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Vivian Kellermann (Mitte) als Titelheldin in Heldin des Tages.

Weymayr-Realsatire im Kleinen Theater Herne

Radfahren macht gute Laune: Davon sind alle beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad Verein (ADFV) überzeugt. Nur mit dem Aufräumen haben sie es nicht so, das Vereinsheim ist so zugemüllt, dass sich sogar eine Ratte an den Pizza-Resten gütlich tut (Bühne: Markus Stehmann). Die Mitglieder haben derzeit auch anderes im Kopf.

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Dominik (David Becker) himmelt seine Blümchenbluse Jule (Laura Gottschlich, in der Zweitbesetzung eine großartig verschämte Vivian Kellermann) an, ist aber zu schüchtern, die frischgebackene Abiturientin, die hier beim gemeinnützigen Verein ihr Freiwilliges Soziales Jahr ableistet, anzusprechen. „Man sieht nur die im Lichte, die im Schatten sieht man nicht“: Siggi (Rene Lehringer), der lyrische Spaßmacher vom Dienst, plädiert dafür, auf subversive Weise radikal zu werden und mit Sprüchen wie Autos first auf Transparenten zu provozieren. Rebekka (Ensemble-Neuzugang über eigenes Casting: Katherina Giannoulaki) gibt gern die Aufmüpfige, zieht sich aber bei Gelegenheit höchst unsolidarisch zurück – und ist letztlich für den Berg an Fastfood-Resten im Heim eines Vereins, der sich nicht zuletzt einer intakten Umwelt und einer gesunden Lebensführung verpflichtet fühlt, verantwortlich.

Während Beate (Manu Kempin alternierend mit Carina Czubek) als Mutter der Kompagnie für Käsebrötchen und Salzgürkchen sorgt angesichts des erwarteten Besuches der Bürgermeisterin Jutta Ockermark (realsatirisch dämlich: Jessica Majchrzak), rückt die ehrgeizige Sportlerin Hannelore (Claudia Henning) das neue Spitzendeckchen mit Namensgravur auf dem einzigen gemütlichen Sessel des Radlertreffs zurecht. Das gute Stück ist für ihren Verflossenen reserviert, den nicht nur äußerlich unkonventionellen Vorsitzenden Torsten (Markus Stehmann, in der Zweitbesetzung mit dem Debütanten Ronald Schumacher ein 60-jähriges mit Ovationen gefeiertes Naturtalent).

Der hält die Bürgermeisterin zwar für einen Politclown, die „auch nur ein Grüßaugust“ sei, ist aber auf ihre Hilfe angewiesen für den Plan der Ortsgruppe, die Jahreshauptversammlung des Bundesverbandes zu organisieren. Schließlich gilt es, einen Saal zu mieten, das Catering zu organisieren und Unterkünfte für die Gäste aus der ganzen Republik bereitzustellen. Frau Ockermark, die erst ‘mal die Brötchen vertilgt, als reiche ihre Aufwandsentschädigung nur für Wasser und trocken Brot daheim, ist ganz Ohr, sonnt sich die Bürgermeisterin zwecks Popularitätssteigerung doch gern im Licht der Öffentlichkeit.

Siggi zeigt sein Transparent.

Da kommt dem ADFV ein Ereignis zugute, dass rasch hohe mediale Wellen über den Tellerrand des Ortes hinaus schlägt: Jule soll dem radfahrenden Opfer eines Verkehrsunfalls Erste Hilfe geleistet und dazu noch den fahrerflüchtigen Autofahrer mit dem Handy fotografiert haben. Flugs wird die zurückhaltende junge Frau von der Lokalzeitung zur Heldin des Tages erklärt, das Fernsehen hat sich angekündigt und die Merchandising-Maschinerie des Vereins läuft auf Hochtouren. In einer Pressekonferenz kündigt die Wahlkampf in eigener Sache machende Bürgermeisterin ihre Kandidatur bei der nächsten Bundestagswahl an: Jutta Ockermark will nach Berlin. Da passt eine solche Heldinnen-Geschichte mit einer sich neuerdings im Superman-Outfit präsentierenden Jule wie die Faust aufs Auge.

Heldin des Tages ist eine vom Autor Christian Weymayr selbst inszenierte turbulent-bissige Realsatire über Polit-Ökonomie (Von der Inkompetenz zur Kompensations-Kompetenz) und Öko-Selbstoptimierung, die von der ersten bis zur letzten Minute Spaß macht – weil stets die eigene Freude der sehr bühnenpräsenten Amateure über die Rampe kommt. Weymayr, selbst bekennender Radler und Mitglied des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), hat die immer wieder auch recht bissige Komödie mit großem Verständnis für seine bisweilen grotesken Protagonisten, die skurrile Typenschau wird vom Alt-Hippie Torsten angeführt, geschrieben.

Zum begeisternden Cast gehört mit Wiebke Krause-Cords (alternierend mit Christine Niephaus) übrigens auch eine Leihgabe von Fidele Horst aus Wanne-Eickel. Was es mit ihrer Rolle der Ann-Luise auf sich hat, wird hier ebenso wenig verraten wie der Inhalt der überaus witzigen, zumeist mit Antonia Anstatt rund ums Kleine Theater gedrehten selbstironischen Videos (Die zehn goldenen Regeln des Radfahrens), in bester Stummfilm-Manier mit Klaviermusik unterlegt.

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Nachdem Camping Loch Ness aus dem Jahr 2014 und Graf Moorlochs Spiegel von 2016 abgespielt sind, gehört nur noch ein weiteres Werk aus der Feder des nach Jürgen Seifert zweiten Hausdramatikers am Kleinen Theater Herne, des 57-jährigen gebürtigen Regensburger Medizinjournalisten Dr. Christian Weymayr, der 2007 aus Tübingen nach Herne gezogen ist, weiterhin zum Repertoire an der Neustraße 67: Lügen, Sex und Sahnetörtchen, wieder auf dem Spielplan am 25. April, 8., 19. und 22. Mai 2019. Mit der Gesellschaftskomödie Heldin des Tages ist bereits sein fünftes Stück herausgekommen. Christian Weymayr schreibt (Unter Geiern und Kollegen) und spielt zudem für die in diesem Jahr hundertjährige Wanne-Eickeler Fidele Horst-Truppe im Wanner Mondpalast. Dort steht er ab 26. April 2019 als Anton Tiedermeier in dem Schwank-Klassiker Die spanische Fliege des Erfolgs-Duos Arnold & Bach auf den Brettern.

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  • Mittwoch, 13. März 2019, um 20 Uhr
  • Mittwoch, 20. März 2019, um 20 Uhr
  • Sonntag, 28. April 2019, um 18 Uhr
  • Mittwoch, 15. Mai 2019, um 20 Uhr
| Autor: Pitt Herrmann