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Kramen in alten Erinnerungen: Svante (Alexander Ritter) und seine Schwester Betty (Johanna Wieking), im Hintergrund Jan-Friedrich Schaper als Feuerwehrmann-Spielzeugfigur.

Turbulente Lindgren-Adaption des Theaters Kohlenpott

Karlsson vom Dach

„Ich bin gleich wieder weg“ verspricht Alexander Ritter, dabei hat er den Theatersaal der Flottmann-Hallen gerade erst betreten. Auf der Bühne stapeln sich Umzugskartons, in denen er kramt und neben allerlei Spielzeug auch sein altes Englisch-Buch aus der 5. Klasse findet. Auf einem schweinchenrosafarbenen Tretroller umkurvt er die Kartons, welche immer mehr inzwischen schon nostalgisch anmutende Dinge wie eine Dampfmaschine preisgeben. Zwei Behelmte, wohl Feuerwehrleute, die seinem Spielzeugauto entsprungen sind, helfen ihm bei der Auffrischung seiner Kindheitserinnerungen – und Svea Kirschmeier packt als Lillebrors Schwester Betty das Saxophon aus.

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In ihrem 1955 erschienenen Kinderbuch „Lillebror und Karlsson vom Dach“ (im Original: Lillebror och Karlsson på taket) erzählt die schwedische Autorin Astrid Lindgren von Svante Svantesson, genannt Lillebror (schwedisch für „kleiner Bruder“), einem ganz gewöhnlichen, aber bisweilen recht einsamen Jungen. Der sich nichts sehnlicher als einen Hund wünscht, wovon seine vielbeschäftigten Eltern aber nichts wissen wollen. Während Lillebror allein in seinem Zimmer vor sich hin träumt, hört er von Ferne ein Brummen, das schnell lauter wird – und es erscheint mit einem forschen Heißa Hopsa: Karlsson, ein fröhliches Großmaul mit unerschütterlichem Selbstwertgefühl, grundgescheit und gerade richtig dick. Immer, wenn ‘mal etwas aus dem Ruder läuft, beruhigt Karlsson: „Das stört keinen großen Geist.“

So beginnt die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen dem siebenjährigen, schüchternen Jungen und dem selbstsüchtigen und egoistischen, aber auch listigen Karlsson. Der lebt allein in einem Haus auf dem Dach, das normalerweise durch einen Schornstein verdeckt wird. Karlsson, der bisweilen auch sehr rechthaberisch ist, kann mit Hilfe eines auf seinem Rücken befestigten Propellers fliegen. Gemeinsam beobachten die Freunde nun das Stockholmer Stadtviertel Vasastan aus der Vogelperspektive. Sie sehen den Nachbarn zu und spielen ihnen gerne Streiche, worunter auch zwei arg tollpatschige Einbrecher zu leiden haben. Lillebrors Eltern und seine Geschwister, der 15-jährige Birger und die 14-jährige Betty, sind überzeugt, bei Karlsson handele es sich um ein Hirngespinst des „Kleinen“, weil er den seit langem ersehnten Hund nicht bekommen hat. Erst am Ende machen die Familie Svantesson und die Freunde Lillebrors die Bekanntschaft Karlssons – und entdecken, welch großes Geschenk diese Freundschaft ist.

Turbulent geht’s zu bei Lillebror (Alexander Ritter) und Karlsson (Johanna Wieking), im Hintergrund Jan-Friedrich Schaper und Svea Kirschmeier.

Frank Hörners über pausenlose neunzig Minuten höchst lebendige Inszenierung beginnt mit der eingangs geschilderten Rahmenhandlung, die das Lindgren-Märchen auf höchst theatralische Weise mit der realen Gegenwart der beiden Protagonisten Lillebror (zuletzt „Peer Gynt“ im Schlosspark Strünkede: Alexander Ritter) und Karlsson (zuletzt „Besuch Aus Tralien“ in Herne: Johanna Wieking) und damit der des jungen Publikums ab sechs Jahren verbindet. Neben den beiden Bochumer Darstellern, die sowohl am Schauspielhaus wie am Prinz Regent Theater und an der Rottstraße spielen, nun aber erstmals gemeinsam auf einer Bühne agieren, glänzt ein dem Herner Publikum durchaus vertrautes Kölner Duo mit Svea Kirschmeier („Ich bin Liebe“) und Jan-Friedrich Schaper („Patricks Trick“, „Funny Girl“) in zahlreichen Eltern-, Geschwister- und Erzähler-Rollen.

Turbulent geht es zu auf dem mit witzigen Alltags-Requisiten und modernstem technischen Gerät (Drohne!) gespickten Dachboden Friederike Külpmanns (Ausstattungsleiterin des Essener Grillo-Theater) - und nicht gerade politisch-korrekt, etwa wenn Karlsson seinen Müll einfach übers Dach in den Hof „entsorgt“. Die fröhlich-nostalgische Musik Sebastian Maiers mit beliebten Evergreens u.a. von Frank Sinatra und „Ethiojazz“-Weltmusik des äthiopischen Jazzers Mulata Astatke, bekannt aus Jim Jarmuschs Streifen „Broken Flowers“, machen aus dem Familienstück beinahe ein Musical mit instrumentaler Live-Begleitung.

Die längerfristig angelegte Kooperation des Herner Theaters Kohlenpott mit dem Gelsenkirchener Consol-Theater begann im letzten Jahr mit „Jim Knopf“, die phantasievolle Weltreise sollte ursprünglich beim pandemiebedingt abgesagten „Spielarten“-Festival in Herne gezeigt werden. Nach der Uraufführung der „Karlsson“-Adaption Christian Schönfelders am 10. Oktober 2020, seiner bereits vierten Arbeit für das Theater Kohlenpott nach „Kanalhelden“, „Leider Deutsch“ und „Alles in Ordnung“, begann der zweite coronabedingte Lock-Down, sodass auch die für den 29. November 2020 geplante Gelsenkirchener Premiere abgesagt werden musste. Auch die Consol-Theaterleute hoffen, diese am 6. Dezember (15 Uhr) nachholen zu können, eine weitere Familienvorstellung ist für den 24. Januar 2021 terminiert.

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Zu den beiden Herner Familienvorstellungen am Freitag, 18. Dezember 2020 und Sonntag, 20. Dezember 2020 jeweils um 16 Uhr, Tickets unter karten@theaterkohlenpott.de kommen noch eine Reihe von vormittäglichen Schulaufführungen, Kontakt unter Tel 0162 – 286 90 37. Die Karten kosten zehn (ermäßigt sechs) Euro, bei Schulgruppen-Vorstellungen fünf Euro pro Person. Karten können nur online vorbestellt werden.

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  • Freitag, 18. Dezember 2020, um 16 Uhr
  • Sonntag, 20. Dezember 2020, um 16 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann