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Das Corona-Virus entscheidet.

Eine Kolumne von Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey

Schwadronierende Politiker

Schwadronieren wird heute meist in der Bedeutung „unnütz daherreden“ verwendet. Schwadronen sind bekanntlich militärische Strukturen und so ist es nicht verwunderlich, dass der Begriff früher den lautstarken, großsprecherischen und vereinfachenden Redestil der Offiziere, wenn sie außerdienstlich unter sich waren, bezeichnete. Ich würde es etwa als aufgeblasenes Gelabere bezeichnen. Das scheint in dieser schwierigen Zeit bei diversen Politikern in Mode zu kommen, die sich für schlau halten aber doch meistens nur „schlaumeiern“.

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Was ist ihr Motiv, was ist die Triebfeder? Die alten Römer waren schon ziemlich pfiffige Leute. Sie haben uns ein paar clevere Erkenntnisse hinterlassen. Eine der klügsten lautet: Folge der Spur des Geldes.

So erklärte Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer unlängst, dass man derzeit auf Kosten der Wirtschaft Menschen retten würde, die ohnehin bald das Zeitliche segnen würden. Zitat: „Ich sage es Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären - aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen.“ Viele Menschen, die an Corona sterben würden, seien über 80 Jahre alt, dozierte/schwadronierte Palmer im Sat.1-Frühstücksfernsehen, und „man wisse ja, über 80 sterben die meisten irgendwann".

Der ehrenwerte Bundestagspräsident Schäuble meint, man dürfe die Entscheidungen über die Pandemiebekämpfung nicht einfach „irgendwelchen“ Virologen überlassen, sondern müsse auch „die gewaltigen ökonomischen, sozialen, psychologischen und sonstigen Auswirkungen abwägen". Der Lockdown hätte „fürchterliche Folgen“ so Schäuble und spricht damit relativ offen aus, dass das kapitalistische Weltwirtschaftssystem nicht in der Lage ist, einen längerfristigen Lockdown zu überstehen.

Wolfgang Schäuble und Boris Palmer machen somit klar, wo die Prioritäten in einer kapitalistischen Marktwirtschaft liegen. In ihren Augen geht es um den höchsten aller (ihrer) Werte, den Wert. Deshalb müssen die Alten und Kranken über die Klinge springen. Palmer und Schäuble sind da nur die winzige Spitze des Eisbergs, in dem eine Menge Prominenz vertreten ist. Christian Lindner, Alexander Gauland, der BDI, Miriam Meckel und noch etliche mehr empfinden es augenscheinlich als eine Zumutung, die es zu beenden gilt, dass da reine Kostenfaktoren am Leben sind, die dem Wertschöpfungsprozess im Wege stehen.

Hartnäckig vertreten sie die irrige Meinung, die Opfer der Covid-19-Pandemie hätten wegen ihres Alters oder diverser schwerer Vorerkrankungen sowieso nicht mehr lange zu leben gehabt. In Großbritannien, das europaweit die meisten Opfer produziert, haben Forscher der Universität Glasgow diese Annahmen in einer Studie überprüft - und kommen zu ganz anderen Zahlen: Nach dieser Studie verlieren männliche Covid-19-Opfer im Schnitt 13 Jahre Lebenszeit, bei Frauen sind es elf Jahre. Dabei wurden Auswirkungen von Krankheiten, die Betroffene schon vor ihrer Covid-19-Infektion hatten, einbezogen. Die Studie berücksichtigt explizit Patienten mit Herzerkrankungen wie Rhythmusstörungen oder Herzinsuffizienz, Schlaganfall, Bluthochdruck, Diabetes, Demenz, COPD, Krebs, Leberversagen und Nierenerkrankungen. Das alles sind Krankheiten, die heute behandelbar sind und keineswegs zwingend zum kurzfristigen Ableben führen müssen. Meine Mutter hatte, als sie ihren 80. Geburtstag beging, noch 16 gute Jahre vor sich. Ein fitter 80-Jähriger hat in Deutschland und auch im übrigen Westeuropa statistisch 11 weitere Jahre zu leben. „Die meisten Menschen verlieren durch eine Infektion mit Covid-19 deutlich mehr Lebenszeit als die oft kommentierten ein oder zwei Jahre“, resümieren die Wissenschaftler.

Stand heute (10.5.2020) sind in Deutschland 7.549 Menschen an Covid-19 gestorben. circa 7.200 davon waren bereits im Rentenalter. Sie hätten bis zu ihrem seligen Ende in circa 12 Jahren die Rentenversicherungen etwa 1,5 Milliarden Euro und die Krankenversicherungen circa 1 Milliarde Euro gekostet. Hätte man der Seuche wie in Schweden freien Lauf gelassen und 80-Jährige von vorneherein von der Intensivbehandlung ausgeschlossen, wäre die Zahl der Opfer in Deutschland circa 4 mal so hoch gewesen - bis jetzt also circa 30 Tausend. Entsprechend wären die Einsparungen für die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherungen gestiegen. Gleichzeitig hätte man den volkswirtschaftlichen Schaden deutlich mindern können – auch nur bis jetzt. Charaktere wie Palmer, Schäuble, Lindner und Gauland können da schon mal schwach werden, das allerdings zum Preis von 350.000 Lebensjahren. Bekannt ist, dass das Konsumverhalten der Menschen im Rentenalter in besonderem Maße zur Wirtschaftsentwicklung beiträgt. Wirtschaftswissenschaftler könnten die langfristigen Folgen vielleicht berechnen, wenn sie denn auch mal Epidemiologen zu Rate ziehen würden.

Das Max Planck Institut für Demographische Forschung schreibt: „Unbestritten ist, dass das Virus viele Todesfälle verursacht. Manche sind direkt darauf zurückzuführen, andere sind dadurch beschleunigt worden, und wieder andere sind unserer Reaktion auf das Virus geschuldet. Gleichzeitig wurden sicherlich einige Tode vermieden, die es sonst gegeben hätte, zum Beispiel durch Verkehrsunfälle. Wenn man sich in einiger Zeit die Todesstatistiken anschaut, wird man im Vergleich zu anderen Jahren eine Nettozunahme an Todesfällen feststellen. Diese Zunahme ist - in all ihrer Komplexität - der Pandemie zuzuschreiben.“

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Die ausschließlich Wertschöpfungsgläubigen entwickeln derzeit einen absurd anmutenden Todeskult, der buchstäblich Menschenopfer einfordert, um weiterhin aus Geld mehr Geld machen zu können. Dabei ignorieren sie die langfristigen Folgen der Auslöschung einer ganzen Generation auch für das Wirtschaftssystem. Dieses Gerede als „Schwadronieren“, also uninformiertes, großspuriges Gelabere, zu bezeichnen, erscheint mir nicht übertrieben.

| Autor: Dr. Gerd Dunkhase von Hinckeldey