
Ein vergessenes Jubiläum
150 Jahre Grundsteinlegung Kreuzkirche
Nahezu unbemerkt jährt sich am Donnerstag (5.10.2023) ein wichtiges Datum der Herner Geschichte: die feierliche Grundsteinlegung für die evangelische Kreuzkirche am heutigen Europaplatz. Einem Neubau, der ab Mai 1873 unweit der alten St. Dionysius-Kirche aus dem 12. Jahrhundert, inmitten des alten Siedlungskerns errichtet wurde. Mit dem Entstehen weiterer Kirchengemeinden wurde sie zunächst als Evangelische Hauptkirche bezeichnet, bis das Bauwerk 1963 offiziell den Namen Kreuzkirche erhielt. Sie wurde im neugotischen Architekturstil des 19. Jahrhunderts ausgeführt.
Am Nachmittag des Erntedank-Sonntags fand, so die zeitgenössische Schilderung, der symbolische Akt statt: „Im Jahre des Heils Ein Tausend Achthundert Drei und Siebenzig: im dreizehnten Jahre der glorreichen Regierung Wilhelms I., deutschen Kaisers und Königs von Preußen, im dritten Jahre des neuen deutschen Kaiserreiches, am fünften October wurde in feierlicher Weise der Grundstein zu dieser Kirche gelegt.“
Pergamenturkunde ist sehr gut versteckt
Und weiter: „Urkunde dieses ist zum ewigen Andenken für künftige Geschlechter ausgefertigt und von uns eigenhändig eingemauert“, vermerkte an diesem Tag das Presbyterium der evangelischen Gemeinde unter der Leitung der beiden Pfarrer Friedrich Dransfeld und Albert Martitz. Immerhin ist die Pergamenturkunde so gut versteckt, dass bis zum heutigen Tag niemand den genauen Ort kennt. Sie schlummert in einer versiegelten Flasche irgendwo im Mauerwerk der Kreuzkirche.

Wie sah es damals in Herne aus und warum wurde eine neue Kirche notwendig? Den Auftakt zum wirtschaftlichen Aufschwung in den kommenden Jahrzehnten markiert 1847 der Bahnhof als Station der Cöln-Mindener-Eisenbahn. Bis zum Beginn des Steinkohlenbergbaus – 1860 nahm als erstes die Zeche Shamrock die Kohleförderung auf – lebten gerade mal 2.800 Menschen im Amt Herne. In den folgenden Jahren wurde eine Steinkohlenzeche nach der anderen abgeteuft und ging in Betrieb: 1864 die Zeche „Providence“ später „Von-der-Heydt“, 1867 „Barillon“ später „Julia“.
1870 erfolgte die Gründung der Zeche „Friedrich der Große“ und schließlich 1872 die Zeche Mont-Cenis in Sodingen. Herne wuchs innerhalb von Jahrzehnten von einem bescheidenen Kirchdorf in bäuerlicher Umgebung zu einer industrialisierten Stadt des Ruhrgebiets. Lebten 1843 in Herne erst 938 Menschen, so waren es 1875, als die neue Kirche vollendet war schon 6.138 Einwohner, zur Jahrhundertwende waren es bereits 27.863 Personen.
