lateinamerikas. „Mein Blut ist kein Abfall“ behauptet etwa Rute Alegria in einer vielfältigste Assoziationsmöglichkeiten eröffnenden Rauminstallations-Performance mit Sonnenblumen, Slip-Einlagen, Wasserbeuteln und einer ganzen Armada von Teelichtern, die den Raum regelrecht aufheizen.

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Die weiteren vier Aufführungstermine im Bochumer Prinz Regent Theater, bevor Silent City im September 2019 ins Dortmunder Depot und im November 2010 ins Lissaboner Teatro Iberico wechselt: Donnerstag, Freitag, Samstag und Sonntag, 11.,12., 13. , 14. Juli 2019, jeweils zwischen 14 und 22 Uhr mit stündlichem Einlass für maximal sechs Besucher. Daher wird eine Reservierung unter prinzregenttheater dringend empfohlen.

| Autor: Pitt Herrmann