halloherne.de

lokal, aktuell, online.
Kunst-Postkarte: Kunst, wat is dat?

Eine Kolumne von Hans-Jürgen Jaworski

Von der wahren Kunst

Im Jahr 2018, also deutlich in der vorcoronaischen Zeit, nahm ich an einem Kunstkartenprojekt, daily postcards, teil. Jeden Tag eine neue Karte, am besten geistreich oder humorvoll, auf alle Fälle künstlerisch. Als mir nach einer gewissen Zeit nichts mehr einfiel, schrieb ich einfach diese bekannte Frage auf eine Karte: Kunst - wat is dat?

Anzeige: DRK 2024 - Job - Assistenz

Kunst - wat is dat?

Diese Frage ist immer gut, weil sie kaum befriedigend zu beantworten ist, selbst wenn man viel darüber nachdenkt. Nicht wenige Zeitgenossen sind der festen Überzeugung, dass Kunst etwas mit Können zu tun haben muss. Aber was muss man denn können, damit das Ergebnis dieses Könnens als Kunst bezeichnet werden kann? Schließlich kann jeder doch irgendetwas. Und so sind wir fast bei dem erweiterten Kunstbegriff von Joseph Beuys, mit dem allerdings nicht jeder Experte einverstanden ist. Der Schriftsteller Peter Handke sagte dagegen einmal, er habe den Eindruck, dass Kunst mehr aus dem Nichtkönnen entstehe. Das Scheitern an sich und an der Welt wäre dann zumindest eine mögliche Quelle oder Voraussetzung von Kunst. Aber aus vielem Scheitern kommt ja nicht Kunst, sondern einfach nur Kappes. Also, wir scheitern schon bei der Beantwortung dieser so schlicht klingenden Frage, was denn Kunst sei.

Hans-Jürgen Jaworski

Nicht einfacher ist es, wenn es um die damit zusammenhängende Frage geht, wer denn ein Künstler sei. Da könnte man wiederum frei nach Beuys sagen: Der irgendwas kann. Oder, frei nach Handke: Der besonders toll scheitert und Nichtkönnen gut kann. Und die Begegnung mit manchem, der sich Künstler nennt, gibt uns oft auch keinerlei gute Hinweise zur Beantwortung dieser beiden Fragen.

Leben - dat is Kunst!

Kunst-Postkarte: Leben, dat is Kunst.

Am folgenden Tag schrieb ich dann diese Antwort auf die nächste Karte: Leben-dat is Kunst! Eigentlich sollte das ein Gag sein. Aber nach und nach merkte ich, dass das stimmen muss: Richtig zu leben, das ist wahrhaftig Kunst. Und wer das einigermaßen kann, der wäre dann ein Lebenskünstler. Und wenn er dazu die Kunst braucht, von der man nicht weiß, ob es wirklich Kunst ist, dann wäre das auch in Ordnung.

Lebenskunst

Was gehört zur Lebenskunst? Ins „Unreine“ gesprochen, für mich Zweierlei: Grundsätzliche Fragestellungen und zeit-und umweltbedingte Flexibilität. Wer ein Lebenskünstler sein will, sollte sich vor diesen Fragen nicht drücken: Woher komme ich? Wohin gehe? Wozu bin ich da? - Gibt es einen umfassenden Lebenssinn vom ersten bis zum letzten Atemzug? Was trägt mich wirklich durch? Gibt es die Wahrheit für mein Leben? - Welche Rolle spielen Glaube, Hoffnung und Liebe in meinem Leben? Diese Fragen begleiten uns eigentlich unser ganzes Leben. Auch wenn wir sie beständig verdrängen, bestimmen sie doch unbewusst unsere Handlungsweisen. Der Lebenskünstler stellt sich ihnen.

In Corona-Zeiten

Dann kommt es auf die Handhabung konkreter Situationen an, also hier und jetzt. Der Lebenskünstler kommt jetzt mit den sozialen Einschränkungen klar. Er weiß, was doch schon immer gegolten hat, was aber jetzt besonders wichtig ist: Ich muss es mit mir selber aushalten können. Vielleicht muss ich mich deshalb erst mit mir selbst versöhnen und anfangen, mich zu lieben, und es hilft mir dabei die Ahnung, dass ich je und je geliebt bin, quasi von „höherer Stelle“.

Oder in den Niederungen des heutigen Alltags: Wie schaffe ich es, dass mir an der Kasse beim Discounter niemand zu sehr wie sonst auf die Pelle rückt und womöglich noch in den Nacken hustet. Der Lebenskünstler täuscht Husten vor. Dann hat er Platz.

Zeitungspapier als Ersatz für Toilettenpapier.

Oder wenn es immer noch nicht mit dem Toilettenpapier klappt, obwohl das doch systemrelevant ist. Der Lebenskünstler weiß sich zu helfen. Er erinnert sich an die Zeiten, in denen es eh kein softes Toilettenpapier gab. Die Zeitung, weichgerubbelt, reichte völlig. Und selbst wenn man heute nicht Abonnent der voluminösen FAZ ist, hat man doch genug Stoff, der einem in Form von Werbeblättern den Briefkasten vollstopft.

Freilich noch besser dran ist dabei der gemeine Künstler (um auf den Anfang unserer Überlegungen zurückzukommen); denn er hat genügend Arbeiten auf Papier, die nur darauf warten, kunstvoll entsorgt zu werden.

Anzeige: Spielwahnsinn 2024

In der gleichen glücklichen Lage sind nur noch Politiker. Sie haben genügend Redemanuskripte, die jetzt endlich einem sinnvollen Zweck zugeführt werden könnten. Und das gilt besonders für diejenigen unter ihnen, deren Parteiname richtungsweisend sowieso mit einem großen A anfängt.

| Quelle: Hans-Jürgen Jaworski