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Knut Hamsuns „Hunger“: Oliver Möller stemmt das Monodram „Hunger“ nach Knut Hamsun mit großer Intensität.

Grandioses Solo von Oliver Möller

Knut Hamsuns „Hunger“ am Prinz Regent

„Es war zu jener Zeit, als ich in Kristiania umherging und hungerte, in dieser seltsamen Stadt, die keiner verlässt, ehe er von ihr gezeichnet worden ist.“ So beginnt der 1890 bei Philipsen in Kopenhagen erschienene, in vier „Stücke“ gegliederte Roman-Erstling „Sult“ („Hunger“) des späteren Literatur-Nobelpreisträgers Knut Hamsun, dessen Frühwerk gerade in gleich zwei Bochumer Theatern eine Renaissance erlebt: pandemiebedingt feierte Jochen Langners stark eingestrichenes und dennoch alles Wesentliche enthaltene Precis des Hamsun-Debüts erst nach Johan Simons‘ am Schauspielhaus inszenierter Bühnenadaption des 1892 im gleichen Verlag herausgekommenen Romans „Mysterier“ („Mysterien“) Premiere im Prinz Regent Theater.

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Beides sind stark autobiographische Texte, in denen der norwegische Autodidakt seinen eigenen steinigen Weg als Schriftsteller, aber auch als innerlich zerrissener und häufig dem Wahnsinn naher Intellektueller thematisiert und dabei weder sich selbst („nervös und hochempfindlich“) noch die Leser der zusammen gut 550 Seiten schont. In „Mysterien“ ist Johan Nilsen Nagel das Alter ego des neurotisch-überreizten jungen Hamsun, der sich als Provokateur einer konservativen (hier: Kleinstadt-) Gesellschaft gefällt. Und in „Hunger“ kämpft Andreas Tangen in der heute wieder Oslo genannten norwegischen Hauptstadt ums nackte Überleben. Beide im Übrigen in gelben Kostümen agierende Protagonisten sind Männer ohne Vergangenheit, deren Handlungen sich weder aus sich selbst heraus erklären noch durch einen Erzähler erläutert werden.

Knut Hamsuns „Hunger“: Steht wieder ab 21. November 2021 auf dem Spielplan: Knut Hamsuns „Hunger“ mit dem grandiosen Oliver Möller.

Der Ich-Erzähler in „Hunger“, der sich einmal – wie stets ohne Gewähr - als Andreas Tangen zu erkennen gibt, datiert Bewerbungsschreiben schon ‘mal mit dem Revolutionsjahr 1848. Und hadert dann mit Gott und der Welt, wenn er nicht genommen wird. Er nächtigt in zugigen Dachkammern, unter Obdachlosen im Polizeigewahrsam des Rathauses, in einer aufgelassenen Klempnerwerkstatt, auf einer Parkbank oder gar auf moosigem Waldboden, einmal sogar als große Ausnahme auf dem Sofa einer ihm geneigten jungen Frau in Schwarz. Er versucht verzweifelt – und an den unmöglichsten Orten, Essays zu Papier zu bringen oder ein im Mittelalter spielendes Drama, um sie an Zeitungsredaktionen zu verkaufen.

Bis hin zu den Knöpfen seiner letzten Jacke trägt er seine Habseligkeiten ins Pfandhaus, ist andererseits aber stolz genug, seine Armut zu verbergen. So bringt er sich nicht nur um Essensmarken oder seine letzte Weste, die er versetzt, um einem mittellosen Handwerker Milch kaufen zu können, sondern auch um den offerierten Vorschuss eines mitleidigen Redakteurs. Hat er ‘mal einige Kronen in der Tasche, wird er sie rasch wieder los, weil er sich gern generös zeigt, gegenüber einer seine Mietrückstände anprangernden Zimmerwirtin oder der armen Kuchenfrau an der Elefantenapotheke. „Es war ein Genuss, aufs Neue blank zu sein“ macht er sich dann selbst etwas vor. Und wenn er sich tatsächlich einmal ein halbes Beefsteak leistet, muss er sich sogleich übergeben: sein Magen ist auf Hunger eingestellt. Am Ende des vierten „Stücks“ sieht er keine Überlebenschancen im nun winterlichen Kristiana mehr und heuert auf dem nach England auslaufenden Schiff Copégoro an…

„Meine Damen und Herren, ich bin verloren“: Mit großer Geste betritt Oliver Möller die Bühne und zirkelt mit Kreide auf dem Bühnenboden eine schmale Spielfläche zwischen den längsseitig gegenüberliegenden Zuschauertribünen ab, die er – ein selbstgewähltes Gefängnis – nicht wirklich verlässt. Unter der Regie des Kölner Film- und Theaterschauspielers Jochen Langner, der 2009/10 auch am Schauspielhaus Bochum gastierte, reichen ihm eine wiederum sehr theatralisch geschulterte Bank und ein Standmikrophon mit Sampling- und Loop-Funktion (Sound-Design: Manuel Loos) als Requisiten für einen äußerst lebendigen neunzigminütigen Abend, der die fiebrige Geckenhaftigkeit einerseits und, nur einen Augenblick später, das Gefühl heiterer Gelassenheit der Romanfigur verblüffend authentisch über die hier gar nicht vorhandene Rampe bringt.

Wie ein auf dem Rücken liegender Maikäfer strampelt sich Oliver Möller, der außerdem derzeit am Schauspielhaus Bochum als Hubert Finidori in „Drei Mal Leben“ sowie als Mephisto im großartigen „Faust“ des Prinz Regent Theaters zu erleben ist, für seinen Lebensunterhalt ab. Und fühlt sich in sein Märchenreich Ylajali versetzt, wenn er tatsächlich einmal ein Manuskript hat verkaufen können oder unter Rotlicht am Dekolleté der schwarzgekleideten Frau nestelt. Der 1976 im hessischen Groß-Gerau geborene Absolvent des Mozarteums Salzburg und der Folkwang-Hochschule Essen stemmt dieses Monodram mit großer Intensität.

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Es steht wieder am Sonntag, 21. November 2021, um 18 Uhr, am Mittwoch, 1. Dezember 2021, um 19:30 Uhr, am Mittwoch, 26. Januar 2022, um 19:30 Uhr sowie am Donnerstag, 27. Januar 2021, um 19:30 Uhr auf dem Spielplan, unbedingt Karten sichern unter prinzregenttheater oder Tel 0234 – 77 11 17.

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  • Sonntag, 21. November 2021, um 18 Uhr
  • Mittwoch, 1. Dezember 2021, um 19:30 Uhr
  • Mittwoch, 26. Januar 2022, um 19:30 Uhr
  • Donnerstag, 27. Januar 2022, um 19:30 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann