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Auch Männer werden Opfer von Gewalt und werden daher nachdenklich und einsam (Symbolbild).

Von toxischer Männlichkeit und der Sorge 'Opfer' zu sein

Gewalt gegen Männer immer noch ein Tabuthema

Das Bild vom männlichen Täter und weiblichem Opfer ist fest verankert. Dass aber auch Männer Opfer von Gewalt beziehungsweise sexualisierter Gewalt werden können, wird in der Gesellschaft kaum thematisiert und vielfach tabuisiert. Dabei seien laut Statistiken des Bundeskriminalamtes 20 Prozent der Betroffenen von häuslicher Gewalt Männer. Die Dunkelziffer liege noch höher.

Seit April 2020 gibt es deshalb das Hilfetelefon für Männer, das für Nordrhein-Westfalen von der Man-o-mann Männerberatung in Bielefeld betreut wird. An diese Anlaufstelle können sich auch Betroffene aus Herne wenden. halloherne-Redakteurin Julia Blesgen sprach mit Björn Süfke, dem Leiter des Hilfetelefons für Männer.

'Verlust traditioneller Männlichkeit'

„Gewalt gegen Männer ist immer noch ein unglaublich tabuisiertes Thema. Dabei ist jedes fünfte Opfer, dem Gewalt widerfährt, männlich. Für Betroffene ist es zunächst schwer, sich an Hilfsstellen zu wenden, da immer noch die stereotype Vorstellung in den Köpfen der Männer herrscht: Ein Mann wird kein Opfer", berichtete Björn Süfke, Leiter des Hilfetelefons für Männer.

Weiter führte er aus: „Als Mann Opfer sein zu dürfen, ist im Grunde mit dem Verlust traditioneller Männlichkeit verbunden und das ist etwas, was für viele Männer schwierig ist."

Aus diesem Grund ist es den Verantwortlichen wichtig, den Betroffenen ein niederschwelliges, anonymes und kostenloses Angebot machen. Die Resonanz sei bisher sehr hoch gewesen. „Wir haben zahlreiche Anfragen erhalten. Viele Männer finden den Mut, sich zu öffnen und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dadurch, dass das Angebot bekannter wird, merken vielleicht einige Männer, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind und es okay ist, Hilfe in Anspruch zu nehmen", mutmaßte Süfke.

60 Prozent erleben Gewalt in der Partnerschaft

60 Prozent der Männer, die sich an das Hilfetelefon wenden, berichten über akute Gewalt durch die Partnerin oder den Partner. Hierbei handelte es sich um sexualisierte, physische oder auch psychische Gewalterfahrungen. „Wir sind, und das ist uns auch wichtig, ebenfalls Ansprechpartner für Gewalterfahrungen, die länger zurückliegen. Es können sich an uns auch Männer wenden, die beispielsweise in der Kindheit Gewalt oder Missbrauch erfahren haben", so der Diplom-Psychologe, der seit 20 Jahren in der Männerarbeit tätig ist.

Viele Männer, die Gewalt erfahren, scheuen sich davor, mit den Beratungsstellen darüber zu sprechen.

Damit das Thema 'Gewalt gegen Männer' an Stigmatisierung und Tabuisierung verliere, müsse sich Süfkes Meinung nach mehr mit Themen wie toxischer Männlichkeit, der Einrichtung von weiteren Anlaufstellen und Präventionsarbeit beschäftigt werden. „Die Thematik ist nicht neu. Gewalt gegen Männer gab es auch schon vor 20 Jahren, aber mittlerweile rückt es mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. Wir möchten für dieses Thema sensibilisieren. Hierbei ist es auch wichtig, toxische Männlichkeitsmuster aufzubrechen. Eben, dass es in Ordnung ist, Gefühle zuzulassen und vermeintlich Schwäche zu zeigen." Das Hilfetelefon für betroffene Männer ist unter Tel 0800 1239900 oder per erreichbar.

'Männer kommen nicht freiwillig zur Beratung'

Auch Brigitte Grüning, die die Außenstelle des Weissen Rings Herne leitet, sieht die Thematik ebenfalls als ein gesellschaftliches Tabuthema an: „Die betroffenen Männer kommen nicht 'freiwillig' zu uns. Sie werden durch Polizeieinsätze aufgrund von häuslicher Gewalt an uns vermittelt."

Männer, die sexualisierte, physische oder psychische Gewalt erleben, falle es immer noch sehr schwer, sich anderen anzuvertrauen. „Das hat auch etwas mit der gesellschaftlichen Vorstellung von Männlichkeit zu tun. Ein Mann hat stark zu sein und darf kein Opfer sein. Was natürlich völliger Quatsch ist. Betroffene Männer sind nicht schwach, wenn sie sich Hilfe suchen", so die Leiterin des Weissen Rings Herne.

Wenige Fälle zur Anzeige gebracht

Ähnlich wie betroffene Frauen, erfinden auch Männer Begründungen, warum die Partnerin oder der Partner gewalttätig wird. „Wir hören dann, dass die Partnerin beispielsweise unter großem psychischen Druck stand oder einmalig die Hand ausgerutscht sei", berichtete Brigitte Grüning. „Vielfach zeigen die Betroffenen ihre Partnerin oder ihren Partner auch nicht an". Besonders bei Männern, die sexualisierte Gewalt erleben, seien es noch weniger Fälle, die zur Anzeige gebracht werden. Vielfach haben die Männer auch Angst, von den Gewalterfahrungen zu berichten.

Männer, die Gewalt erfahren, fühlen sich oft einsam.

„Männer haben den Eindruck, dass sie sich rechtfertigen müssen, wenn ihnen Gewalt widerfährt. Sie haben keine Sympathien auf ihrer Seite. Sie fürchten von ihrem Umfeld, von Arbeitskollegen, Freunden oder der Familie nicht mehr ernstgenommen zu werden, wenn sie von ihren Erlebnissen berichten. In etwa so nach dem Motto 'Du Berg von einem Mann, lässt dich von deiner Frau schlagen?'. Betroffene Männer müssen um einen Gesichtsverlust fürchten", so Grüning weiter.

Brigitte Grüning würde sich mehr Akzeptanz und Präventionsarbeit bei dieser Thematik wünschen: „Ich glaube, wenn wir offener über diese Thematik sprechen und schon in Schulen Präventionsangebote auch für Jungen liefern, dann kann sich für die kommenden Generationen etwas zum Positiven verändern."

Mittwoch, 5. Januar 2022 | Autor: Julia Blesgen