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Die Schlacht aller Zimmerschlachten fängt harmlos an, v.l. Victor IJdens, Jele Brückner, Konstantin Bühler und Anne Rietmeijer.

„Virginia Woolf“ in Bochum

Die Göttin des Gemetzels

Ein College irgendwo an der Ostküste in der amerikanischen Provinz. Der 46-jährige Geschichtsprofessor George (Konstantin Bühler) und seine um ein halbes Dutzend Jahre ältere Gattin Martha (Jele Brückner) kehren um Mitternacht nach einem Empfang, den ihr Vater, Rektor der Universität von New Carthago, gegeben hat, nach Hause zurück.

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Trotz der späten Stunde muss sich George damit abfinden, dass Martha noch Gäste eingeladen hat, die ebenfalls auf der College-Party waren: Nick (Victor IJdens), ein Biologe, der gerade seine neue Stelle an der Universität angetreten hat, und Honey (Anne Rietmeijer), seine junge Frau.

Das ist die Exposition des Dreiakters „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, der Edward Albee 1962 in New York zum Durchbruch als Dramatiker verhalf. Er hatte den im Titel aufgenommenen Spruch Mitte der 1950er Jahre als Graffiti in einer Studentenbar entdeckt und für einen intellektuellen Witz gehalten bezogen auf einen zwanzig Jahre alten Film Walt Disneys, in dem drei – aus Furcht? – vorlaute kleine Schweinchen singen: „Wer hat Angst vorm bösen Wolf?“.

Jele Brückner (l.) als die Göttin des Gemetzels weiß Victor IJdens um den kleinen Finger zu wickeln, im Hintergrund schaut Anne Rietmeijer eher belustigt zu.

Die Urmutter aller Zimmerschlachten sollte eigentlich, für das Schillertheater geschrieben, bei den Berliner Festwochen 1962 uraufgeführt werden, weshalb sich auch einige Berlin-Bezüge im Text finden. Aber aufgrund von terminlichen Schwierigkeiten, so jedenfalls die offizielle Version, kam der Broadway dem „Schiller“-Ableger Schlossparktheater zuvor, wo 1963 die Deutschsprachige Erstaufführung mit Maria Becker und Erich Schellow wahre Triumphe feierte. Wie auch die Verfilmung drei Jahre später mit Elizabeth Taylor und Richard Burton, die bis heute als unerreicht gilt trotz zahlreicher Remakes.

Rund ein Vierteljahrhundert ist die letzte Bochumer Inszenierung her: Jürgen Kruse brachte sie Ende Januar 1999 mit Jürgen Rohe/Traute Hoess und Peter Jordan/Judith Rosmair in den Kammerspielen heraus, mit um den Herner Laiendarsteller Anton Lohse und einige Kinder erweitertem Figurenarsenal, szenisch und sprachlich aufgepeppt durch Extempores und jeder Menge Musik.

Nun hat das niederländische Ensemblemitglied Guy Clemens diesen „Klassiker der Moderne“ am Schauspielhaus Bochum herausgebracht, weit unspektakulärer als reines Schauspieler-Theater, aber auch mit einer Klasse-Besetzung. Dorothee Curios Bühne ist von einem Mauer-Durchbruch gerahmt für einen voyeurhaften Blick des Publikums auf das ungleiche Duell zweier Paare, hierin unterstützt von großen Spiegeln zu beiden Seiten. Die vergleichsweise karge Möblierung ihrer Ausstattung führt in die 1960er Jahre und damit an die Entstehungszeit des Dramas zurück.

„Was für ein tristes Loch“ lässt sich – mit Blick aufs Parkett – die Gastgeberin Martha der herausragenden Jele Brückner vernehmen, als sie am späten Abend mit Grandezza ihre Wohnung auf dem Universitäts-Campus betritt. Ein zunächst sehr zurückgenommener, bisweilen scheinbar geistig abwesender Konstantin Bühler gibt an ihrer Seite den „gebeutelten Hausherrn“, so der Titel des ersten „Gesellschaftsspiels“ zwischen zunehmend alkoholisierten Gastgebern und ihren beiden Gästen.

Die mit zwei holländischen Ensemblemitgliedern besetzt sind, deren sprachlicher Akzent dem Albee-Drama, das hier in der schnörkellos-drastischen Übersetzung von Alissa und Martin Walser gespielt wird, einen neuen Aspekt hinzufügt: Viktor IJdens und Anne Rietmeijer sind nicht nur neu an der Uni, sondern offenbar auch Ausländer. Ganz davon abgesehen, dass sie einer anderen Generation angehören, was sich modisch allerdings zunächst nicht ausdrückt: George trägt einen olivgrünen, Nick einen waldgrünen Anzug.

Im zweiten, „Die Gästefalle“ („Walpurgisnacht“) betitelten Akt, entwickelt sich ein mörderischer Fight zwischen den Gastgebern in ständig wechselnden Konstellationen unter Einbeziehung der Gäste. Wobei sich die „süße Maus“ Honey tapfer schlägt in der bei Guy Clemens aufgewerteten Rolle der „Nachwuchsschauspielerin des Jahres 2021“, bevor sich das dauerhysterische „scharfe Gerät“ eine Auszeit auf den kühlen Badezimmerfliesen nimmt.

Jele Brückner dreht als Göttin des Gemetzels groß auf: ein ordinärer Vamp, mit jedem Schluck aus diversen, hinter den Spiegeln versteckten Abfüllstationen vulgärer. Bis Georg im „Wie sag ich's meinem Kinde“ („Austreibung“) betitelten dritten Akt den Spieß umdreht und Nicks Lebenslüge, er hat Honey vor allem des Geldes, aber auch ihrer Scheinschwangerschaft wegen geheiratet, auf die Spitze treibt – ganz zum diabolischen Vergnügen Marthas.

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Im Westen kaum Neues, aber 130 Minuten Schauspielertheater vom Feinsten, wieder zu erleben am Dienstag, 21. Februar 2023, am Sonntag, 12. März 2023, und Freitag, 24. März 2023, Karten unter schauspielhausbochum.de oder Tel 0234 – 33 33 55 55.

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  • Dienstag, 21. Februar 2023, um 19:30 Uhr
  • Sonntag, 12. März 2023, um 17 Uhr
  • Freitag, 24. März 2023, um 19:30 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann