
Escape-Room-Horror
'Ach du Scheiße!'
Mit einem softpornografischen Intro beginnt das außergewöhnliche, weil mutig ein hierzulande unterbelichtetes Genre wagende Spielfilmdebüt des 35-jährigen Werbe- und Imagefilmers Lukas Rinker („Bloß keine Langeweile!“) aus Frankfurt/Main: Kopf-Kino des Architekten Frank Lamm (Thomas Niehaus), der auf „seiner“ Baustelle in einem Dixi-Klo eingeklemmt ist und auf ein Poster einer nackten Table Dance-Schönheit (Micaela Schäfer) blickt.
Er liegt kopfüber in der offenbar in eine Baugrube gestürzte, nur ein Quadratmeter großen Chemo-Toilette, deren Tür von außen verschlossen ist, und wagt sich nicht zu rühren: Sein Unterarm, auf dem ein Marienkäfer krabbelt, ist von einem Stahlbolzen blutig aufgespießt. Ein Erste-Hilfe-Kasten hängt zwar in greifbarer Nähe, ist aber nur mit einem Hammer aus der Verankerung zu lösen.
Während Frank Lamm fieberhaft darüber nachdenkt, wie er sich aus dem blauen Plastik-Sarg befreien kann mit nur einem Arm, dringen von draußen Wahlkampf-Töne zu ihm durch. Sie stammen vom korrupten Bürgermeister Horst Wolf (Gedeon Burkhard), der die Grundsteinlegung eines Immobilienvorhabens am touristisch boomenden Ebersberg dazu nutzt, sich als „Mann aus Eurer Mitte“ für die Wiederwahl zu empfehlen. Und weil ein Investor aus Nippon das nötige Kapital einbringt, intoniert Takeshi-San (Yuki Iwamoto) die japanische Hymne.

Das Projekt eines Luxushotels im Bayerischen Wald ist vergeblich auf den Widerstand von Öko-Aktivisten gestoßen, welche Dörte Grün (Friederike Kempter) vom Umweltamt heimlich unterstützt hat. Eigentlich sollte auch Frank Lamm eine Ansprache halten. Weil er sich offenbar verspätet hat, versucht seine schwangere Freundin Marie (Olga von Luckwald), ihn per Handy zu erreichen. Doch das ist in den Klopott gefallen – und die Sprachsteuerung funktioniert wie immer nicht.
Der Architekt weiß, dass ihm nur neunzig Minuten bleiben, bis ein altes Herrenhaus, das dem Neubau weichen soll, gesprengt wird. Es liegt exakt oberhalb der Baugrube. Mit Hilfe eines Zollstocks und seines Kaugummis gelingt es ihm tatsächlich, das Handy aus der braunen Suppe herauszufischen – und die Polizei zu erreichen. Doch die depperten Beamten Huber (Björn Meyer) und Staller (Uke Bosse) halten seinen Notruf für einen schlechten Scherz – und dann bricht auch noch der Empfang ab.
Mit dem Architekten soll auch der Aktenkoffer des Bürgermeisters gesprengt werden, in dem Frank Lamm brisante Unterlagen für weitere Schweinereien Wolfs entdeckt, aber immerhin auch Schmerztabletten und Sandwiches. Seine Zeit läuft gnadenlos ab und der Sprengmeister Bob (Rodney Charles) hat das Dynamit ist schon scharf geschaltet. In seinem Todeskampf werden ein Hase und der immer-lachende Smiley-Klodeckel Franks besten Freunde…
„Ach, du Scheiße“, am 7. April 2022 beim Hard Line Festival in Regensburg uraufgeführt und mit dem übersetzt „Goldene Rasierklinge“ genannten Publikumspreis „Golden Razor Blade“ ausgezeichnet, ist etwas für Hardcore-Fans des Splatter-Movie-Genres und nichts für schwache Nerven. Erzählzeit ist erzählte Zeit: Bei diesem Echtzeit-Thriller kommen Freunde total abgefahrenen Escape-Room-Horrors voll auf ihre Kosten. Der wahnwitzig-schwarzhumorige, im März 2021 in Offenbach gedrehte Neunzigminüter, eine geradezu artistische Leistung auch des Kameramannes Knut Adass, lebt ganz von der Leinwandpräsenz des Protagonisten Thomas Niehaus. Der Lübecker des Jahrgangs 1981 ging 2004 zu Claus Peymann ans Berliner Ensemble und ist seit 2009 Ensemblemitglied am Thalia Theater. Der zweifache Träger des Hamburger Theaterpreises (2014 für „Moby Dick“ und 2021für „Mittagsstunde“) verfügt zudem über reichlich TV-(Serien-) Erfahrung. Kinostart ist der 20. Oktober 2022, bei uns zu sehen im Bochumer Hauptbahnhof-Kino Metropolis.