Kein Zugriff auf ärztliche Altersversorgung
Recklinghausen/Gelsenkirchen. Als selbständiger Zahnarzt ging ein heute fast 67-Jähriger aus dem Kreis Wesel mit Verbindlichkeiten in Höhe von fast einer Million Euro im Spätsommer 2011 in die Insolvenz. Heute arbeitet der Mann als angestellter Zahnarzt und trägt mit seinem über die Pfändungs-Freigrenze für sich und seine Familie hinausgehenden Einkommensanteil Monat für Monat Schulden ab. Das unter treuhänderischer Aufsicht des Recklinghäuser Insolvenzverwalters Steffen Reusch, den das Amtsgericht Münster im August 2011 einsetzte, geschiet.
Im Winter 2012 näherte sich der 65. Geburtstag des Zahnarztes, der als Mitglied der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe seit 1976 erhebliche Anwartschaften für seine Altersversorgung aufgebaut hatte, die laut Satzung der Zahnarztversorgung eigentlich mit dem Ablauf des 65. Lebensjahres fällig sind. Wenn, ja, wenn das Pflichtmitglied nicht vorher einen Antrag auf Verschiebung seiner Versorgungsbezüge stellt. Das ist bei solchen Versorgungswerken im Gegensatz zur gesetzlichen Rentenversicherung durchaus möglich. Und diesen Antrag stellte der Zahnarzt auch vor seinem 65. Geburtstag. Da war das Insolvenzverfahren zwar schon angelaufen, doch die Fälligkeit der satzungsgemäßen Versorgungsbezüge von 571.026 Euro und 10 Cent als Kapitalleistung noch nicht eingetreten. Und diese Summe hätte die Insolvenzverwaltung gerne gehabt, um "die Gläubiger des Beigeladenen befriedigen zu können." So in Kürze der Antrag der jetzt für den Insolvenzverwalter vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen als Treuhänderin auftretenden Rechtsanwältin Bianca Fijas-Seger aus Dresden in der Klage gegen die Zahnärztekammer Westfalen-Lippe. Die sollte ihren ablehnenden Bescheid vom 31. Oktober 2013 an den Insolvenzverwalter aufheben und verpflichtet werden, "die sich zum 65. Geburtstag ergebende Kapitalleistung (des als Begünstigtem beigeladenen Arztes) festzusetzen," um so dem Insolvenzverwalter den Zugriff zu ermöglichen.
Im Januar 2013 hatte der Insolvenzverwalter das Versorgungswerk erfolglos um Auskunft darüber gebeten, von welcher Möglichkeit der Zahnarzt bei der Auswahl zwischen einmaliger Kapitalleistung oder monatlicher Rente Gebrauch gemacht habe. Schlussfolgerung der Klägerseite: Weil er bis zur Insolvenz sein Wahlrecht nicht wahrgenommen habe, gehörten die Versorgungsleistungen zur Insolvenzmasse und unterliegen damit auch der Pfändung, damit sie nicht dem Zugriff der Gläubiger entzogen würden. Klingt zwar zunächst gut, war aber nicht zutreffend, wie die Kammer von Richter Dr. Klaus Weisel ("Im ersten Ansatz eine unübersichtliche Sache und ein komplexes Verfahren mit Sachverhalten, die die Verwaltungsgerichte nicht jeden Tag beschäftigen") nach intensiver Vorbereitung feststellte.
Die Klageaussichten wären wohl besser, wenn der anwaltlich ("Mein Mandant ist ein guter Zahnarzt aber kaufmännisch nicht so gut") vertretene Zahnarzt den Verschiebungsantrag seines Versorgungsbezuges bis zum 70. Lebensjahr erst nach der ursprünglichen Fälligkeit zum 65. Lebensjahr gestellt hätte. Die Klage wurde abgewiesen, und der von der Klage letztlich Betroffene hat jetzt gute Chancen, Ende 2017 in den Genuss der "Restschuldbefreiung" nach § 290 der Insolvenzordnung zu kommen. Dann sind die vorgeschriebenen sechs Jahre nach Insolvenz vorbei und die Befreiung greift, "wenn der Schuldner sich in dieser Zeit nicht strafbar gemacht hat, sich keine Kredite oder öffentliche Mittel rechtswidrig erschlichen hat, in den zehn Jahren vor der Insolvenz nicht schon mal eine Restschuldbefreiung erlangt hat, nicht verschwenderisch gehandelt hat und keine Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten verletzt bzw. keine falschen Angaben gemacht hat." Das Ganze ist gebunden an eine "angemessene Erwerbstätigkeit, Abtretung von ererbtem Vermögen zu 50 Prozent an den Treuhänder, sofortige Meldung von Wechsel des Wohnorts oder Arbeitsplatzes an den Treuhänder und Zahlungen an Gläubiger nur an den Treuhänder". (AZ 18 K 5740/13)