Die Kirchengemeinde wächst
Die Zechen brauchten Arbeiter, Tendenz weiter steigend. Es kamen nicht nur Arbeitskräfte mit ihren Familien, sondern Menschen mit ihrem christlichen Glauben: aus Ostpreußen und Masuren zogen evangelische Arbeiter ins Ruhrgebiet, während es aus Schlesien und Polen Menschen mit katholischer Konfession waren. „Das Anwachsen der evangelischen Gemeinde“, so in einem Festvortrag von 1975 zum 100-jährigen Bestehen der Kreuzkirche, „bereitete der Gemeinde und dem Pfarrer zusätzlich erhebliche Sorgen, weil die alte Dionysiuskirche rein räumlich die Gottesdienstbesucher nicht fassen konnte. Trotz einer Empore über dem Seitenschiff mit der Strünkeder Grabkammer, trotz Einbezug eines Teils der Sakristei, reichte der Platz seit den 50er Jahren an Sonn- und Feiertagen nicht mehr aus.“
Der damalige Pfarrer Dransfeld stellte 1875 nüchtern fest, „das Bedürfnis nach einer neuen, besseren und geräumigeren Kirche war schon lange vorhanden.“ Trotz des enormen Gemeindezuwachses hat sich das Presbyterium der evangelischen Kirchengemeinde lange Jahre um einen Neubau herumgedrückt. Erste Planungen gab es immerhin schon seit Ende 1859. So schienen einigen damals die Baukosten zu hoch, die anderen stritten um den künftigen Bauplatz, während andere der Meinung waren, statt eines Neubaus wäre ein Umbau der alten Kirche ausreichend.

Erst 1870 kam wieder Bewegung in die Angelegenheit und es wurde beschlossen, jährlich 1.000 Taler, später sogar 1.500 Taler, in einen Kirchbaufond einzuzahlen. Dann im Sommer 1872 endlich der Beschluss zum Neubau. Am 15. Mai 1873 erfolgte der erste Spatenstich für die neue Kirche. Steine vom Abbruch des alten Kirchturms wurden für das Fundament verwendet - Nachhaltigkeit war also schon damals ein Thema. Die alte Dionysius-Kirche als Vorgängerbau aus dem 12. Jahrhundert wurde 1876 endgültig abgerissen. Über ihren Grundriss rollt übrigens heute - mittlerweile seit Jahrzehnten – der Verkehr auf dem Asphalt der Sodinger Straße.
Der Neubau
Der Entwurf für den Neubau stammt von den Essener Architekten Julius Flügge und Peter Zindel. Sie übernahmen auch die Bauleitung. Ihre Pläne wurden, neben den veranschlagten Kosten von 64.300 Talern, am 13. Dezember 1873 von der Arnsberger Bezirksregierung genehmigt. Den Auftrag zur Bauausführung hatten bereits Anfang Mai 1873 der Herner Maurermeister Dieckhoff und der Zimmermann Stamm von der Kirchengemeinde erhalten.
Der feierliche Ablauf des Tags wurde ausführlich und voller Stolz beschrieben: „(…) und am 5. October d. J. als am Erndte-Dankfeste, nach dem die Mauern bereits bis zur Höhe von ca. 3 Fuß über den Sockel herangewachsenen waren, [wurde] der Grundstein in solenner Weise gelegt. Am Nachmittage dieses Tages versammelte sich die Gemeinde zuerst in der alten Kirche, in welcher der Gottesdienst unter der Leitung des Herrn Pfarrers von Martitz gehalten wurde; nach dessen Beendigung ging’s in feierlichem Zuge, voran das Presbyterium, dann die Repräsentation, dann die Schuljugend, der sich die übrigen Gemeindeglieder anschlossen, zum Bauplatze.“ Nach einem Choral und der Ansprache von Pfarrer Dransfeld wurde mit den symbolischen drei Hammerschlägen der Grundstein für den Neubau feierlich gelegt.
Bauarbeiten gingen zügig voran
Die Bauarbeiten gingen anschließend zügig voran, der Kirchbau wuchs in die Höhe. 1875 war es dann soweit: Am 2. Dezember, dem ersten Adventssonntag, wurde die neue Kirche eingeweiht. „Gestern abend und heute morgen verkündeten feierliche Glockenlänge von dem Turm der neuen evangelischen Kirche das langersehnte Fest der feierlichen Einweihung dieses schönen Gotteshauses“, so die Herner Zeitung in ihrer Ausgabe zwei Tage später. Das nächste Jubiläum steht in zwei Jahren an – und gerät dann hoffentlich nicht in Vergessenheit.
