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Nina Reithmeier und Patrik Cieslik.

Grips Theater gastiert mit Familienstück

Dschabber bei den Ruhrfestspielen

„Kennt ihr das, wenn man den Blick von jemandem auffängt, nur ganz kurz, und man sieht genau, was in ihren Köpfen vorgeht? 'Boah, was soll das Kopftuch? Bestimmt muss sie das tragen. Ist das ne Terroristin? Bestimmt ist die voll still und schüchtern'“: Die 16-jährige selbstbewusste Fatima (Nina Reithmeier) lebt seit drei Jahren in Deutschland als Tochter eines Ingenieurs, der sich nun in Berlin als Uber-Fahrer verdingen muss. Sie hat sich entschieden, ein Kopftuch, den Hidschab, zu tragen. Tötet alle Muslime: Nach extremistischen Graffiti musste sie auf Wunsch ihrer Eltern die Schule wechseln. In der neuen Klasse vermisst sie nicht nur ihre Freundinnen, die sich selbst einschließlich der Kartoffel in ihren Reihen Dschabber nennen, sondern muss sich auch noch mit Jonas (Patrik Cieslik) herumschlagen, der sie mit einer Mischung aus Überheblichkeit und Hartnäckigkeit provoziert und so Dauergast beim nur M genannten Vertrauenslehrer Müller (Marius Lamprecht) ist. Sein Vater sitzt wegen häuslicher Gewalt seit drei Jahren im Gefängnis und steht nun kurz vor seiner Entlassung. Wie soll sich Jonas ihm gegenüber verhalten? Obwohl die beiden kaum unterschiedlicher sein könnten, entwickelt sich eine vorsichtige Liebesgeschichte. Für Jonas ist Fatima sogar bereit, „eine Sünde vor Gott“ zu begehen…

Mit der Europäischen Erstaufführung des Theaterstücks Dschabber am 8. November 2018 hat sich das Berliner Grips Theater zum wiederholten Mal mit dem Lebensalltag muslimischer Jugendlicher hier in Deutschland auseinandergesetzt. Im Mittelpunkt steht eine 16-Jährige, die sich ganz bewusst für das Tragen eines Hidschabs entschieden hat: „Das Kopftuch gehört zu meiner Religion“ erläutert Fatima. Durch die Verhüllung ihres Haarschopfes wolle sie in der Öffentlichkeit ihren Respekt zu Gott bezeugen. Eine auch unter gläubigen Muslimen höchst umstrittene Auffassung, die im Stück unwidersprochen bleibt. Das häufig mitten im Publikum turbulent inszenierte, knapp 80minütige Stück mit fliegenden Rollenwechseln und fetziger Live-Musik (Thilo Brandt) lässt die Zuschauer tief eintauchen in die ihren zumeist fremde Lebenswelt Fatimas mit all ihren Fragen, Widersprüchen und Konflikten, ob zu Hause, in der Schule, in Freundschaften oder in der Gesellschaft. „Die Zuschreibungen, die wir über andere machen, sagen letztendlich mehr über uns selbst aus“, so der Autor Marcus Youssef. Am Ende bleibt als zentrale Aussage stehen: „Es gibt fast zwei Milliarden Muslime auf der Welt. Sagen wir, sie sind nicht alle gleich.“

Youssef, Sohn ägyptischer Eltern, ist einer der erfolgreichsten Dramatiker Kanadas. Unaufgeregt und voller immer wieder auch abgründigem Witz wirbt er in Dschabber um Vertrauen, Offenheit und Verständnis, die kulturelle Unterschiede überbrückbar erscheinen lassen. „Für mich ist das Stück kein Beitrag zur Kopftuch-Debatte, sondern eine Romeo-und-Julia-Geschichte, angesiedelt im Hier und Jetzt und in der Großstadt,“ sagt Jochen Strauch, der mit dieser Inszenierung seinen Einstand als Regisseur am Hansaplatz gegeben hat: „Ich finde nicht, dass wir als Künstler die Antwort auf gesamtgesellschaftliche komplexe Diskurse geben sollten. Wir erzählen eine Geschichte, die uns eigene Empathie und Großzügigkeit erfahren lässt. Schöner, pointenreicher und liebevoller kann interkultureller Dialog nicht erzählt werden.“

In seinem Blog gibt der Regisseur einen Einblick in die Proben und die Entwicklung des Familienstücks für alle ab 13 Jahren, an dem auch zwei Berliner Schulen beteiligt waren. Mit Dschabber gastiert das Grips Theater bei den Ruhrfestspielen im Kleinen Theater auf Recklinghausens Grünem Hügel. Karten für die beiden Vorstellungen am Freitag, 17. Mai 2019, um 11:30 Uhr sowie um 15 Uhr unter ruhrfestspiele.de oder Tel 02362/92 180.

Montag, 13. Mai 2019 | Autor: Pitt Herrmann