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'Good Morning Boys ans Girls': Spannende Multimedia-Inszenierung mit Live-Cam.

Egoshooter am WLT

Good Morning, Boys and Girls

Am Valentinstag 2018 erschießt der 19-jährige Nikolas Cruz an seiner ehemaligen Schule in Parkland 14 Schüler und drei Erwachsene. Am 11. März 2009 sterben bei einem Amoklauf an einer Realschule in Winnenden 16 Menschen, darunter der Täter. 2002 tötet ein ehemaliger Schüler am Erfurter Gutenberg-Gymnasium 13 Lehrer, zwei Schüler, einen Polizisten und sich selbst. Am 20. April 1999 töten zwei Jugendliche 13 Menschen in der Oberschule von Columbine...

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Die fünf Schauspieler stehen in Figuren-Nischen ähnlichen Aussparungen oder vor der für (Live-) Video-Projektionen vorgesehenen Bühnen-Wand der Ausstatters Jeremias H. Vondrlik und rufen zu Beginn des Jugendstücks „Good Morning, Boys and Girls“ spektakuläre Schulmassaker der jüngeren Vergangenheit ins Gedächtnis zurück. Sie klären das Publikum ab 14 Jahren (bzw. ab Klasse 9) darüber auf, dass dieses Phänomen seit über 200 Jahren erforscht wird. Bereits 1770 habe Captain Cook eine Kampftaktik aus Malaysia beschrieben, bei der sich Sklaven mit dem Kampfschrei „amuk“ gegen ihre Herrscher blutig zur Wehr setzten und danach als Helden gefeiert wurden.

Noch in alter Besetzung: Susanne (Sabrina Sauer) und Jens aka 'Cold' (Adrian Kraege).

Für einen Aufsatz bei der Deutschlehrerin Patt (Thyra Uhde) hat sich Jens, aka „Cold“ (Chris Carsten Rohman) in einen Gewaltfilm hineinfantasiert, in dem er zum Helden wird, indem er sowohl „Nazischweine“ als auch „Öl-Augen“ genannte Mitmenschen mit Migrationshintergrund eliminiert – und zwar auf besonders grausame Weise. Weil „alles schon da war“, wie er seiner Mitschülerin Susanne (Luisa Cichosch) anvertraut, müssten die Methoden heute „eben noch krasser sein“ um Fassungslosigkeit hervorzurufen. Auch bei seinen im Übrigen gut situierten Eltern Robbin (Vincent Bermel) und Tinka (Anna Noack), welche die Äußerungen ihres Sohnes freilich für pubertäre Auswüchse halten.

Auch die Lehrerin ahnt nicht, wie konkret Jens‘ Wunsch nach öffentlichem Ruhm ist, indem dieser, der auch in seiner Freizeit am liebsten Gewaltvideos wie „Counter Strike“ spielt, sich bereits ausmalt, wie es ist, wenn TV-Teams seine Mitschüler und seine Lehrer befragen. Frau Patt lobt auch noch die fantasievolle Fiktion, als sie den Aufsatz liest. Dabei ist Jens selbst der Egoshooter mit dem Kampfnamen „Cold“ und keine Fantasiegeburt…

Die Schriftstellerin Juli Zeh verknüpft in ihrem dritten Theaterstück „Good Morning, Boys and Girls“, das am 14. April 2019 am Westfälischen Landestheater Castrop-Rauxel Premiere feierte und nun in komplett neuer Besetzung wiederaufgenommen wird, so geschickt Realität und Fiktion, dass es dem Zuschauer schwerfällt, die Wahrheit von Vorurteilen zu unterscheiden. Es beantwortet keine Fragen, gibt aber Hinweise – und die 70-minütige Inszenierung Ralf Ebelings, die in einen hier natürlich nicht gespoilerten Knalleffekt mündet, begeistert das Publikum jeden Alters.

Juli Zehs Debütroman „Adler und Engel” wurde zu einem Welterfolg und in 35 Sprachen übersetzt. Es folgten 2004 „Spieltrieb“, dessen Bühnenfassung 2006 uraufgeführt worden ist, und „Corpus Deliciti“ mit der Uraufführung 2007 bei der Ruhrtriennale. Außerdem hat die vielfach ausgezeichnete Autorin Kinderbücher, Erzählungen, Essays und Zeitungsartikel veröffentlicht. Die Autorin hat sich im Gespräch mit Dorothee Krings von der Rheinischen Post über die Motive jugendlicher Amokläufer geäußert. Danach seien „diese Anflüge von Gesellschaftskritik, die Amokläufer in ihren Abschiedsbriefen oder Blogs äußern“, Teil ihrer Selbstinszenierung als Rächer oder einsame Kämpfer gegen das Böse wie in Hollywood-Filmen. Dabei würden die Täter zumeist in der Schule gemobbt und von den Mädchen missachtet.

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„Good Morning, Boys und Girls“ wird zum Saisonfinale zweimal open air auf dem Außengelände des WLT-Proben- und Logistikzentrums an der Bahnhofstraße 126 (neben dem Europaplatz) in Castrop-Rauxel aufgeführt: Am Freitag, 2. Juli 2021, sowie am Samstag, 3. Juli 2021, jeweils um 20 Uhr. Es ist keine Corona-Testung mehr notwendig, es gelten aber weiterhin Maskenpflicht und Abstandsregeln. Karten über die Homepage westfaelisches-landestheater.de.

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  • Freitag, 2. Juli 2021, um 20 Uhr
  • Samstag, 3. Juli 2021, um 20 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann